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Bundestag will Schotten dicht machen

Trotz Homo-Verfolgung: Bundes­regierung erklärt Maghreb-Staaten für "sicher"

Die Große Koalition hat gemeinsam mit AfD und FDP für die Verleihung des Prädikats "sicher" an drei Staaten gestimmt, die Homosexuelle verfolgen lassen. LGBTI-Aktivisten beklagen, dass damit die Verfolgung bagatellisiert werde.


Der Bundestag debattierte zum wiederholten Male darüber, ob die Maghrebstaaten "sicher" sind

Der Bundestag hat nach einer gut einstündigen Debatte am Freitagvormittag mit 509 gegen 138 Stimmen bei vier Enthaltungen die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien sowie von Georgien als "sichere Herkunftsstaaten" beschlossen – das entspricht einer Zustimmungsquote von fast 80 Prozent. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung (PDF) votierten Parlamentarier von CDU/CSU, SPD, AfD und FDP, Ablehnung kam von Linken und Grünen. Nun geht der Entwurf an den Bundesrat. Dort hängt die Zustimmung davon ab, ob sich Länder mit Regierungsbeteiligung von Linken oder Grünen zu einem "Ja" durchringen können.

Befürworter der Neueinstufung der nordafrikanischen Länder und Georgiens argumentieren, dass die Anerkennungsquote von Flüchtlingen von dort so gering ist, dass man praktisch sagen könne, dass die meisten Ankömmlinge als "Asylbetrüger" angesehen werden könnten. Menschenrechtler kritisieren das Vorhaben, da in diesen Ländern Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit mit Füßen getreten werden. So werden beispielsweise Demonstranten und Journalisten regelmäßig verhaftet.

LGBTI-Aktivisten beklagen besonders, dass alle drei Maghreb-Staaten Homosexualität unter Strafe stellen – und es regelmäßig Berichte über Verurteilungen gibt. Allein in Tunesien wird von über mindestens 70 Festnahmen bzw. Verurteilungen im Jahr 2017 berichtet. Erst vor wenigen Wochen warf die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dem Land außerdem vor, Homosexuelle mit "Anal-Tests" zu foltern (queer.de berichtete). Es sei, so Menschenrechtler, fatal, wenn die Bundesregierung den Verfolgerstaaten signalisiere, dass Deutschland immer noch kein Problem damit hat, wenn Schwule und Lesben wegen ihrer sexuellen Orientierung eingekerkert werden.

"Die Einstufung der Maghreb-Staaten als sogenannte sichere Herkunftsstaaten wäre eine skandalöse Verharmlosung der dortigen Menschenrechtslage", erklärte etwa Marion Lüttig, ein Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD). "Staaten, die Homosexualität kriminalisieren, sind nicht sicher, sondern sind Verfolgerstaaten." Für Lüttig ist es bizarr, dass der Bundestag 2017 geschlossen die Rehabilitierung strafrechtlich verfolgter Homosexueller beschließt, aber gleichzeitig bagatellisiere, wenn im Ausland heute Homosexuelle verfolgt werden. "Arabische Lesben und Schwule haben gleiche Menschenwürde wie deutsche!", sagte Lüttig. Wer für die Anerkennung von Verfolgerstaaten stimme, werfe die Bemühungen zur Entkriminalisierung von Homosexualität "massiv" zurück und minimiere das Recht von Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung staatliche Verfolgung erlitten.

Dennoch schert sich die Bundesregierung, angetrieben von den starken Wahlergebnissen der ausländerfeindlichen AfD, bislang wenig um die Argumente von Menschenrechtlern. In der Debatte erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der Regierungsentwurf diene dem "Zurückdrängen missbräuchlicher Inanspruchnahme des Asylrechts". Aus den vier angesprochenen Ländern gebe es ohnehin vor vorne herein sehr geringe Erfolgsaussichten. Der individuelle Anspruch auf Asyl bleibe jedoch erhalten, versicherte der frühere bayerische Ministerpräsident. Über die Verfolgung Homosexueller verlor der Minister keine Silbe. Unterstützung erhielt Seehofer vom auf ihn folgenden AfD-Politiker Lars Herrmann. Der Leipziger zeigte sich zufrieden, dass man jetzt Asylverfahren "recht flott" abschließen könne.


