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Coming Out

Felix Jaehn – keine Angst mehr

Doppel-Felix: Felix Jaehn mit seinem künstlichen Ebenbild im Berliner Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds.

Doppel-Felix: Felix Jaehn mit seinem künstlichen Ebenbild im Berliner Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds.

Berlin. „Keine Fragen zum Privatleben!“ Diesen Satz hören Journalisten oft vor Interviews mit Prominenten. Dabei gibt es verschiedene Gründe, warum Schauspieler, Sportler und Sänger nicht gerne über Privates reden. Auch Felix Jaehn hatte einen. Bis der DJ, Komponist und Produzent aus Mecklenburg-Vorpommern („Ain’t Nobody“) vor anderthalb Jahren erstmals öffentlich darüber schrieb, bisexuell zu sein.

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An sein mulmiges Gefühl bei früheren Interviews kann er sich noch genau erinnern. „Das Problem daran war, dass ich einen Teil von mir versteckt habe. Man entwickelt dann Muster, weicht aus, baut sich Mauern auf, verändert das Sprechen“, sagte der 24-Jährige. Er habe sogar Bewegungen auf der Bühne angepasst, um unauffälliger zu wirken. „Das ist ein unglaublicher Stress und unfassbarer Druck, wenn man ständig das Gefühl hat, gleich ertappt zu werden.“

DJ im Lübecker Parkhaus

Innerlich aufgewühlt und persönlich ungefestigt, steht der Produzent schon mit 20 Jahren im Blitzlicht. Nachdem der Abiturient vom Schönberger Barlach-Gymnasium erst in seinem Jugendzimmer Songs remixt und mit Bruder und Freunden in Clubs auflegt – unter anderem in Lübeck , wo er im Parkhaus, im Cargo und im Riverboat zu hören war –, schafft es seine Version des Songs „Cheerleader“ Ende 2014 in zahlreichen Ländern auf Platz eins, selbst in den USA.

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Es ist schlagartig vorbei mit dem zurückgezogenen Leben in einem kleinen Dorf zwischen Travemünde und Boltenhagen. Nach weiteren Charterfolgen („Ain’t Nobody“, „Bonfire“), großen Festivalauftritten und Zusammenarbeiten mit Herbert Grönemeyer und Mark Forster wird der Rummel um Jaehn immer größer, die Fragen nach seinem Privatleben nehmen zu.

Druck erhöht

„Die Prozesse des Erwachsenwerdens und der Selbstreflexion habe ich durchlaufen, während ich auf Welttourneen war und im Fokus der Medien stand. Das hat natürlich den Druck erhöht.“ Im Februar 2018 steht dann fest: Der DJ möchte keine Geheimnisse mehr um seine sexuelle Orientierung machen.

Nach Gesprächen mit der Familie und Freunden erzählt er für die Rubrik „Ich habe einen Traum“ im „Zeit“-Magazin, wie er sich als Junge vom Dorf gefühlt hat, der nicht nur auf Mädchen steht. Und dass er sich nicht mehr verstecken will. „Im Nachhinein waren alle Ängste irrational. Ich habe mich da sehr hineingesteigert. Aber je öfter man darüber offen spricht, desto entspannter wird es“, sagt er heute.

Inzwischen hat er sich nicht nur menschlich, sondern auch musikalisch gefunden. Er schreibt eigene Songs, in denen er über seine persönlichen Erfahrungen berichtet und so vielen Menschen in ähnlichen Situationen Mut macht. In „Love On Myself“ mit dem britischen Sänger Calum Scott heißt es etwa: „Ich konnte nicht der sein, der ich sein wollte. Ich selbst zu sein, war für mich ein Kampf.“

„Meine Reichweite nutzen“

Ich möchte meine Reichweite nutzen, um über Themen zu sprechen, die mir persönlich wichtig sind“, sagt er. „Dabei habe ich mir für den Moment die Sinnfrage beantwortet. Ich habe mir den Sinn gegeben, mit meiner Musik die Menschen zu inspirieren und zu erreichen.“

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Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland begrüßt das Engagement des 24-Jährigen. Das sei besonders für junge Schwule, Lesben, transgeschlechtliche, bi- und intersexuelle Menschen in der Coming-out-Phase wichtig. „Die Offenheit Jaehns spricht für selbstverständliches Selbstbewusstsein, das wir uns in einer menschenfreundlichen Gesellschaft gar nicht genug wünschen können“, sagte Bundesvorstand Helmut Metzner.

Im Regenbogenshirt

An diesem Sonnabend (27. Juli) steht das nächste Highlight für den DJ an: Ein Auftritt beim Berliner Christopher Street Day, der an den Widerstand von New Yorker Homosexuellen vor 50 Jahren erinnert. Die Bühne vor dem Brandenburger Tor ist längst nicht die größte, auf der Jaehn je gespielt hat. Dennoch liegt ihm der Gig besonders am Herzen. Ein Regenbogenshirt hat er sich schon vor Wochen besorgt.

„Für mich ist der Auftritt sehr, sehr wichtig. Vor allem, weil ich jetzt die Freiheit habe, überhaupt dort hinzugehen und mich öffentlich zu zeigen. Ich bin früher nicht auf solche Paraden gegangen. Man hätte mich ja sehen können. Deswegen ist es jetzt umso schöner, frei und fröhlich mitfeiern zu können.“

Thomas Bremser

LN

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