Berlin - Es ist eine historische Entscheidung für Deutschland: Der Bundestag hat die „Ehe für alle“ beschlossen. Volker Beck (Grüne) steht nach jahrelangem Kampf applaudierend im bunten Konfettiregen. Vorher hat er staatstragend von Einigkeit und Recht und Freiheit geredet, auf Verfassung und Nationalhymne verwiesen.

Und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt: „Wir haben in den letzten Jahren alle Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Schritt für Schritt aufgehoben.“ Alle? Vieles spricht dagegen.

Auch heute noch lösen händchenhaltende Männer selbst in deutschen Großstädten immer wieder Aggressionen aus. Der homosexuelle Beck weiß das – und sagt daher, nun müsse die weiter bestehende Diskriminierung von Schwulen und Lesben noch stärker bekämpft werden. Auch sei die nötige Besserstellung von Transsexuellen bislang nicht erreicht. Nicht ohne Grund erklärte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2017 zum Themenjahr für sexuelle Vielfalt. Mit einer Umfrage fand sie zum Beispiel heraus:

 Fast ein Fünftel der Befragten stimmte der Aussage voll und ganz oder eher zu, Homosexualität sei unnatürlich.

 Mehr als ein Viertel gab an, mit dem Thema Homosexualität möglichst wenig in Berührung kommen zu wollen.

 Rund 40 Prozent fänden es unangenehm, wenn das eigene Kind lesbisch oder schwul ist.

 Zudem verweisen die Autoren auf eine Befragung von 2012, wonach knapp jeder Zweite der in Deutschland befragten Homo- und Bisexuellen sowie Transgender in den zwölf Monaten zuvor Diskriminierung oder Belästigung wegen der sexuellen Orientierung erlebt habe.

Auch nach der Bundestagsabstimmung zur „Ehe für alle“ sind noch rechtliche Punkte offen. Viele Aspekte bei dem Thema sind aber auch schwammig, wie Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) einräumt. Es betrifft eben die Einstellung jedes Einzelnen. Eine Auswahl offener Baustellen:

 Kriminalität: Die Zahl der Straftaten gegen Schwule, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle ist wegen einer vermuteten sehr hohen Dunkelziffer ziemlich unklar. Der LSVD sieht Mängel bei den Ermittlern. So müssten Polizisten wegen der politischen Dimension eigentlich immer den Staatsschutz einschalten. Sprecher Ulrich kritisiert zudem, dass Hasskriminalität statistisch nicht gut erfasst werde. „Das wirkt sich auch auf Strafverfolgung und Prävention aus.“

 Familie: Das Ehe-Gesetz ändert nicht die Abstammungsregeln. Mutter eines Kindes sei rechtlich weiterhin nur die Frau, die das Kind geboren hat, macht der LSVD deutlich. So ist zwar für Kinder, die in einer Ehe von Mann und Frau geboren werden, per Gesetz der Ehemann zweites rechtliches Elternteil – ganz gleich, ob er der biologische Vater ist. Diese Vorschrift wurde aber nicht um die Ehefrau der Mutter erweitert. „Die Lebenspartnerin der Mutter kann deshalb weiterhin nur im Wege der Stiefkindadoption der zweite rechtliche Elternteil des Kindes werden.“

 Wohnen: Nur wenige Stunden nach der Abstimmung über die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wurde der dritte Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes den Beauftragten der Bundesregierung und des Bundestags vorgestellt. Darin stehen mehrere Beispiele, dass homosexuelle Paare als Mieter abgelehnt wurden.

 Arbeit: Konkret heißt es in dem Bericht etwa in Bezug auf kirchliche Arbeitgeber, dass auch Homosexuelle dort Diskriminierung erfahren. Offiziell verbiete zwar das Antidiskriminierungsgesetz Benachteiligungen am Arbeitsmarkt wegen der sexuellen Identität und Orientierung, sagt Ulrich vom LSVD. „Das ist aber oft schwer zu fassen.“

 Gesundheit: In Deutschland dürfen Männer, die mit Männern Sex haben, kein Blut spenden. Die Richtlinie der Bundesärztekammer schließt auch andere aus, deren Sexualverhalten oder Lebensumstände ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für schwere Infektionskrankheiten wie HIV bergen.

 Bildung: In einigen Bundesländern sollten Bildungspläne überarbeitet werden, um sexuelle Vielfalt im Schulunterricht stärker zu berücksichtigen. Das lehnt gut ein Viertel laut der Umfrage für die Antidiskriminierungsstelle ab. Drei von zehn Befragten waren der Ansicht, das Ansprechen sexueller Vielfalt in der Schule verwirre Kinder in der Entwicklung ihrer Sexualität.

Und fast jeder siebte Befragte stimmte der Aussage nicht zu, Schulen sollten etwas dagegen unternehmen, dass Schüler Begriffe wie „Schwuchtel“, „Homo“, „Tunte“ und „Lesbe“ als Schimpfwörter verwenden.