Lindh (SPD): Keine systematische Verfolgung

Der SPD-Politiker Helge Lindh verteidigte ebenfalls den Entwurf der Bundesregierung. Als erster in der Debatte erwähnte der Wuppertaler die Probleme mit Menschenrechten in diesen Ländern, verharmloste die Verfolgung aber: Homosexualität werde "nicht auf eine Weise anerkannt, sondern auch diskriminierend behandelt", so Lindh. Außerdem bestritt er, dass "systematisch" und "durchgängig" in diesen Ländern verfolgt werde. Zur Erinnerung: In allen drei Ländern drohen Homosexuellen bis zu drei Jahre Haft.

Lindh sagte auch, dass seine Fraktion eine spezielle Rechtsberatung für "vulnerable Gruppen" durchgesetzt habe, der inzwischen im Gesetzentwurf durch Ausschussempfehlung (PDF) enthalten sei. Daher sei die Kritik falsch. Menschenrechtlern warf er vor, aus einer "Position der Selbstgerechtigkeit" heraus zu argumentieren. Man dürfe nicht den hohen deutschen Maßstab an diese Länder anlegen.


Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg ging daraufhin weniger auf den Entwurf ein, sondern setzte die liberale Dauerfehde mit der grünen Fraktion fort. Die Grünen würden blockieren, die CDU würde die Ökopartei wegen schwarz-grüner Koalitionen hätscheln, dabei wolle man mit der Verleihung des Prädikats "sicher" doch nur ein "Minimalziel" erreichen, so Teuteberg. Über Verfolgung von Minderheiten in Algerien, Marokko und Tunesien verlor die Brandenburgerin kein Wort. In einem abgelehnten Zusatzantrag wollte die Fraktion eine Überprüfung weiterer Länder auf ihren Status erreichen.

Als erste Sprecherin gegen den Regierungsentwurf ging daraufhin Ulla Jelpke (Die Linke) ans Rednerpult. Wenn pauschal angenommen werde, "dass in einem Land keine Verfolgung stattfindet", könne es auch keine unvoreingenomme Prüfung der Asylgesuche geben, sagte die 67-Jährige. "Besonders verwerflich" sei es, wenn Länder als sicher eingestuft würden, die Minderheiten gezielt verfolgten. Das werde von der Bundesregierung aber "rotzfrech verharmlost" – etwa wenn der SPD-Politiker Lindh statt von Strafverfolgung nur von "Diskriminierung" spreche. Außerdem erinnerte sie an weitere Menschenrechtsverletzungen, die nicht akzeptabel seien – in Algerien sei etwa Vergewaltigung teilweise straffrei, außerdem gebe es laut "Amnesty International" Folter und Misshandlungen.


Die Grünenpolitikerin Luise Amtsberg bezeichnete daraufhin die im Gesetzentwurf enthaltene Rechtsberatung für besonders Schutzbedürftige als "Feigenblatt", das am Ende kaum reale Auswirkungen habe. Sie appellierte an die Bundesregierung, sich an die Fluchtursachen zu machen. So schlug sie vor, die Einstufung als "sicher" an Bedingungen für diese Länder zu knüpfen, etwa bei den Menschenrechten. Man lehne den Gesetzentwurf nicht aus ideologischen Gründen ab, wie es den Grünen immer wieder von Union, FDP und AfD vorgeworfen werde. "Wir finden es einfach falsch". Dieser Gesetzentwurf sei lediglich eine "Ersatzhandlung", da die Große Koalition "bei so vielen Baustellen ideenlos" agiere.

