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Um Freiheit, Gleichheit und Respekt muss täglich neu gerungen werden.”

LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek (c) LSVDRede von LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek beim Festakt zum 10jährigen Jubiläum des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, liebe Gäste,

angesprochen auf das KZ in seiner Stadt sagte 1960 der damalige Bürgermeister von Dachau in einem Interview, dort seien nicht nur Helden gestorben: „Sie müssen sich daran erinnern, dass viele Verbrecher und Homosexuelle in Dachau waren. Wollen Sie ein Ehrenmal für solche Leute?”

Ich erinnere an das Martyrium von Leopold Obermayer aus Würzburg, 1934 von der Gestapo verhaftet, ins KZ Dachau verschleppt, dort aufs Schwerste misshandelt, in einem Schauprozess als „homosexueller Sittlichkeitsverbrecher“ zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt und schließlich 1943 in Mauthausen gestorben. Oder an Mary Pünjer, die im KZ Ravensbrück den Vermerk „asozial/lesbisch“ erhielt und 1942 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft vermutlich in der Anstalt Bernburg mit Gas ermordet wurde. Oder an Teofil Kosinski aus Polen, der Folter und jahreslanges Zuchthaus erleiden musste, weil er sich als 17jähriger in einen deutschen Soldaten verliebt hatte. Er starb 2003 ohne je eine Entschädigung von Deutschland erhalten zu haben. Das ist eine Schande.

Bis 2008 hat es gedauert, bis Deutschland dieses „Ehrenmal für solche Leute“ errichtet hat. Eine tapfere kleine Initiative hat es angestoßen und dann gemeinsam mit dem LSVD durchgesetzt.

Und heute ist erstmals ein deutsches Staatsoberhaupt hier bei uns. Sehr geehrter Bundespräsident, das bedeutet für uns Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen sehr, sehr viel!

2017 ist die Rehabilitierung der Opfer des § 175 auch nach 1945 weitgehend Gesetz geworden. Endlich. Auch in der Bundesrepublik hatte es für Homosexuelle lange Jahre keine Freiheit gegeben. 1963 prägte Hans-Joachim Schoeps den bitteren Satz: „Für die Homosexuellen ist das Dritte Reich noch nicht zu Ende.“

Der Rechtlosigkeit folgte eine lange Phase widerwilliger Duldung. Aber wir haben uns durchgebissen, Schritt für Schritt mehr Akzeptanz und Rechte erkämpft. Und ich sage in aller Unbescheidenheit: Das hat unsere ganze Gesellschaft freier und unser Land lebenswerter gemacht.

Die Zeit, in der wir Lesben und Schwule rechtlich nur Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse waren, ist noch nicht einmal zwölf Monate vorbei. Aber sie ist vorbei. Und diese Zeit darf nie, nie wiederkommen.

Wir stehen vor einem dynamischen Denkmal. Dank der Großzügigkeit von Michael Elmgreen und Ingar Dragset verändert es sein Innenleben immer wieder und wir können heute den neuen Film von Yael Bartana bewundern.

Zwei Männer, zwei Frauen küssen sich inniglich, intim — aber an einem der öffentlichsten Orte dieses Landes, im Herzen der Hauptstadt. In der NS-Zeit konnte ein Zungenkuss unter Männern bereits für eine Verurteilung nach § 175 ausreichen. Aus dieser Erinnerung heraus formuliert das Denkmal den Anspruch und das Recht von LSBTI, sich jederzeit frei und sichtbar im öffentlichen Raum bewegen zu können.

Und das ist trotz aller Fortschritte bis heute nicht erreicht. Ein Kuss in der Fußgängerzone, ein Kuss in der U‑Bahn kann auch heute noch Gefahr bedeuten. Woche für Woche gibt es homophobe und transfeindliche Übergriffe. Das darf eine demokratische Gesellschaft nicht kalt lassen.

Berlin gehört zu den wenigen Städten, in denen die Polizei die Motive für solche Hassgewalt auch öffentlich benennt. Die Dinge beim Namen zu nennen, ist Voraussetzung für jede Prävention, für Aufklärung und gezielte Hilfe für die Opfer.

Herr Regierender Bürgermeister, große Anerkennung und großen Dank für diese klare Haltung Berlins! Das sollten sich andere zum Vorbild nehmen.

Ich frage mich oft: Wo bleibt bei homophober und transfeindlicher Hasskriminalität der öffentliche Aufschrei? Warum hat hier noch nie ein Bundesinnenminister ein Maßnahmenpaket verkündet? Will man sich etwa nicht aus dem Fenster lehnen für „solche Leute“? Nicht nur Hetze, auch Schweigen kann verletzen. Es muss ein Ende haben.

Stichwort Hetze: Ich hätte vor 10 Jahren nicht gedacht, dass in deutschen Parlamenten wieder mit Vokabeln wie „entartet“ um sich geworfen wird. Häme, Verächtlichmachung und dies im Gestus stolz zur Schau getragener Gefühllosigkeit. All das legt die Diagnose nahe: In viel zu vielen Köpfen „ist das Dritte Reich noch nicht zu Ende“.

Alle nationalistischen und völkischen Ideologien haben über kurz oder lang immer auch das Homosexuelle, das geschlechtlich Uneindeutige, das Queere als das Fremde im Inneren ins Visier genommen. Denen auf den Leim zu gehen, die heute gegen „die Muslime“ oder „die Geflüchteten“ hetzen, ist nicht nur bedrückend, sondern auch unsagbar dumm. Ich sage hier für den LSVD klipp und klar: Wer die Grundrechte auch nur einer Gruppe in der Gesellschaft angreift, der greift uns alle an. Dazu sagen wir nein, nein, nein!

Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus führt vor uns Augen, was geschehen kann, wenn Hass und Hetze eine Gesellschaft vergiften, wenn eine Mehrheit gleichgültig wird gegenüber dem Leben Anderer, wenn sie Ausgrenzung und Entrechtung zulässt. Es gibt kein Ende der Geschichte. Um Freiheit, Gleichheit und Respekt muss täglich neu gerungen werden. Ein Ort wie dieser, ein Tag wie dieser geben uns Kraft dafür. Die Zukunft gehört der offenen, demokratischen Gesellschaft und nicht der Vergangenheit.

(Es gilt das gesprochene Wort)



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