Auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im eigenen Wohngebäude – überall werden Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer sexuellen Identität angegriffen. Allein für die Hauptstadt zählte die Polizei 2017 mindestens 139 Straftaten gegen LGBTIQ (englische Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual, Queer), die meisten davon Gewaltdelikte (49). Vorläufige Zahlen für 2018 deuten auf ähnliche Fallzahlen bis zum Jahresende hin. Die Zahlen stellte das Berliner Polizeipräsidium gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg vor.

Demnach wurden vor allem Männer als Opfer erfasst (2017: 51 männliche Personen, 9 weibliche Personen, 1 unbekannt). Die häufigsten Tatorte sind das sogenannte öffentliche Straßenland und der öffentliche Nahverkehr. Die Aufklärungsquote lag bei 44 Prozent, es werden also weniger als die Hälfte aller Fälle aufgeklärt. Die Berliner Statistik gibt auch einen Hinweis auf Tatverdächtige: Von 74 erfassten Tätern waren die meisten deutsche Staatsbürger (44), die anderen stammten unter anderem aus Serbien und Montenegro (6), Rumänien (5) und Polen (3).

Bis zu 90 Prozent nicht angezeigt

Die Dunkelziffer könnte deutlich höher liegen. Anne Grießbach-Baerns von der Berliner Polizei sagte dem Sender rbb: "Wir schätzen, dass 80 bis 90 Prozent der Fälle nicht angezeigt werden." Maneo, das Schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin, hat für die Hauptstadt im vergangenen Jahr 324 Fälle mit homophobem oder transphobem Hintergrund registriert, also fast dreimal so viele wie die Berliner Polizeistatistik. Bundesweit spricht Maneo von 801 Fällen (2016: 659; 2015: 555). 

Das Bundeskriminalamt selbst zählte in seiner Statistik zu Fällen politisch motivierten Kriminalität (PMK) im vergangenen Jahr bundesweit 313 Straftaten im Themenzusammenhang "sexuelle Orientierung" (Stichtag 31.01.18). Die Zahlen beziehen sich auf einen Anfangsverdacht und können im späteren Verlauf der Ermittlungen noch abweichen. Insgesamt hat sich die Fallzahl in den vergangenen Jahren vervielfacht: 2001 wurden noch 48 Fälle erfasst, 2011 waren es 148 und 2017 insgesamt 316.

Die Polizei erfasst Gewalt wegen sexueller Orientierung in der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität (PMK), die nicht vergleichbar ist mit der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). In die PMK-Statistik fallen Delikte, bei denen es bei der Aufnahme der polizeilichen Ermittlungen den Verdacht gibt, gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verstoßen. Dazu gehören auch Straftaten gegen Einzelpersonen wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes darunter, und wegen ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status. In der bundesweiten PKS, die nur abgeschnlossene Ermittlungen unabhängig vom Zeitpunkt der Tatbegehung beinhaltet, werden solche Straftaten nicht gesondert nach Unterthemen herausgestellt.

Anmerkung: In einer früheren Version hieß es, es gebe keine bundesweite Statistik zu Straftaten wegen sexueller Orientierung. Die Angabe beruhte auf einer Auskunft des Bundeskriminalamts (BKA) zur PKS. Die Behörde hat ein Missverständnis eingeräumt und Zahlen aus der PMK nachgereicht; wir haben die Informationen entsprechend korrigiert.