Personenstandsgesetz

Politik und Verbände fordern: Seehofer muss seine Drohkampagne beenden

26. Apr. 2019
Horst Seehofer © Henning Schacht

Das mangelhafte Gesetz des Innenministerium zur „Dritten Option“ sorgt weiterhin für Chaos und offenbart die transfeindliche Politik Seehofers. Nun hagelt es Kritik von Grünen und Verbänden

Die Grünen haben in einer heute veröffentlichten Pressemitteilung gefordert, dass Bundesinnenminister Seehofer (CSU) seine Drohkampagne gegen Ärzt*innen und Standesbeamte zu beenden habe. Das Bundesinnenministerium (BMI) hatte letzte Woche ein Rundschreiben an Standesämter und übergeordnete Behörden geschickt und darauf hingewiesen, dass das seit Anfang 2019 geltende, erneuerte Personenstandsgesetz nur von inter Personen genutzt werden dürfe, die „biologisch weder eindeutig dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden“. In dem Schreiben wurde behauptet, trans* oder nicht-binäre Personen hätten kein Anrecht darauf, das Gesetz für sich in Anspruch zu nehmen.

Auch Ärzt*innen, die trans* Personen eine Bescheinigung ausstellen, mit der sie zum Standesamt gehen können, machten sich laut BMI unter Umständen strafbar. (SIEGESSÄULE berichtete)

Das Innenministerium hatte zwar angekündigt, dass die neue Regelung im Personenstandsgesetz (§45b) nur für inter* Personen mit einer bestimmten medizinischen Diagnose gelten solle. Allerdings fand sich diese Einschränkung im Gesetzestext nicht wieder. Es reicht eine einfache ärztliche Bescheinigung, nach der bei einer Person eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt. Was genau darunter zu verstehen ist, ist im Gesetz nicht definiert.

Expert*innen, Verbände und politische Parteien hatten schon vor Beschluss des Gesetzes deutlich betont, dass ein „Sondergesetz“ für inter Personen auch verfassungswidrig gewesen wäre.

Auf eine schriftliche Nachfrage vom 16.04. des Bundestagsabgeordneten Sven Lehmann zum Personenstandsgesetz gab die Bundesregierung nun folgende Zahlen heraus: Seit Inkrafttreten des Gesetzes bis Ende März haben bundesweit rund 220 trans* Personen einen Wechsel des Personenstandes beantragt (114 Personen von „männlich“ zu „weiblich“ und 106 Personen von „weiblich“ zu „männlich“). Daten für Niedersachsen und Schlesweg-Holstein sind noch nicht bekannt. Als Tendenz zeigt sich aber bereits: Die Zahlen liegen deutlich über den Anträgen auf den Geschlechtseintrag „divers“.

Die Bundesregierung habe keine Erkenntnisse darüber, wie viele dieser Fälle positiv oder negativ beschieden wurden. Die Anerkennung des Geschlechtseintrages beim Standesamt war nach Recherchen von SIEGESSÄULE und buzzfeed bisher reine Glückssache. Trans* Personen berichten von sehr unterschiedlichen Erfahrungen, die sie mit den Standesämtern gemacht haben. So berichtete Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.) über den Fall eines trans* Paares in Leipzig, das gemeinsam zum Standesamt gegangen war. Ein Antrag ging durch, der zweite wurde erst einmal „vorübergehend ausgesetzt“, obwohl die Vorgehensweise der beiden Antragsteller*innen vollkommen identisch war.

Sven Lehmann, Sprecher für Queerpolitik der Grünen im Deutschen Bundestag, sagt zu dieser Entwicklung: „Horst Seehofer steht vor dem Ergebnis seines selbst produzierten Chaos. Wer ein handwerklich schlechtes Gesetz verabschiedet, der muss nun mit den Konsequenzen leben, statt anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben und inter- und transgeschlechtlichen Menschen das Leben weiter schwer zu machen.“

Es brauche ein Gesetz, das auf Selbstbestimmung beruhe. Das sei bisher vor allem an der „Ideologie in der Union“ gescheitert. Das neue Personenstandsrecht müsse verfassungskonform ausgelegt werden. Denn laut Bundesverfassungsgericht hänge die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht „nicht allein von den Geschlechtsmerkmalen bei der Geburt ab, sondern im Wesentlichen davon, welchem Geschlecht sich eine Person als zugehörig empfindet“.

Dieser Ansicht ist auch Manfred Bruns, Bundesanwalt im Ruhestand des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe und rechtlicher Berater für den Lesben- und Schwulenverband (LSVD). In der Zeitschrift „Das Standesamt“ veröffentlichte Bruns im April einen Aufsatz, der diese Sichtweise begründet. (Der Artikel kann über die Seite des LSVD angefordert werden.) Wenn sich Standesämter weigern sollten, Anträge anzunehmen oder zu bearbeiten, empfiehlt Bruns, einen schriftlichen Einspruch mit seinem Aufsatz an das betreffende Amt zu schicken. Das habe „bisher immer Erfolg gehabt“. Denn: nach § 2 des Personenstandsgesetzes sind Standesbeamt*innen bei der Ausführung von Beurkundungen nicht an Weisungen gebunden.

Rebecca Jäger von der Bundesvereinigung Trans* e. V. berichtet gegenüber SIEGESSÄULE, dass, seit Jahresbeginn, Geschlechtseintrag und Vornamen in den Standesämtern relativ problemlos und kurzfristig geändert werden konnten. In welchen Fällen es sich dabei um inter*, in welchem um trans* Personen gehandelt habe, sei nicht feststellbar. Auch nach Meinung der BVT* sei die Einschränkung des Gesetzes auf inter* Personen nicht verfassungskonform. Nörig sei „ein neues Personenstandsrecht, das die selbstbestimmte Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen ohne Vorbedingungen ermöglicht“.

as/fs

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