An der glatten Wand

Die Tiroler Sport- und Alpinkletterin Barbara Zangerl äussert sich im Gespräch über das Klettern ohne Bohrhaken und erklärt, wie sie sich schwierigen Routen annähert

Interview: Karin Steinbach Tarnutzer
Drucken
Sturz in einen Klemmkeil: Barbara Zangerl in der Route «Prinzip Hoffnung». (Bild: Beat Kammerlander)

Sturz in einen Klemmkeil: Barbara Zangerl in der Route «Prinzip Hoffnung». (Bild: Beat Kammerlander)

Wenn man unter der Route «Prinzip Hoffnung» an der Bürser Platte steht, sieht man nur glatten, auf den ersten Blick strukturlosen Fels. Barbara Zangerl, was hat Sie zu Ihrer Begehung der 40 Meter hohen Wand in Vorarlberg motiviert?

Plattenkletterei ist grundsätzlich etwas Spezielles, man muss immer mehr oder weniger an der Wand kleben. Das Besondere an «Prinzip Hoffnung» ist aber, dass Beat Kammerlander, der sie erstbegangen hat und dabei Bohrhaken anbrachte, diese später wieder entfernte und die Route «clean» beging, also zur Absicherung nur Klemmkeile und Klemmgeräte verwendete. Sie werden in die beiden dünnen Rissspuren gelegt, die sich durch die Platte ziehen und an denen man sich nach oben bewegt. Diese Zwischensicherungen anzubringen, indem man auf winzigen Tritten steht und sich an kleinsten Griffen festhält, das ist die eigentliche Herausforderung der Tour.

Wie gefährlich ist eine solche Begehung?

Grundsätzlich ist die traditionelle Absicherung, sofern die Sicherungspunkte halten, nicht gefährlicher, als mit Bohrhaken zu klettern – aber anspruchsvoller. Das Legen der Keile kostet Zeit und viel Kraft. In der zweiten Hälfte der Route geht es, da kann man bessere Klemmkeile unterbringen, aber die ersten 20 Meter sind gefährlich, da sollte man nicht fallen, weil man nicht mit Sicherheit weiss, ob die Keile halten. Wenn sie das nicht tun, besteht das Risiko, bis auf den Boden zu stürzen. Die Route ist 40 Meter lang, auf dieser Strecke habe ich 18 Sicherungen gelegt – 13 Klemmkeile und fünf Klemmgeräte mit Federmechanismus.

Wie lange dauerte es, bis Sie die Route klettern konnten?

Ich habe sicher mehr als zehn Tage gebraucht. Zunächst liess ich mich über eine Umlenkung von oben sichern und probierte aus, welche Keile wo passen. Da war ich mir noch gar nicht sicher, ob ich das überhaupt vorsteigen wollte. Als ich dann schliesslich doch einen ersten Vorstieg wagte, lief es erstaunlich gut: Ich konnte die Angst komplett wegschalten und mich nur auf das Klettern konzentrieren. Ich war sogar so auf das Klettern konzentriert, dass ich vor der Schlüsselstelle vergessen habe, den besten Keil zu legen. Die Keile hingen in genau der richtigen Reihenfolge an meinem Gurt, und vor der Schlüsselstelle hatte ich auf einmal den blauen Keil in der Hand, den ich ein Stück weiter unten hätte legen sollen. Als ich nach unten schaute, sah ich, dass meine letzte Sicherung wirklich weit weg war. Ich hängte den Keil zurück an meinen Gurt und dachte mir: Gut, jetzt musst du einfach weiterklettern. Zum Glück stürzte ich nicht und konnte die nächsten Sicherungen legen. Beim letzten schweren Zug fiel ich dann leider doch noch, weil mir der Fuss wegrutschte.

Sie hatten davor schon Erfahrung mit traditionell abgesicherten Routen?

Mit Klemmgeräten habe ich schon oft gearbeitet, in die bin ich auch schon oft gestürzt. Aber das ist etwas anderes – korrekt gelegt, halten sie so viel wie ein Bohrhaken. In einen Klemmkeil, vor allem in so einen kleinen Mikro-Klemmkeil, bin ich vor der «Prinzip Hoffnung» noch nie hineingefallen. In einen von ihnen bin ich fünf- oder sechsmal gestürzt, einmal richtig weit, da bin ich sicher elf, zwölf Meter geflogen. Ich hatte dann Bedenken, dass durch die Belastung die Kanten des Risses abbrechen könnten und der Keil irgendwann durchrutschen würde. Aber er hat immer gehalten. Das gab mir Vertrauen für die nächsten Versuche.

Was war entscheidend dafür, dass die Begehung im März 2014 klappte?

