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CDU und AfD gehen gegen sogenannte „Frühsexualisierung“ in Kitas vor

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Eine Broschüre für Kita-Personal soll über sexuelle Vielfalt aufklären. Das will die CDU jetzt mit einem Antrag im Berliner Senat verbieten.

„Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ – so heißt eine Broschüre, die an Berliner Kitas verteilt wird. Sie soll Pädagogen und Erzieherinnen über sexuelle Vielfalt aufklären und Inklusion von Kindern fördern, die etwa mit lesbischen oder schwulen Eltern aufwachsen.

Dagegen gibt es massiven Widerstand. Die CDU-Fraktion aus dem Berliner Senat hat einen Antrag gestellt, um die Verteilung der Broschüre „unverzüglich zu stoppen und zurückzuziehen.“

In der Begründung heißt es: „Fragen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt gehören nicht in die Berliner Kindertagesstätte.“

Die umstrittene Broschüre für Kita-Personal

Die Broschüre wurde vom Sozialpädagogisches Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg – SFBB erarbeitet und richtet sich an Fachpersonal. Nach Aussage der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie wurden 2.500 Stück an alle Kitas in Berlin versendet. © queerformat.de

Dass der Berliner Senat dem Antrag folgen wird, ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Die 140-seitige Broschüre wurde erst vor wenigen Tagen veröffentlicht und von der Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie gefördert. Bei einer Abstimmung würden AfD und CDU deshalb für ihren Antrag wohl kaum eine Mehrheit erhalten.

Eine Sprecherin des Berliner Senats für Bildung, Jugend und Familie teilt BuzzFeed News auf Anfrage mit es handele sich um „reine Stimmungsmache“, die in keinster Weise begründet sei. „Es sei denn, die CDU fordert ernsthaft, dass sich pädagogische Kräfte fachlich nicht weiterbilden sollen.“

Auch Sebastian Walter, queerpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Berliner Senat, hält den Antrag für eine „Showveranstaltung”.

Im Gespräch mit BuzzFeed News sagt er: „Unsere Gesellschaft ist inzwischen bunt und vielfältig. Das ist Realität, und es kommt bei den Kindern auch so an. Was die CDU treibt ist ein Armutszeugnis. Sie verweigert sich der gesellschaftlichen Realität in Berlin. Sie hat den Kurs der liberalen Hauptstadtpartei verlassen und biedert sich der AfD an. Es ist ein widerlicher Konkurrenzkampf darüber, wer am rechten Rand gegen LSBTIQ hetzt.“

In einer Pressemitteilung des Berliner AfD-Abgeordneten Franz Kerker von Donnerstag heißt es, die „Sex-Broschüre“ sei „reine Geldverschwendung“. Der jugend- und bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg Steffen Königer schrieb in einer Pressemitteilung, Kinder müssten vor solchen Ideen, die „nur kranken Hirnen mit pädophilen Hintergedanken entsprungen zu sein scheinen“ geschützt werden.

Anders als in dieser Pressemitteilung suggeriert, richtet sich die Broschüre nicht an Kinder, sondern ist eine pädagogische Fachanleitung für das Personal.

Es geht nicht um Sex, auch nicht um Sexualaufklärung

„Man muss klarstellen: Es geht nicht um Sex, auch nicht um Sexualaufklärung“, so Sebastian Walter. „Es geht in der Broschüre um die Darstellung und den Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt. Wenn man aktuell sieht, wie die Gewaltvorfälle gegen LSBTI nach oben gehen, ist es sehr notwendig frühzeitig gesellschaftliche Vielfalt zu vermitteln. Das ist im Kern Demokratierziehung.“

Mit der Ehe für alle und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes für eine Dritte Option haben sich die Rahmenbedingungen für nicht-heterosexuelle Menschen im letzten Jahr rechtlich enorm verändert. 2017 bot etwa der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) allein in Berlin 1200 Gruppenangebote für Regenbogenfamilien an.

Mit der Ehe für alle dürfte es künftig mehr Kinder aus Regenbogenfamilien geben

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BuzzFeed.de © Jonathan Nackstrand / AFP / Getty Images

Auch deshalb wachse der Bedarf über Aufklärung im Bildungsbereich, sagt auch Jörg Steinert, Sprecher des LSVD Berlin: „Seit mehreren Jahren bitten immer mehr Berliner Grundschulen den Lesben- und Schwulenverband um die Durchführung von Workshops zum Thema Vielfalt. Wir bekommen auch zunehmend Zuspruch von Eltern, die diese Aufklärung wünschen.“

2017 arbeitete der LSVD mit etwa 50 weiterführenden Schulen zusammen, über 3000 Broschüren wurden bei ihnen bestellt, auch in leichter Sprache für Grundschulen. „Natürlich sind da die Fragestellungen anders – bei Kindern geht es dann nicht um Sexualität, sondern darum, wie etwa die Familien aussehen. Dass etwa, wenn die Familie gemalt werden soll, es nicht heißt: Male Mama und Papa. Es sollen sich alle angesprochen fühlen. Viele benutzen das wort schwul, wissen aber gar nicht, was das bedeutet. Es geht auch darum, Wissen zu vermitteln“, so Steinert.

Eine Bildungsbroschüre des LSVD für Grundschüler

BuzzFeed.de © berlin.lsvd.de

Widerstand gegen die 140-seitige Broschüre gibt es auch von rechtspopulistischen Bündnissen. „Gender-Sexualaufklärung an Schulen und Kitas ist keine Bildung, sondern ein knallhartes Menschenexperiment“, heißt es in einem Newsletter der „Initiative Familienschutz“ vom 16.2.2017. Der spendenbasierte Verein wird durch Sven von Storch vertreten, dem Ehemann der stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Beatrix von Storch. Auch sie äußerte sich auf Twitter bereits zu der Broschüre und nannte sie „Kindesmissbrauch.“

In dem Newsletter wird Berlin als „Herzkammer links-grüner Gesinnungsdiktatur“ bezeichnet. Politiker, Gewerkschaften und schwul-lesbische Lobbygruppen trieben die Gender-Erziehung voran, „um die Gesellschaft von Grund auf umzuformen“, heißt es dort.

Das erzkonservative Bündnis „Demo für alle“ veröffentlichte eine Petition, um die Broschüre zu stoppen. Diese wurde bislang von 25.000 Personen unterzeichnet.

Die Entscheidung über den Antrag der CDU wird vorraussichtlich in der kommenden Woche im Berliner Senat verhandelt.

BuzzFeed News hat auch den CDU-Abgeordneten Harald Melzer, welcher den Antrag unterzeichnet hat, um eine Stellungnahme gebeten. Die Antwort werden wir ggfs. hier nachgetragen.

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