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Ausgeliefert
Homophobie in der Asyl-Anhörung

Jeder Asylbewerber hat das Recht auf eine neutrale Anhörung, ohne Vorurteile, ohne Homophobie. In einigen Fällen geht das aber offenbar schief. Kritiker berichten von mangelndem Fingerspitzengefühl oder gar offenem Schwulenhass. Unter anderem - aber nicht nur - vonseiten der Übersetzer.

Von Manfred Götzke | 18.10.2018
    Ein Asylbewerber mit Übersetzer bei einem Entscheider des BAMF
    Ein Asylbewerber mit Übersetzer beim BAMF (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    "I was one of the lucky people." - Ich gehöre zu den Glücklichen, sagt der Ägypter Ali immer wieder, als er von seiner Asyl-Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erzählt. Denn im Gegensatz zu anderen homosexuellen Asylbewerbern kannte Ali seine Rechte sehr genau, als er sein Interview beim BAMF hatte:
    "Ich habe mich vorher vom Lesben- und Schwulenverband beraten lassen – und ein Kollege vom Verband war auch bei der Anhörung dabei."
    Ali, der eigentlich anders heißt, anonym bleiben will, ist LGBT-Aktivist und hat im letzten Jahr ein Praktikum beim Lesben- und Schwulenverband in Köln gemacht. Er war noch in Deutschland, als immer mehr bekennende Schwule und Lesben aus seinem Bekanntenkreis in Ägypten verhaftet und gefoltert wurden, erzählt er. Ali entschied sich in Deutschland Asyl zu beantragen.
    "Ich habe darum gebeten, dass die Anhörung auf Englisch läuft – und ich wollte eine weibliche Entscheiderin, die sich mit der Situation von Homosexuellen auskennt. Allerdings hat nichts davon geklappt."
    "Der Dolmetscher hat ihn auf Arabisch beschimpft"
    Bei seiner Anhörung sei dennoch alles in Ordnung gewesen. Einem seiner ägyptischen Bekannten, der ebenfalls anonym bleiben muss, ging das ganz anders:
    "Der Dolmetscher hat ihn auf Arabisch beschimpft. Der Entscheider hat das natürlich nicht direkt mitbekommen, der konnte ja kein Arabisch. Und dann wollten die Infos von seinem Telefon haben, sind dafür in einen Nebenraum gegangen, wo der Entscheider nicht dabei war. Dort wurden die Daten ausgelesen, obwohl von ihm sein Pass abgegeben wurde. Das ist absolut illegal."
    Auf dem Weg zurück ins Büro des Entscheiders ist noch ein Qualitätssicherer dazu gekommen, erzählt Ali.
    "Der meinte auf Arabisch: Wir werden unser Bestes geben, damit du abgelehnt und abgeschoben wirst. Haben sie dann auch. In der Anhörung haben die ihn immer wieder unterbrochen – die haben irgendwas übersetzt, und er bekam eine Ablehnung."
    Alis Bekannter klagt nun gegen den Entscheid. Konfrontiert mit dem Fall antwortet das BAMF auf Anfrage des Deutschlandfunks:
    "Grundsätzlich nimmt das Bundesamt alle eingehenden Hinweise sehr ernst und als Anlass, den beschriebenen Sachverhalt zu prüfen. Dem Bundesamt ist der Einsatz neutraler Dolmetscher sehr wichtig, daher wird Hinweisen auf Fehlverhalten von Dolmetschern immer nachgegangen."
    Hat das BAMF ein Dolmetscher-Problem?
    Das Amt will sich den Fall noch einmal ansehen. Ali, der sich beim LSVD beim Projekt "Queer Refugees Deutschland" engagiert, hatte schon mehrfach mit solchen Fällen zu tun. Nicht die BAMF-Entscheider selbst seien dabei das Problem, sondern die Dolmetscher, sagt der 40-jährige IT-Ingenieur. Sie stammten oft aus Ländern, in denen Homosexuelle verfolgt werden.