Nach dem erfreulichen ersten Versuch ging es zunächst immer schlechter. Obwohl ich die klettertechnischen Anforderungen besser beherrschte – die Schlüsselstelle befindet sich in rund 30 Meter Höhe, dort verliert sich die erste Rissspur, und man muss über die glatte Wand nach rechts queren, um den Beginn der zweiten zu erreichen –, hatte ich das Problem, dass ich einfach zu nervös war. Ich war so oft an derselben Stelle gestürzt, dass ich beim nächsten Versuch schon erwartete, erneut zu fallen. Der Kopf spielt eine extrem grosse Rolle beim Klettern, nicht nur bei traditioneller Absicherung. Man muss locker klettern, auch wenn man an seine Leistungsgrenze kommt.

Barbara Zangerl, Sport- und Alpinkletterin: «Das Sture, das habe ich schon immer gehabt.» (Bild: www.planet-talk.de)

Barbara Zangerl, Sport- und Alpinkletterin: «Das Sture, das habe ich schon immer gehabt.» (Bild: www.planet-talk.de)

Sie können beim alpinen Sportklettern auf grosse Erfolge zurückblicken, vor allem auf die Trilogie aus drei mit 8b+ bewerteten Mehrseillängenrouten. Ist das «Trad Climbing», das Klettern mit traditioneller Absicherung, für Sie eine logische persönliche Weiterentwicklung?

Mir war das gar nicht so bewusst, das kam mit der Zeit. Wenn man den ganzen Sommer sportklettert, wird das irgendwann langweilig. Ich habe gemerkt, dass ich etwas Anspruchsvolleres machen muss, und bin ins Gebirge gegangen, um alpine Routen zu probieren. Das «Trad Climbing» ist eine noch grössere Herausforderung. Es funktioniert nicht jeden Tag gleich gut, sich zu überwinden. Aber wenn ich mich in dem Moment überwinde, in dem ich eigentlich Angst habe, und trotzdem weitergehe und es dann schaffe – das gibt mir das beste Gefühl. Wenn ich ein Ziel erreiche, von dem ich weiss, dass es am Anfang ganz schlecht ausgesehen hat, und ich mich nicht getraut, keine Chance gesehen habe, und dann taste ich mich langsam heran und schaffe es schliesslich . . . Es ist der Prozess, der es für mich interessant macht.

Wie motivieren Sie sich dazu, so oft in dieselbe Route einzusteigen?

Das Sture, das habe ich schon immer gehabt. Als Jugendliche konnte ich beim Bouldern drei Stunden unter demselben Felsblock sitzen und einfach nur probieren, vom Boden wegzukommen. In der Route «Des Kaisers neue Kleider», der dritten der Trilogie, brauchte ich ewig, um für meine Körpergrösse eine Lösung für die Schlüsselstelle zu finden. Ich habe drei Tage lang drei Züge probiert und habe sie einfach nicht zusammengebracht! Schliesslich habe ich eine andere Lösung entdeckt: Ich musste auf einen ganz schlechten Tritt steigen, der fast höher war als mein Kopf und ganz weit draussen. Dann musste ich mich irgendwie auf diesen Tritt hinaufstemmen und dabei das Gleichgewicht behalten. Es war kompliziert, aber nachdem ich es ein paar Mal hintereinander gemacht hatte, wurde es besser. Weil es sich um die letzte Route der Trilogie handelte, war ich sehr geduldig, ich hätte noch fünf Tage dieselbe Stelle probiert. Die Schlüsselstelle ist in der achten von neun Seillängen, man kommt schon völlig ausgepumpt an und hat keine Körperspannung mehr.

Sie identifizieren sich völlig mit einer solchen Route?

Sonst würde ich nicht 15 Tage – wie bei «Des Kaisers neue Kleider» – in sie investieren, ja. Das ist eben der Prozess. Ich hatte eigentlich nie das Ziel, einen bestimmten Schwierigkeitsgrad zu erreichen, sondern ich wollte eine bestimmte Route klettern. Der Schwierigkeitsgrad stand nie im Vordergrund, für mich persönlich war es die Auseinandersetzung mit der einzelnen Route, auch bei der «Prinzip Hoffnung». Mich hat fasziniert, dass das eine Linie ist, in der nichts Künstliches steckt, in der man mit den Klemmkeilen herumtüfteln muss. Es gibt nur ganz wenige Platten, die man ohne Bohrhaken klettern kann.

Sehen Sie einen Trend hin zum «Trad Climbing»?

Nicht für die breite Masse der Freizeitkletterer. Wer nach der Arbeit für die Fitness in die Kletterhalle geht, macht einen solchen Schritt eher nicht. Auch regionale Unterschiede spielen eine Rolle. In England darf in den meisten Gebieten nicht gebohrt werden. Auch im Elbsandsteingebirge in Deutschland wird Wert auf die traditionellen Kletterregeln gelegt, Magnesia ist verboten, und zum Sichern werden Knotenschlingen gelegt, weil Klemmkeile den Sandstein schädigen würden. Ganz anders in Tirol: Da werden Klettergärten von Tourismusorganisationen eingerichtet und vermarktet. Es gibt mittlerweile ein Klettergebiet in Nassereith, da kann man hingehen und einen Knopf drücken, dann wird das Topo ausgegeben, und man kann in die Route einsteigen. In meinen Augen ist das eine negative Entwicklung für den Klettersport.