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Politik

Spahn will Homosexuellen-„Heilung“ schnell verbieten

Der Gesundheitsminister drängt sein Haus bei einem gesetzlichen Verbot sogenannter Konversionstherapien zur Eile

Was wäre wohl los, wenn vermeintlich seriöse Psychotherapeuten oder Institute, die als gemeinnützig anerkannt sind, Therapien anböten, um aus Heterosexuellen Homosexuelle zu machen? Die Folge wäre eine Debatte, die mit dem Begriff „lebhaft“ sicher nur unzureichend beschrieben wäre. Dabei gibt es Therapien solcher Art – und zwar für Menschen, die homosexuell sind. Sie sollen dabei zu Heterosexuellen gemacht werden.

Das Thema ist durch den Kinofilm „Der verlorene Sohn“ mit Russell Crowe und Nicole Kidman inzwischen sogar einer breiten Öffentlichkeit präsent. Eine Petition, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) aufforderte, die Therapien, die von den Anbietern euphemistisch Konversions- oder sogar Reparativtherapien genannt werden, zu verbieten, fand rund 80.000 Unterstützer. Interessengruppen trommeln derzeit für ein Verbot. Fachorganisationen von Psychotherapeuten und Psychiatern verdammen diese Psychotherapien seit Jahren als gefährlich und schädlich.

Spahn, selbst schwul, hat trotzdem lange gezögert, ein Verbot in Aussicht zu stellen. Zwar sprach er im vergangenen Sommer davon, dass solche Therapien „Körperverletzung“ seien; Homosexualität müsse nicht therapiert werden, weil sie keine Krankheit sei. Er wisse aber nicht, wie ein Verbot aussehen könne. Inzwischen hat der Minister seine Haltung geändert. Vor zehn Tagen stellte er ein Gesetz dazu bis zum Sommer in Aussicht. Dafür soll eine Studie bei der Magnus-Hirschfeld-Stiftung bestellt werden; die soll klären, wie Verbote etwa in Malta oder Australien umgesetzt wurden und was man davon lernen kann. Mit Justizministerin Katarina Barley (SPD) ist Spahn bereits im Gespräch. Dass sie bremst, ist unwahrscheinlich. Als wenig agil erwies sich jedoch bisher Spahns Ministerium selbst.

Die „taz“ berichtete am Dienstag gar, dass es aus dem Haus heiße, in Bezug auf ein Gesetz zur Homosexuellen-„Heilung“ sei noch keine Entscheidung gefallen. Die FDP ging Spahn daraufhin als „Bluffminister“ an, der nicht halte, was er verspreche. Auf WELT-Nachfrage stellte der Gesundheitsminister klar: „Sie können davon ausgehen, wenn es der Minister eilig hat, hat es auch das Haus eilig.“ Spahn macht seinen Leuten Druck, zügig an einer Umsetzung zu arbeiten. Die diesbezüglichen Schwierigkeiten dürften indes nicht kleiner geworden sein. Das liegt an der Sache, um die es geht. Denn die ist nur auf den ersten Blick einfach erklär- und fassbar.

Es geht also um Angebote, die Menschen anbieten, ihre sexuelle Orientierung zu wechseln. Alle Anbieter auf dem Markt haben einen religiösen Hintergrund. Oft stammen sie aus dem protestantisch evangelikalen Bereich. Die Therapien werden dabei geschickt gegen Kritiker verteidigt. Es wird argumentiert, dass sie gerade nicht dazu angetan seien, die freie Entfaltung der Sexualität der Kandidaten zu behindern, sondern sie im Gegenteil zu fördern. So spricht das „Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft“ davon, dass es sich bei jenen, die ihre Sexualität ändern wollten, um „eine übersehene Minderheit“ handle. Das Institut verweist also auf „das Recht jedes Menschen mit ungewünschten homosexuellen Empfindungen, konstruktive Wege zur Abnahme dieser Gefühle gehen und dafür auch therapeutische, seelsorgerliche und andere Unterstützung in Anspruch nehmen zu können“.

Heterosexuelle „Potenziale“ sollen dabei entwickelt werden. Die Umpolung wird also zu einem Menschenrecht stilisiert – womit im Umkehrschluss das Verbot des Konversionsversuchs zu einem Unrecht umgedeutet wird. Die Szene ist international vernetzt. Das genannte Institut etwa bezeichnet sich als Partner von „The Alliance for Therapeutic Choice and Scientific Integrity“, einer amerikanischen Organisation, die auf ihrer Website dezidiert verneint, dass Homosexualität genetisch oder biologisch vorbestimmt sei. In den USA, mit ihren zahlreichen radikalen religiösen Gruppierungen, ist die Konversionstherapie ein „big business“. Stets betonen die Organisationen hier wie dort, keine homophobe Grundhaltung zu haben. Gleichzeitig wird allerdings den Interessierten schon im ersten Kontakt Angst gemacht, indem etwa auf der englischsprachigen Website behauptet wird, dass homosexuelles Verhalten grundsätzlich „ein höheres psychisches und körperliches Gesundheitsrisiko“ bedinge.

Bewusst wird bei den deutschen Anbietern darauf hingewiesen, dass die Therapeuten die „Betroffenen ergebnisoffen“ begleiteten. Das macht es für den Gesetzgeber noch schwerer, diese Therapien auch vollständig und ohne ein Schlupfloch zu lassen, zu verbieten. Bei den Krankenkassen kann eine entsprechende Therapie sogar abgerechnet werden. Die Diagnose lautet dann „Ichdystone Sexualorientierung“. Eine solche wurde im Jahr 2016 in Deutschland 600 Mal abgerechnet. Allerdings bedeutet dies nicht, dass sich dahinter lauter Homosexuellen-„Heilungen“ verbergen. Es kann sogar das Gegenteil der Fall gewesen sein. Eine Therapie bei dieser Diagnose kann explizit der Annahme der eigenen Sexualität gewidmet sein. Diese will Spahn natürlich nicht verbieten. Er bekannte denn auch bei der Ankündigung des Verbotsgesetzes: „Die Debatte krankt daran, dass jeder sagt: Müssen wir regeln. Eine Petition ist schnell geschrieben. Die Frage, wie wir das konkret regeln, ist noch nicht beantwortet.“

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ist jedoch überzeugt, dass das Gesetz in jedem Fall eine wichtige symbolische Wirkung entfalten werde. „Eine explizite Haltung, ein Verbot durch den Gesetzgeber erleichtert es jenen, die etwa von der Familie gedrängt werden, Konversionsversuche zu unternehmen, sich dem zu verweigern“, sagt Markus Ulrich vom LSVD. Dies könne die Annahme der eigenen Sexualität fördern. Zudem müsse es aber natürlich auch Strafen geben für jene, die weiter solche Therapien anbieten. „Es muss geklärt werden, ob solchen Organisationen die Gemeinnützigkeit entzogen werden kann oder ob sie etwa ihre Mitgliedschaft in der Diakonie verlieren.“

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