Panorama

"Mittel totalitärer Regime" Kardinal hält Homophobie für "Betrug"

Für Kardinal Müller sind Feindlichkeiten gegen Homosexuelle nur Lügengespinste totalitärer Kirchengegner.

Für Kardinal Müller sind Feindlichkeiten gegen Homosexuelle nur Lügengespinste totalitärer Kirchengegner.

(Foto: picture alliance / Andreas Arnol)

Seit Papst Franziskus im Amt ist, verzichtet der Vatikan auf die Verteufelung von Schwulen und Lesben. In Deutschland denken Bischöfe gar über die Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen nach. Die Konservativen halten scharf dagegen.

Als Papst Franziskus auf die Homosexualität eines seiner Vertrauten angesprochen wurde, sagte er den inzwischen berühmten Satz: "Wenn jemand schwul ist, den Herrn sucht und guten Willen hat - wer bin ich, über ihn zu urteilen?" Mit dieser Äußerung sorgte das Kirchenoberhaupt - gerade vier Monate in Amt und Würden - im Juli 2013 für Aufsehen. Die breite Öffentlichkeit witterte Reformwind in Rom. Der Vatikan unter Franziskus galt plötzlich nicht mehr nur als Hort erzkonservativer Positionen, sondern als Brutstätte für Fortschritt und Toleranz.

Dabei standen die Äußerungen im Einklang mit der katholischen Lehre, das Homosexuelle an sich nicht verurteilt werden dürfen. Allein erotische Handlungen von Lesben und Schwulen gelten - auch dem Papst - als Sünde. Die gleichgeschlechtliche Ehe lehnt er ebenso ab wie das, was mitunter "Gender-Ideologie" genannt wird. Und dennoch erzeugte das Oberhaupt der Katholiken verhaltene Euphorie, zumal er immer wieder Signale der Aussöhnung sandte.

Während der Vatikan und seine höchsten Vertreter jahrzehntelang Schwule und Lesben als verabscheuungswürdige Sünder verteufelten, empfing Franziskus plötzlich Homosexuelle und vermittelte ihnen: Ihr seid Menschen und keine Aussätzigen. Vor zwei Jahren riet er der katholischen Kirche, sich für die fortgesetzte Ausgrenzung Homosexueller zu entschuldigen. "Auch von der möglichen Heilung der Homosexualität ist zum Glück keine Rede mehr", sagt Stephan Goertz, Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz.

Mit seinem - wenn auch nicht eindeutigen - Kurs befeuerte Franziskus die kircheninterne Debatte auch in Deutschland, die jüngst an Fahrt und auch an Schärfe gewann. Goertz spricht von einem "Kulturkampf" zwischen denjenigen, die der versöhnenden Haltung des Papstes folgen, und denjenigen, die der Ehe zwischen Mann und Frau exklusive Berechtigung zusprechen.

"Wir müssen ausführlicher darüber diskutieren"

Die Spitzenvertreter der Deutschen Bischofskonferenz griffen Anfang dieses Jahres die Forderung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) auf, das im Mai 2015 für "eine Weiterentwicklung von liturgischen Formen, insbesondere Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften" plädierte. Der Konferenzvorsitzende, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, hält dies zumindest in Einzelfällen für möglich. Sein Stellvertreter, der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, betonte, eine Segnung sei keine Trauung. Allerdings: "Wir müssen in der Kirche ausführlicher darüber diskutieren. Schweigen und Tabuisieren führt nicht weiter und verunsichert."

Konservative Kirchenvertreter halten dagegen, teils in scharfen und provokanten Tönen. Salzburgs ehemaliger Weihbischof Andreas Laun schrieb im Februar auf dem ultrakonservativen Internetportal kath.net über die Vorstöße von Marx und Bode: "Den Segen kann man für den Sünder, aber nicht für die Sünde erbitten." Daraus folgt für ihn: "Also könnte man kein Bordell einweihen, kein KZ oder Waffen segnen, die nicht ausschließlich zur Jagd oder zur legitimen Verteidigung bestimmt sind." Dies gelte auch für die Mafia, Abtreibungskliniken sowie andere sündhafte Einrichtungen, die glaubensfeindliche Ideologien, antisemitische Inhalte und andere Formen rassenfeindlichen Denkens verbreiteten.

