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Das Versicherungsjahr 2019

2019 war für Versicherer insgesamt ein gutes Jahr ohne gravierende Ausschläge bei den Schäden oder größeren Hiobsbotschaften aus der Politik. Auch zum bereits oft angekündigten Umsturz der Branche durch „digitale Angreifer“ kam es dieses Jahr nicht.

Was die Versicherer 2019 bewegt hat 

Ordentlich Bewegung gab es im Segment der Lebensversicherungen. Nach Hochrechnungen des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) ist das Neugeschäft der Lebensversicherer 2019, vor allem durch das Einmalbeitragsgeschäft, um gut 8 % gestiegen. Doch die Niedrigzinsphase bleibt eine Herausforderung. Das war bereits deutlich bei einigen Pensionskassen zu erkennen: Rund 30 von ihnen stehen inzwischen unter „intensivierter“ Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Auch die Diskussion um den Run-off von Lebensversicherungsbeständen hielt im vergangenen Jahr an. Im April genehmigte die BaFin die Übernahme der Generali Leben mit rund vier Millionen Verträgen durch die Auffanggesellschaft Viridium. Der Verbraucherschutzverband forderte in diesem Zusammenhang ein gesetzliches Wechselrecht für Run-off-Kunden – weitere Run-Off-Genehmigungsfälle in der Lebensversicherung sind jedoch nicht bekannt. Angesichts dieser Unsicherheiten wurde der Ruf nach einer verpflichtenden Altersvorsorge als staatlich organisiertes Aktienfondssparen wie beim skandinavischen Modell laut. Vermutlich aber wird es eher zu einer tiefgreifenden Riester-Reform kommen. Ein Vorschlag des GDV für ein neues Standard-Riesterprodukt liegt bereits vor. 

Insurtechs sammeln Kapital ein, Versicherer treiben digitale Transformation voran 

Auch Insurtechs standen 2019 weiter im Fokus der Aufmerksamkeit. Sie fielen jedoch weniger mit durchschlagenden Geschäftserfolgen auf, als vielmehr wegen des immensen Kapitals, das sie weltweit einsammeln konnten. Dennoch: Die Sorgen einiger Experten, die die Insurtechs schon länger als massive Bedrohung für die etablierten Versicherer ausgemacht hatten, bestätigten sich auch 2019 nicht. Das US-Insurtech „Lemonade“ ist seit letztem Juni auf dem deutschen Markt aktiv, der Eintritt von Amazon & Co. blieb bislang aus, der Markt blieb insgesamt stabil. Klar ist aber: Die Digitalisierung ist nicht zu stoppen – und viele Versicherer hängen den Entwicklungen hinterher. Immerhin bemühten sich auch 2019 einige von ihnen, ihre digitale Transformation weiter voranzutreiben und investierten in neue IT-Systeme und agile Arbeitsmethoden, um die Voraussetzung für eine echte Digitalisierung zu schaffen. 

Das Klima wird zur großen Herausforderung für die Branche 

Während man auf den Brexit gut vorbereitet war und es zu keinen nennenswerten Störfällen kam, bewegte der Klimawandel die Versicherungsbranche 2019 merklich. Immer mehr Gesellschaften verpflichteten sich 2019 zu einer klimafreundlicheren Investmentpolitik. Diskutiert wurde zudem die Berücksichtigung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) für das Underwriting der Versicherer. Und auch die UN machte Druck: Sie forderte die Versicherer zu Stellungnahmen über ihren Umgang mit Versicherungsrisiken, etwa aus umweltbelasteten Branchen wie der Kohleindustrie, auf. Das Thema Klima dürfte weltweit zu einer immer größeren Herausforderung für die Versicherungswirtschaft werden. 

Internationale Großschäden: Hurrikans, Flugzeugabstürze und eine Insolvenz 

820 Naturkatastrophen und ein Gesamtschaden von 150 Mrd. US Dollar, davon 52 Mrd. versichert: So lautet die Bilanz für Naturkatastrophen im Jahr 2019. Ein Rückgang zum Vorjahr und unter dem Durchschnittswert der letzten zehn Jahre (187 Mrd. US Dollar) – es war ein relativ ruhiges Jahr. In Deutschland war eine Kombination aus Hitze und schwerem Unwetter der größte Schadentreiber: Ein Gewitter mit Hagelkörnern in Golfballgröße verursachte im Juni im Großraum München Schäden von fast einer Milliarde Euro, die Hälfte war versichert. International sah die Lage etwas anders aus: Der Hurrikan „Dorian“ verursachte Anfang September auf den Bahamas Schäden von bis zu 10 Mrd. US-Dollar. In Japan kosteten die Taifune „Hagibis“ und „Faxai“ im September und Oktober etwa 17 Mrd. US-Dollar. 

