Vorstoß gegen WHO bei Trans* Dänischer Alleingang: Transsexualität ist seit Neujahr keine Krankheit mehr

Von Götz Bonsen, Cornelius von Tiedemann | 02.01.2017, 12:40 Uhr

Überall auf der Welt ist Transidentität noch ein Teil der Krankenakte. Dänemark hat bezüglich der WHO die Geduld verloren und geht einen internationalen Alleingang.

Der Kinofilm „The Danish Girl“ erzählt die Geschichte der im jütischen Vejle als Einar Wegener geborenen Lili Elbe, die sich 1930 geschlechtsangleichenden Operationen unterzieht. Sie wird als erste transsexuelle Frau in die Geschichte eingehen. Der preisgekrönte Streifen wühlte international die Debatte über ein ohnehin aktuelles Thema auf: Ist es zielführend und gerecht, Transidentät in die Schublade der psychischen Erkrankungen zu pressen? Dänemark sieht dies als diskriminierend und beantwortet die Frage im Parlament mit einem einstimmigen Nein. Mit diesem Schritt ist das kleine Land jetzt der weltweite Vorreiter, was die Bewertung von jenem Unbehagen mit der Geschlechtsidentität angeht.

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Der Europarat hatte in seiner Resolution 2048 für die rechtliche und soziale Gleichstellung von Transpersonen die 47 Mitgliedsstaaten unter anderem dazu aufgefordert, alle Einstufungen als geistige Störungen in nationalen Klassifikationen zu streichen und die Streichung auch bei der WHO zu fordern.

Der nördliche Nachbar hat Transgender im Alleingang von der Liste der psychischen Erkrankungen komplett gestrichen und die Pathologisierung am 1. Januar 2017 beendet. Diese Entscheidung sende ein wichtiges Signal, meint der Landesverband der Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen in Dänemark. „Das nimmt die Stigmatisierung, die es bei Transsexuellen in Gesundheitswesen gegeben hat. Jetzt wird man nicht mehr als psychisch krank abgestempelt. Jetzt wird das gesehen, was da ist – eine Variation“, sagt LGBT-Danmark-Chef Søren Laursen.

Im Zentrum der erheblichen internationalen Kritik über die Belegung des Themas durch die Krankheits-Einstufung steht weiterhin die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Transsexualismus mit dem medizinischen Diagnose-Katalog ICD-10 von 2016 weiterhin als Geschlechtsidentitätsstörung einstuft und wie Schizophrenie zu den Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen zählt. Mit einer Revison (ICD-11) und einem neuen Erfassungssystem soll sich das ab frühestens 2018 ändern.

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Hintergrund: Transsexualität, Transgender, Transvestiten

Hintergrund: Transsexualität, Transgender, Transvestiten

Die in Recht und Medizin übliche Bezeichnung Transsexualität wurde vom deutschen Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld in den 1920er-Jahren geprägt. Hirschfeld stellte auch klar, dass die Menschen nicht gestört oder gar krank sind. Der Begriff ist umstritten, da dies nicht den Anschein erweckt, es handele sich um ein sexuelles Phänomen. Sich selbst bezeichnen die Menschen oft lieber als Transgender, auch der Begriff Transidentität wird vermehrt verwendet.Transidentät bezeichnet das Gefühl, mit dem „falschen“ Geschlecht auf die Welt gekommen zu sein. Den Betreffenden ist es oft ein starkes Bedürfnis, ihren Körper mit Hormonen oder mit Operationen dem bevorzugten Geschlecht anzugleichen. Über den Anteil transsexueller Menschen in Deutschland gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Die Schätzungen gehen weit auseinander und reichen von 1 zu 500 bis 1 zu 70 000. Auch der Begriff Transidentität wird immer häufiger benutzt. Laut der Deutschen Gesellschaft für Transidentität betrifft dies etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung. Für Deutschland geht der Verband von etwa 100.000 Menschen aus.Der Begriff Transgender umfasst meist all jene, deren soziales Geschlecht nicht mit dem biologischen identisch ist. Nicht jeder von ihnen möchte jedoch seinen Körper verändern. Der Gebrauch der Begriffe ist nicht immer einheitlich. Um die verschiedenen Bezeichnungen zusammenzufassen, wird manchmal der Oberbegriff „Trans*“ verwendet. Als Travestiekünstler oder Dragqueen bezeichnet man Männer, die zum Spaß oder zur Unterhaltung Frauenklamotten tragen und dies besonders exaltiert tun. Viele Dragqueens wollen so für mehr Offenheit und Toleranz werben. Eine prominente Dragqueen in Deutschland ist Olivia Jones.Das wissenschaftlichere Wort Transvestit bezeichnet Menschen, die das Bedürfnis haben, immer mal wieder für längere oder kürzere Zeit in die Kleidung des anderen Geschlechts zu schlüpfen und auch Haare, Accessoires und Bewegungsstil anzupassen - und zwar im vollen Bewusstsein, diesem Geschlecht nicht anzugehören.

Auch der Weltärztebund hatte sich 2015 für eine Neubewertung ausgesprochen, die der deutsche Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) unterstützt. Dabei dürfe es am Ende aber nicht darauf hinauslaufen, dass Transgeschlechtlichkeit als Nicht-Krankheit dazu führe, dass Krankenkassen die Bezahlung von geschlechtsangleichenden Operationen nun nicht mehr finanzierten, lautet die Sorge des LSVD.

Solchen Entwicklungen hat Dänemark vorgesorgt. Alle Parteien im Parlament, dem Folketing, unterstützten den entsprechenden Entwurf des Gesundheitsausschusses im vergangenen Frühjahr. Man habe „die Geduld verloren“, formulierte der Sozialdemokrat Flemming Møller Mortensen seinerzeit in Richtung der WHO. Der Vorstoß sollte laut dem Beschluss lediglich dann umgesetzt werden, wenn die WHO dem nicht zuvorkommen würde. Man setzte der Weltgesundheitsorganisation eine Frist bis Oktober. Doch das blieb aus.

„Es war ein mutiger Schritt der Politiker“, sagt Laursen abschließend. Dennoch müssen Transsexuelle Frauen und Männer lange psychiatrische Untersuchungen über sich ergehen lassen, bevor sie Hormonbehandlungen oder eine Geschlechtsumwandlungs-Operation bewilligt bekommen. Und dies sei ein Problem, meint Amnesty International. Es habe zwar großen Symbolwert, dass der Status als Krankheit nun abgeschafft sei, doch „es ist sehr sehr wichtig, dass dem auch Rechte folgen“, so Amnesty-Sprecherin Helle Jacobsen.

Ihre Hoffnung ist, dass es nach dem Vorbild Dänemarks einen Schneellballeffekt geben wird. „Das wird in Europa und dem Rest der Welt wahrgenommen. Und es sendet ein wichtiges Signal an die WHO, die ihre Krankheitsverzeichnisse derzeit revidiert“, sagt sie.

(Mit Nordschleswiger.dk)