Ein Land, das Liebe unter Strafe stellt, ist nicht sicher. Deswegen haben wir im Bundestag dagegen gestimmt, dass…

Gepostet von Sven Lehmann am Freitag, 18. Januar 2019
Facebook / Sven | Der Grünen-Abgeordnete Sven Lehmann zeigte auf Facebook seine Überzeugung, das ein Land, das Homosexuelle verfolgt, nie sicher sein kann
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Als nächster Redner warf Thorsten Frei (CDU) den Grünen pauschal "Populismus" wegen ihrer Haltung zu den sicheren Herkunftsstaaten vor und attestierte, dass die meisten Flüchtlinge aus diesen Ländern "aus ökonomischen Gründen" nach Deutschland kämen. Er appellierte an die Ökofraktion, die Akzeptanz für das deutsche Asylrecht zu erhalten. Dann könne man sich auf diejenigen konzentrieren, "die besonders schutzbedürftig sind".

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Maier (AfD): Man kann Nordafrikaner nicht an "europäischem Niveau" messen

Freis Rede sorgte für Entzücken beim AfD-Politiker Lothar Maier. Der 77-Jährige freute sich, dass die CDU genauso argumentiere wie seine Partei und ihre Positionen übernommen habe. Laut Menschenrechtlern gebe es in "keinem dieser vier Länder so etwas wie systematische Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder brutale Strafen", behauptete Maier. Lediglich "im Detail" sei manches "verbesserungswürdig". Man dürfe diese Länder in Nordafrika eben nicht an "europäischem Niveau" messen. Die Kritik von Linken sei außerdem "beleidigend gegenüber diesen vier Partnerländern". Über Homosexuellenverfolgung verlor der Rechtspopulist wie erwartet keine Silbe.


Drei weitere Redner von Union und FDP konzentrierten sich in ihren Reden auf Attacken auf die Grünen, weil diese das Projekt im Bundesrat noch stoppen können. Alexander Throm (CDU) attestierte der Ökopartei, eine "Debatte aus Ideologie" zu führen, und machte "alte Fundis" dafür verantwortlich. Er warnte davor, dass die Akzeptanz des gesamten Asylrechts "in Gefahr" sei: Viele Bürger fühlten sich "ausgenutzt", wenn Asylbewerber "viele Sozialleistungen" erhielten.

Der FDP-Politiker Stephan Thomae ergänzte, man müsse pragmatisch sein. Josef Oster (CDU) attestierte den Grünen eine "weltfremde Blockadehaltung" und erklärte, so würde das Signal ausgesendet, "dass nahezu jeder eine Chance auf Asyl in Deutschland hat". Über Verfolgung von Homosexuellen oder anderen Minderheiten in den Maghreb-Staaten sprachen die letzten Redner nicht.


Nun geht der Gesetzentwurf weiter an die Länderkammer. Dort soll er Mitte Februar behandelt werden. Im Jahr 2017 war ein ähnlicher Gesetzentwurf am Widerstand von Grünen und Linken gescheitert (queer.de berichtete). Noch ist aber unklar, ob insbesondere die Grünen dem Druck aus der Union standhalten können.

Für Asylbewerber hat die Einstufung ihres Landes als "sicher" praktische Folgen: Anträge werden im Regelfall als "offensichtlich unbegründet" abgewiesen. Nach einem verkürzten Verfahren droht eine schnelle Abschiebung. Das BAMF hatte in den letzten Jahren mehrfach gegen queere Asylbewerber entschieden. Antragsteller landen in "besonderen Aufnahmeeinrichtungen" und unterliegen während des Verfahrens einem Arbeitsverbot, das auch bei einer späteren Duldung gilt, und nehmen nicht an Integrationskursen teil.

#1 PatroklosEhemaliges Profil
  • 18.01.2019, 11:46h
  • Die Entscheidung und vor allem das Ergebnis der Abstimmung war zu erwarten. Als nächstes ist der Bundesrat nun am Zug.
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#2 PfuiAnonym
#3 PfuiAnonym
  • 18.01.2019, 12:03h
  • Und natürlich auch Pfui an die FDP, die wieder mal ihr wahres Gesicht gezeigt hat.

    Und für die AfD eh.
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