    Wie bei jedem Asylverfahren befragen die BAMF-Entscheider auch verfolgte Homosexuelle zu deren konkreten Fluchtursachen: Wie groß ist etwa die Gefahr, wegen einer bestimmten sexuellen Orientierung im Gefängnis zu landen? Wie die Entscheider dabei vorgehen, dazu schreibt das Bamf:
    "Es ist Auftrag des Bundesamts, die vorgetragenen Fluchtursachen auf Glaubhaftigkeit zu prüfen. Unsere Entscheider werden in diesem Bereich speziell geschult. Die Glaubhaftmachung setzt einen schlüssigen Sachvortrag voraus. Hierzu gehört die lückenlose Schilderung der in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere der persönlichen Erlebnisse."
    Eine neutrale Anhörung, bei der der Asylsuchende sich in der Lage sieht, alle Informationen zu seiner Fluchtgeschichte angstfrei zu berichten, das sei dabei zentrales Anliegen des Bundesamts:
    "Dolmetscher haben für die Entscheider des BAMF bei der persönlichen Anhörung lediglich unterstützende Funktion. Die Steuerung des Anhörungsgeschehens obliegt ausschließlich den Entscheiderinnen und Entscheidern. Dementsprechend gehen sie bei einer Anhörung von Personen mit geschlechtsspezifischer Verfolgung stets in einer an das individuelle Verfolgungsschicksal angepassten Form vor und leiten, instruieren und sensibilisieren auch die dolmetschenden Personen in entsprechender Weise."
    "Nicht immer mit dem nötigen Fingerspitzengefühl"
    Dass dies nicht immer und nicht immer gut funktioniert, kritisiert die SPD-Bundestagsabgeordnete Bärbel Kofler. Sie ist die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung:
    "Bei mir kommen natürlich immer wieder Einzelfälle, Einzelschicksale an, wo man merkt, dass mit dem ganz schwierigen Thema Homosexualität, das in vielen Gesellschaften auch ein Tabuthema ist, nicht immer mit dem nötigen Fingerspitzengefühl umgegangen wird. Ich glaube, da bedarf es viel Einfühlungsvermögen – und auch guter Übersetzer. Mich erreichen auch Klagen, dass es gerade da auch zu Problemen kommt."
    Klaus Jetz versucht den BAMF-Entscheidern das nötige Fingerspitzengefühl beizubringen. Der Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland schult sie in – wie er es nennt - "Regenbogenkompetenz":
    "Wir erzählen ihnen, wie es in Herkunftsländern aussieht, wie es Schwulen, Lesben und auch Transleuten geht, wie die rechtliche Lage ist und auch die gesellschaftliche Situation. Allein die Tatsache, dass wir hingehen müssen und die Leute schulen müssen, ist ja schon bezeichnend."
    "Sie sehen für mich gar nicht schwul aus"
    Die häufigste Frage bei seinen Schulungen: Wie erkenne ich denn überhaupt, ob jemand wirklich schwul ist?
    "Ja, man darf keine intimen Fragen stellen. In Tschechien hat man Schwulen Filme gezeigt, um zu sehen, wie die darauf reagieren. Das ist absolut verboten. Ich kann dann auch nur sagen, es gibt sicherlich Einzelfälle, die sagen, sie seien schwul und es ist nur vorgeschoben. Aber die Gesellschaften, wo die herkommen, sind so homosexuellenfeindlich, dass schon etwas dazu gehört zu sagen, ich bin schwul oder ich bin eine Lesbe."
    Alis Verfahren ist mittlerweile abgeschlossen, er darf dauerhaft in Deutschland bleiben. Trotzdem regt er sich immer wieder auf – wenn er an seine Anhörung zurückdenkt.
    "Mein Entscheider meinte am Ende unseres Gesprächs, obwohl er alle Beweise gesehen hat – und mir ja auch geglaubt hat: Ich weiß ja nicht, Sie sehen für mich gar nicht schwul aus. Schon seltsam eigentlich."