Austellung Die Folgen des Paragrafen 175

Saarbrücken · Ausstellung im Rathaus dokumentiert die Diskriminierung von Schwulen und Lesben.

Wie viele Saarländer landeten in der Nazizeit im KZ, nur weil sie homosexuell waren? Wie viele wurden aus dem gleichen Grund seit 1945 zu Gefängnis verurteilt? Noch weiß man das nicht. Rheinland-Pfalz hat 2012 als erstes deutsches Bundesland die strafrechtliche Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen wissenschaftlich erforschen lassen. Daraus entstand auch eine Wanderausstellung, die unter dem Titel „Verurteilen – Verschweigen“ die Ergebnisse kompakt präsentieren will, und durch die ganze Republik tourt. Seit Freitagabend macht sie unter der Schirmfrauschaft von Sozialministerin Monika Bachmann auch in Saarbrücken, im Hauberrisser Saal im Rathaus, Station.

Um zu zeigen, warum eine historische Aufarbeitung wichtig und notwendig ist, denn auch im Saarland hat eine Arbeitsgruppe aus mehreren Institutionen und Organisationen das vor. Auf über 30 Texttafeln zeichnet die Schau sehr ausführlich die strafrechtliche Lage nach. Erst seit dem Deutschen Kaiserreich gab es den Paragrafen 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. Die Nazis verschärften ihn erheblich, bis 1945 wurden 50 000 wegen sogenannter widernatürlicher Unzucht in Gefängnissen oder gar KZ inhaftiert.

Auch die Alliierten und später die Bundesrepublik sahen keine Notwendigkeit, den Paragrafen zu streichen oder zumindest wieder zu entschärfen. So wurden zwischen 1950 und 1969, als die Strafbarkeit von Homosexualität unter Erwachsenen aufgehoben wurde, wieder über 50 000 Männer und Jugendliche verurteilt, davon 2817 und Rheinland-Pfalz. Anhand von Gerichtsakten veranschaulicht die Ausstellung Einzelfälle, die Pathologisierung von Homosexualität. Sie zeigt den Einfluss konservativer (Landes-)Politiker und der christlichen Kirche, die mit ihrem Dogma vom angeblich gottgegebenen Sittengesetz, die ideologische Grundlage für juristische und moralische Verurteilung lieferte. Lesbische Frauen wurden vom Paragrafen 175 zwar nicht belangt, konnten aber durch ein verschärftes Scheidungsrecht kaum Ehen lösen und verloren ihre Kinder, wenn sie mit einer Frau leben wollten.

Die Ausstellung, die sowohl bundesweite wie rheinland-pfälzische Entwicklungen darstellt, geht neben den strafrechtlichen Aspekten auch auch auf die Auswirkung von Tabuisierung und Diskrimierung auf die Schwulen- und Lebenszene ein und ihr Erkämpfen von Freiräumen. „Nichts in der Geschichte passiert einfach so, deshalb war es uns wichtig zu erinnern, dass es einzelne Aktive waren, die daran gearbeitet haben, dass ein toleranteres Strafrecht eingesetzt wird“, sagt die an der Studie beteiligte Historikerin Kirsten Plötz.

Bis 16. August, geöffnet montags bis freitags, 9 bis 18 Uhr, Veranstalter: Arbeitsgruppe zur Erforschung der Verfolgung und Diskriminierung von Homosexuellen, bestehend aus dem Stadtarchiv Saarbrücken, der FrauenGenderBibliothekSaar, dem Landesverband Saar der Schwulen und Lesben, dem Landesinstitut für Pädagogik und Medien und der Landeszentrale für politische Bildung.

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