Chemikalien- und Stoffrecht

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I. Ausnahmezulassungen zur Herstellung von Desinfektionsmitteln

1. Händedesinfektionsmittel

Auf der Grundlage von Art. 55 Abs. 1 der Biozid-VO (Verordnung (EU) Nr. 528/2012) und § 12b Abs. 2 Nr. 8 ChemG (Chemikaliengesetz) hat die bei der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) angesiedelte Bundesstelle für Chemikalien aufgrund der verstärkten Nachfrage nach Händedesinfektionsmitteln als Folge der Verbreitung von COVID-19 durch zwei Allgemeinverfügungen vom 04.03.2020 und 13.03.2020 in der Fassung der Aktualisierung vom 20.03.2020 Ausnahmezulassungen für Apotheken, die pharmazeutische und chemische Industrie sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts zur Herstellung von bestimmten Händedesinfektionsmitteln erlassen.

2. Flächendesinfektionsmittel

Zudem hat die Bundesstelle für Chemikalien zur Deckung des gestiegenen Bedarfs von berufsmäßigen Verwendern an Flächendesinfektionsmitteln aufgrund der oben genannten Rechtsgrundlage am 02.04.2020 eine weitere Allgemeinverfügung erlassen, die eine Ausnahmezulassung zur Herstellung von Flächendesinfektionsmitteln regelt.

1. Was ist unter den Begriffen „Apotheken“, „pharmazeutische Industrie“ und „chemische Industrie“ zu verstehen?

Nach den FAQs der Bundesstelle für Chemikalien auf der Website der BAUA sind mit „Apotheken“ allein in Deutschland niedergelassene Apotheken gemeint. Mit dem Begriff „pharmazeutische Industrie“ sind Unternehmen erfasst, die zumindest auch Arzneimittel herstellen oder in der Kostenstrukturstatistik des Statistischen Bundesamtes als pharmazeutische Unternehmen gemeldet sind. Darunter fallen auch Arzneimittelhersteller aus dem Bereich Tiermedizin.

Der Begriff „chemische Industrie“ wird in den FAQs nicht definiert, aber in Konsequenz der Begriffsdefinition für „pharmazeutische Industrie“ werden unter dem Begriff „chemische Industrie“ solche Unternehmen zu verstehen sein, die chemische Produkte herstellen oder in der Kostenstrukturstatistik des Statistischen Bundesamtes als chemische Unternehmen gemeldet sind.

2. Wer ist „berufsmäßiger Verwender“ und wie kann diese Eigenschaft bei der Abgabe der Händedesinfektionsmittel sichergestellt werden?

Berufsmäßige Verwender im Sinne der Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 und derjenigen vom 02.04.2020 sind laut FAQs der Bundestelle für Chemikalien vor allem Einrichtungen der öffentlichen Gesundheit wie Krankenhäuser, Arztpraxen, Gesundheitszentren, aber auch Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der öffentlichen Versorgung wie Rathäuser, Gesundheitsämter etc. Allerdings sollen auch Firmen und Unternehmen beliefert werden dürfen, die diese Desinfektionsmittel zur Versorgung ihrer Mitarbeiter vor Ort nutzen.  

Eine Dokumentation und Sicherstellung der Eigenschaft des berufsmäßigen Verwenders ist nach den FAQs nicht zwingend erforderlich. Zur Vermeidung von möglichen Haftungsrisiken ist es aber rechtlich empfehlenswert, sich tatsächlich vom Abnehmer die Eigenschaft des berufsmäßigen Verwenders schriftlich bestätigen zu lassen.