Kürzlich meldete sich Gerhard Ludwig Kardinal Müller zur Wort. Er erklärte Feindseligkeiten gegen Schwule und Lesben zum Lügengespinst totalitärer Kirchengegner. Befragt von der italienischen Journalistin Costanza Miriano, die als bekennende Katholikin seit vielen Jahren für den Sender RAI Vaticano über religiöse Themen berichtet, bezeichnete der Kardinal Homophobie als wissenschaftlich unhaltbare These. Aversionen gegen Schwule und Lesben seien "eindeutig eine Erfindung und ein Instrument der totalitären Dominanz über das Denken anderer".

"Homophobie ist ein Betrug, der dazu dient, die Leute zu bedrohen", erklärt der 70-Jährige, der von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg und von 2012 bis 2017 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre war, aber von Papst Franziskus gefeuert worden sein soll, was der Kardinal bestreitet. "Mit der Gnade Gottes" versuche die Kirche, auch Homosexuelle in ihr Herz zu schließen. "Es muss aber klar sein, dass lieben nicht heißt, der Gender-Propaganda zu gehorchen."

Homophobie als "konstruierte Wirklichkeit"

Miriano zitierte den Deutschen auf ihrem Blog mit den Worten: "Der homosexuellen Bewegung fehlen die wissenschaftlichen Argumente, weshalb sie eine Ideologie konstruiert hat, die herrschen will, indem sie sich ihre eigene Wirklichkeit konstruiert." Der Kardinal, der sich seit Jahren gegen die Neonaziszene stark macht, sprach von einem marxistischen Schema, wonach "nicht die Wirklichkeit das Denken schafft, sondern das Denken sich die Wirklichkeit".

Müller wehrte sich dagegen, wegen seiner Haltung pathologisiert zu werden, und zog eine Parallele zwischen Aktivisten der Schwulen- und Lesbenbewegung sowie nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen: "Wer diese konstruierte Wirklichkeit nicht akzeptiert, ist als krank zu betrachten", sagte er laut Miriano. "In der Sowjetunion wurden Christen in psychiatrische Kliniken gesperrt. Das sind die Mittel der totalitären Regime, des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Dasselbe widerfährt heute in Nordkorea jenen, die nicht das vorherrschende Denken akzeptieren."

Unter Verweis auf die weltweit zunehmende Diskriminierung, Verfolgung und Kriminalisierung Homosexueller wies der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) die These des katholischen Würdenträgers als so "unverschämt wie gefährlich" zurück. Es sei unverantwortlich, wenn religiöse Autoritäten zu konkreten Fällen von Diskriminierung und Gewalt gegenüber Lesben und Schwulen schwiegen, sie nicht eindeutig verurteilten oder wie Kardinal Müller gar verteidigten. Die Deutsche Bischofskonferenz sollte sich davon distanzieren.

Auf Anfrage von n-tv.de wollte sich die katholische Spitzenorganisation nicht äußern. "Wir kommentieren Kardinal Müller nicht und bitten dafür um Verständnis", hieß es. Der LSVD wertet den Verzicht auf eine Stellungnahme als Beleg, "wie tief gespalten und uneinig sich die römisch-katholischen Bischöfe in Deutschland in der Bewertung von Lesben und Schwulen, ihren Partnerschaften und ihren Familien" seien. Theologie-Professor Goertz bestätigte die Zerrissenheit in der Frage, sagte aber: "Schweigen ist in diesem Falle jedenfalls nicht als Zustimmung zu bewerten. Die Position von Kardinal Müller ist eine neben anderen."

Tatsächlich ist die Richtung unklar, was auch daran liegt, dass die Aussagen des Papstes verschieden interpretiert werden können. Kardinal Müller sieht sich in seiner Ansicht auf einer Wellenlänge mit Franziskus. Das Kirchenoberhaupt werde immer wieder mit dem Satz zitiert: "Wer bin ich, um zu urteilen?" Er habe damit den Katechismus wiedergegeben, wonach jede Person Respekt verdiene. "Zugleich sprach Franziskus aber auch von der Homo-Lobby."

Quelle: ntv.de, Mitarbeit: Andrea Affaticati

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