Ein Großschaden in bisher nicht gekannter Dimension traf 2019 die Luftfahrt. Nach dem Absturz einer Boeing 737 Max der Ethiopian Airlines im März wurde wegen ungeklärter Fragen zur technischen Sicherheit ein weltweites Flugverbot verhängt, das immer noch besteht. Ein wirtschaftliches Debakel für Boeing und der größte Schaden seit Jahren für die Luftfahrtversicherung. Noch kann niemand absehen, welche Schadenersatzklagen von Airlines und Reiseveranstaltern noch zu erwarten sind.  

Auch die Insolvenz des Reiseveranstalters Thomas Cook im September 2019 machte Schlagzeilen. Der für das Deutschlandgeschäft zuständige Versicherer schätzte den Schaden auf rund 350 Mio. Euro. Die Versicherungsleistung war aber auf 110 Mio. Euro gedeckelt – Deutschland hatte EU-Vorgaben zur Reiseinsolvenzversicherung nur unzureichend umgesetzt. Nun springt die Bundesregierung ein: Sie hat die Entschädigung aller betroffenen Urlauber aus Steuermitteln zugesagt und die Verhandlungen über eine Neustrukturierung der Insolvenzversicherung haben begonnen.

Kurz und bündig: die Markt- und Spartenübersicht: 

Cyber-Versicherung 

Die Cyber-Versicherung war auch 2019 die große Wachstumshoffnung der Branche. Erstmals benannten Industriekunden Cyber-Risiken als ein „Top-Risiko“. Besonderes Augenmerk lag auf dem Thema „Silent Cyber“, die in traditionellen Policen mittelbar enthaltenen Cyber-Risiken. Versicherer fordern vermehrt detaillierte Risikoinformationen und reduzieren bei hohen Deckungssummen Kapazitäten. Eine einheitliche Linie der Versicherungswirtschaft, wie mit diesen latenten Risiken umzugehen ist, zeichnet sich indes noch nicht ab. 

D&O-Versicherung 

Kontrovers wurde 2019 diskutiert, wie groß der Sanierungsbedarf in der D&O-Versicherung ist. Die Sparte liegt mit 113 % Schadenquote laut GDV in 2018 in der Verlustzone. Beitragserhöhungen sind bereits deutlich spürbar, die Deckungskapazitäten gehen zurück. Es gibt jedoch hohe Schadenreserven, weshalb die Ergebnisse der Branche angesichts von meist im Vergleichswege regulierten Schadenfällen langfristig durchaus zufriedenstellend ausfallen könnten. Mehr zu D&O-Versicherung lesen Sie in unserem Beitrag „Defizitäre Entwicklung beim „Problemkind“ D&O“ von unserer Spartenexpertin Julia Bestmann.  

KFZ-Versicherung 

In der mit Abstand beitragsstärksten Sparte, der KFZ-Versicherung, standen die Zeichen zur Wechselsaison 2019/2020 wieder auf Preiskampf. Telematik-Tarife scheinen sich nicht durchzusetzen, und so werden hier nach soliden Jahren 2020 wohl erstmals wieder rote Zahlen geschrieben werden.

Schaden- und Unfallversicherung

Die Beitragseinnahmen in der Schaden- und Unfallversicherung sind nach Hochrechnungen des GDV in 2019 um 3,2 % auf 72,9 Mrd. Euro gestiegen. Die Leistungen erhöhten sich um 1,7 % auf 53,4 Mrd. Euro. Dies entspricht etwa der Steigerungsrate der vorangegangenen Jahre.

Wohngebäudeversicherung

Ungewohnt gut – jedenfalls aus Sicht der Versicherer – lief es in der Sparte Wohngebäude. Die Leistungen sanken um voraussichtlich 4 % auf 5,7 Mrd. Euro, während sich die Prämien um 8 % auf 8,2 Mrd. Euro erhöhten. Der GDV erwartet eine kombinierte Schaden-Kosten-Quote von lediglich 96 %, das sind acht Prozentpunkte weniger als in 2018. Damit würde die Sparte erst zum dritten Mal seit 2002 schwarze Zahlen schreiben.