Kein Platz für Toleranz in Russland Wie in WM-Städten gegen Homosexuelle gehetzt wird

Rostow · Mit aller Macht soll anscheinend verhindert werden, dass homosexuelle Paare während der WM ihre Zuneigung zueinander zeigen. Anders sind die jüngsten Maßnahmen nicht zu erklären. Ein ehemaliger Bundesliga-Spieler rät Spielern vom Outing ab.

 Vor dem WM-Start in Russland protestierten Homosexuelle in Berlin.

Vor dem WM-Start in Russland protestierten Homosexuelle in Berlin.

Foto: imago/ZUMA Press/Emmanuele Contini

Auf die gefürchteten Peitschenhiebe wollen sie während der WM verzichten. Immerhin. Vollkommen tatenlos zuschauen können die Kosaken in Rostow am Don wiederum auch nicht, wenn zwei Männer in aller Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschen. "Natürlich geben wir der Polizei dann Bescheid", sagt Oleg Barannikow, und er ergänzt vielsagend: "Den Rest regelt dann sie."

Barannikow ist der Sprecher jener paramilitärischen Einheit, die unweit der ukrainischen Grenze seinem Verständnis nach für Zucht und Ordnung sorgen wird. Natürlich nur dann, wenn man die Wertevorstellungen der Kosaken mit Füßen tritt. "Traditionelle Familienwerte und der orthodoxe Glaube stehen an erster Stelle", sagte Barannikow dem Radio Free Europe.

Übergriff auf homosexuelle Fans in St. Petersburg

Dass die Russisch-Orthodoxe Kirche Homosexualität keinesfalls gutheißt, sollte nicht weiter überraschen. Grotesk wird es allerdings, wenn die große WM-Bühne genutzt werden soll, um Fans aus aller Herren Länder diese Ansicht aufzudrücken. Anders können die Äußerungen jedenfalls nicht interpretiert werden, die Patriarch Kyrill tätigte.

"Die WM bietet eine ideale Chance, um den Menschen unsere Spiritualität zu erklären", ließ Kyrill über seinen Sprecher in der englischen Zeitung The Independent ausrichten: "Wir wollen die Sportgemeinschaft christlicher machen." Mit Nächstenliebe hatte das allerdings wenig zu tun, was sich im Umfeld der WM bislang ereignete.

Das für gewöhnlich gut informierte Onlineportal PinkNews berichtete wie andere Medien auch, dass es in St. Petersburg einen gewaltsamen Übergriff auf einen französischen WM-Fan und seinen Begleiter gegeben haben soll. Eine SID-Anfrage an die Pressestelle der Stadt blieb zunächst unbeantwortet, das Opfer soll bei dem Angriff schwere Kopfverletzungen erlitten haben.

Zudem wurde am Donnerstag in Moskau der britische Menschenrechtsaktivist Peter Tatchell vorübergehend in Gewahrsam genommen, weil er vor dem Kreml gegen die Behandlung Homosexueller protestierte. "In einem abnormalen Regime wie dem von Wladimir Putin kann es keine normale Sportveranstaltung geben", sagte Tatchell, ehe er von drei Polizisten in einen Streifenwagen gebracht wurde. Er wurde später wieder auf freien Fuß gesetzt und muss sich am 26. Juni vor Gericht verantworten.

Roman Neustädter rät Profis von Outing ab

 Roman Neustädter im Trainingsoutfit der russischen Nationalmannschaft.

Roman Neustädter im Trainingsoutfit der russischen Nationalmannschaft.

Foto: dpa/Marius Becker

Zu Beginn der Weltmeisterschaft hat sich mit Roman Neustädter ein ehemaliger Bundesliga- und russischer Nationalspieler zum Thema Homosexualität zu Wort gemeldet. Er rät schwulen Fußballprofis davon ab, sich zu outen. „Ein Coming-out könnte Spieler die Karriere kosten. Ich denke, dass die Gesellschaft und die Leute noch nicht so weit sind. Wenn sich heute ein schwuler Profi outen würde, wären die Reaktionen in den Stadien wahrscheinlich extrem“, sagte der ehemalige Mönchengladbacher und Schalker Profi der „Welt“.

Der in der heutigen Ukraine geborene siebenmalige russische Nationalspieler, der von Trainer Stanislaw Tschertschessow nicht für die WM nominiert wurde, glaubt nicht an einen öffentlichen Sinneswandel: „Das System ändert sich nicht. Fußball bleibt wahrscheinlich immer dieser harte Männersport, in dem Schwule unerwünscht sind“, sagte der 30 Jahre alte Mittelfeldspieler von Fenerbahce Istanbul.

Zur Diskussion über eine besonders ausgeprägte Homophobie im WM-Gastgeberland Russland äußerte sich Neustädter diplomatisch: „Ich kann das nicht einschätzen, denn ich lebe nicht in Russland. Dafür bin ich zu weit weg. Ich weiß aber, dass Russen deutlich toleranter sind, als sie manchmal dargestellt werden.“

Schilder: "Schwuchteln sind nicht willkommen“

Homosexualität ist in Russland offiziell zwar nicht verboten, seit 2013 wird qua Gesetz die sogenannte "homosexuelle Propaganda gegenüber Kindern und Jugendlichen" aber mit drastischen Strafen belegt. Schon im Vorfeld hatte der deutsche Lesben- und Schwulenverband (LSVD) die Organisatoren daher in die Pflicht genommen. So müsse die FIFA unmissverständlich klarstellen, "dass die von ihr verabschiedeten Richtlinien für Menschenrechte nicht nur Augenwischerei und heiße Luft sind", forderte LSVD-Bundesvorstand Christian Rudolph.

Gruppierungen wie die Kosaken kann der Fußball-Weltverband allerdings nicht einfach so auflösen - auch wenn er es wollte. Schilder, wie sie an einer Bäckerei in Rostow hängen und der eigentliche Skandal sind, wird es auch weiter geben. "Faggots not allowed", stand dort geschrieben: "Schwuchteln sind nicht willkommen.“

(SID/DPA/cbo)
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