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Nachruf: Vom Sicherheitsrisiko in der Bundesanwaltschaft zum Ordensträger

Manfred Bruns, deutscher Bundesanwalt, der nach seinem Comingout zum Vorkämpfer für die Gleichberechtigung von Homosexuellen wurde, ist 85-jährig gestorben.

Urs Tremp 4 min
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«Mein Leben ist zum Ende immer besser geworden»: Manfred Bruns auf einer undatierten Aufnahme.

«Mein Leben ist zum Ende immer besser geworden»: Manfred Bruns auf einer undatierten Aufnahme.

LSVD.DE

Die Affäre Kiessling sorgte gerade für Schlagzeilen. Der deutsche Nato-General Günter Kiessling sollte wegen seiner angeblichen Homosexualität entlassen werden. Er sei erpressbar und darum ein Sicherheitsrisiko. Homosexualität war in der ersten Hälfte der achtziger Jahre weitgehend ein Tabu. Just in dieser Hysterie um Kiessling beschloss der damals 50-jährige Manfred Bruns, mit seinem Versteckspiel Schluss zu machen.

Bruns ist nicht irgendwer, sondern Bundesanwalt am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Gilt er also, da er nach aussen gutbürgerlich mit Frau und Familie zusammenlebt, gleichfalls als Sicherheitsrisiko?

Er will es wissen und eröffnet seinem Chef, Bundesanwalt Kurt Rebmann, dass er schwul sei. Prompt werden ihm Geheimdienst- und Spionagedossiers entzogen. Rebmann schneidet ihn künftig. Und «Bild» titelt im August 1985: «Bundesanwalt bekennt: Ich bin schwul.» Bruns wird deutschlandweit bekannt - und schliesslich eine der Galionsfiguren der LGBT-Gemeinschaft.

Er bereut nicht, sein Versteckspiel beendet zu haben - auch wenn Arbeitskollegen und Familienmitglieder ihre liebe Mühe haben. Seine Schwiegermutter erleidet nach der «Bild»-Schlagzeile einen Herzinfarkt, der Schwager rät Bruns Frau, sich sofort scheiden zu lassen, und der Bruder fürchtet um Ruf, Ansehen und seinen Chefjob.

Schwimmer gefallen ihm besser als Schwimmerinnen

Es ist eine gut katholische Familie, in die Bruns 1934 in Rheinland-Pfalz hineingeboren wird. Dass er einmal eine Frau heiraten und mit ihr eine Familie gründen wird, gilt als selbstverständlich. Auch wenn Manfred Bruns als Jugendlicher in den Sportillustrierten lieber die Bilder der Schwimmer als jene der Schwimmerinnen anschaut, denkt er sich: «Wenn ich einmal verheiratet bin, wird sich das schon geben.» Er heiratet 1961 Helga, hat mit ihr drei Kinder. Beruflich macht er Karriere. Der Jurist ist schliesslich stellvertretender Bundesanwalt am Bundesgerichtshof.

Mehr als zwanzig Jahre Ehe-, Familien- und Berufsleben gehen so ins Land. «Da wurde es natürlich immer schwieriger, mich meiner Frau zu offenbaren. Ich hatte ja auch Angst um meine bürgerliche Existenz. Angst, meine Frau und die Kinder zu verlieren», sagt Bruns viele Jahre später.

«Ich wollte, dass sich scheussliche Lebensläufe wie der meine nicht immer und immer wiederholen.»

Aber er weiss mit fünfzig endlich, dass er nicht unterdrückt leben will, wie viele Schwule seiner Generation. «Es macht mich heute noch wütend, wie man die Menschen zurechtgebogen hat und ihnen die Möglichkeit genommen hat, ein sinnvolles Leben zu leben», sagt er als 80-Jähriger in einem Fernsehinterview. Da wohnt er längst mit seinem Partner zusammen, eine Partnerschaft, die länger als seine Ehe dauern wird.

Manfred Bruns lebt nach seinem Comingout nicht einfach privat ein Leben nach seinen Neigungen. Er wird zum öffentlichen Schwulen. Als Jurist kämpft er für ein Lebenspartnerschaftsgesetz nach dem Vorbild Dänemarks, später für die Homo-Ehe, für das Adoptionsrecht für schwule und lesbische Paare, für die Anpassung des Familien- und Abstammungsrechts und ganz allgemein für die gesellschaftliche Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Paare: «Ich wollte, dass sich scheussliche Lebensläufe wie der meine nicht immer und immer wiederholen», sagt er.

Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse

Er wird Sprecher und Gesicht des deutschen Lesben- und Schwulenverbandes LSVD. Vor allem kämpft er für die Rehabilitierung homosexueller Opfer des berüchtigten Paragrafen 175, der in Deutschland bis 1994 «sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts» unter Strafe stellt. Bruns erlebt es, dass 2017 das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8.Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen in Kraft tritt.

Sein Engagement, das wenige Jahrzehnte zuvor gesellschaftliche Isolation und berufliche Diskriminierung bedeutet hätte, wird ihm schliesslich offiziell gedankt.

Manfred Bruns erhält 1994 von Bundespräsident Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse – «für sein gesellschaftliches und gesellschaftspolitisches Engagement für die Emanzipation und Anerkennung Homosexueller, für den Schutz ihrer Rechte und für die Wahrung der Würde von Menschen, die HIV-positiv oder an Aids erkrankt sind».

Das rationale Argument schlägt das dumpfe Vorurteil

Manfred Bruns sieht sich allerdings auch nach zahlreichen Auszeichnung nicht am Ende seines Kampfes. Er ist besorgt über das Erstarken «christlich-fundamentalistischer, evangelikaler und rechtspopulistischer Gruppen und Initiativen, die seit einiger Zeit versuchen, ein gesellschaftliches Rollback in Gang zu bringen und durchzusetzen».

Er hätte auch den Kampf gegen diese Rückschläge aufgenommen, hätte er dafür noch Lebenszeit und -kraft gehabt. Sein Weggefährte aus dem LSVD, der grüne Politiker Volker Beck, sagte diese Woche, Bruns habe Niederlagen nie als letztes Wort akzeptiert: «Er vertraute stets darauf, dass das rationale Argument am Ende über das dumpfe Vorurteil obsiegen müsste.»

Manfred Bruns ist nach längerer Krankheit in Karlsruhe gestorben – versöhnt: «Mein Leben ist zum Ende immer besser geworden», sagte er. Mit seiner Frau Helga blieb er zeitlebens verheiratet.