3. Welche Desinfektionsmittel mit welchen Rezepturen sind von den Allgemeinverfügungen erfasst?

Händedesinfektionsmittel

Allgemeinverfügung vom 04.03.2020:

  • 2-Propanol 99,8 % (v/v) 75,15 ml, Wasserstoffperoxid 3 % (v/v) 4,17 ml, Glycerol 98 % (v/v) 1,45 ml, Gereinigtes Wasser auf 100,00 ml
  • 2-Propanol-Wasser-Gemisch 70 % (v/v) 

Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 (aktualisierte Fassung der Allgemeinverfügung vom 13.03.2020):

  • 2-Propanol 99,8 % (v/v) 75,15 ml, Wasserstoffperoxid 3 % (v/v) 4,17 ml, Glycerol 98 % (v/v) 1,45 ml, Gereinigtes Wasser auf 100,00 ml
  • Ethanol 96 % (v/v) 83,33 ml, Wasserstoffperoxid 3 % (v/v) 4,17 ml, Glycerol 98 % (v/v) 1,45 ml, Gereinigtes Wasser auf 100,00 ml
  • 2-Propanol 70 % (v/v) in gereinigtem Wasser
  • 1-Propanol 70 % (v/v) in gereinigtem Wasser
  • Ethanol 70 % (v/v) in gereinigtem Wasser

Flächendesinfektionsmittel

Allgemeinverfügung vom 02.04.2020:

  • Ethanol 80 % (v/v) in wässriger Lösung zur Behandlung von Flächen bis 2 m²
  • 0,5 % (w/w) Natriumhypochlorit in wässriger Lösung
  • 2,5 % (w/w) Chloramin-T in wässriger Lösung

Andere Rezepturen, die oben genannte Wirkstoffe enthalten und deren bakterizide, levurozide und begrenzt viruzide Wirksamkeit nachgewiesen worden ist und die bereits nach der Biozid-VO zugelassen sind oder für die gem. Art. 89 Abs. 3 Biozid-VO ein Antrag auf Zulassung gestellt worden ist.

4. An welche Abnehmer dürfen die Desinfektionsmittel abgegeben werden?

Apotheken und Unternehmen der pharmazeutischen Industrie dürfen hergestellte Händedesinfektionsmittel an die breite Öffentlichkeit abgeben, also sowohl an private als auch an berufsmäßige Verwender. Unternehmen der chemischen Industrie und juristische Personen des öffentlichen Rechts dürfen aber nur berufsmäßige Verwender wie Krankenhäuser beliefern.

Die Desinfektionsmittel für Flächen dürfen von Apotheken, der pharmazeutischen und chemischen Industrie sowie juristischen Personen des öffentlichen Rechts hergestellt und an berufsmäßige Verwender abgegeben werden.

5. Sind die Allgemeinverfügungen befristet? Ist eine Verlängerung möglich?

Ja, die Ausnahmezulassung in der Allgemeinverfügung vom 04.03.2020 ist befristet bis 31.08.2020 und die in der Allgemeinverfügung vom 13.03.2020 in der Fassung der Aktualisierung vom 20.03.2020 bis zum 09.09.2020. Die Ausnahmezulassung in der Allgemeinverfügung vom 02.04.2020 ist bis 30.09.2020 gültig.

Die Bundesstelle für Chemikalien kann nach Art. 55 Abs. 1 Unterabs. 3 Biozid-VO bei begründetem Bedarf die Verlängerung der Ausnahmezulassungen um bis zu 550 Tage im Rahmen eines Durchführungsrechtsaktes der EU-Kommission beschließen lassen. 

6. Welche rechtlichen Rahmenbedingungen sind über die Allgemeinverfügungen hinaus zu beachten?

Wenn nicht durch eine Einzelzulassung Abweichendes geregelt worden ist, gilt aufgrund der in den Allgemeinverfügungen enthaltenen Ausnahmezulassungen lediglich eine Befreiung von der Zulassungspflicht im Sinne von Art. 17 und 19 Biozid-VO. Darüber hinausgehende rechtliche Anforderungen sind daher grundsätzlich weiterhin zu beachten. Das heißt vor allem, dass hinsichtlich der Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung der Biozidprodukte aufgrund des entsprechenden Verweises in Art. 69 Abs. 1 Biozid-VO die Anforderungen nach Art. 17 ff. der CLP-VO (Verordnung (EG) Nr. 1272/2008) einzuhalten sind. Zudem müssen in Bezug auf die Angaben im Etikett die Regelungen unter Art. 69 Abs. 2 Biozid-VO berücksichtigt werden. Laut FAQs der Bundesstelle für Chemikalien reicht anstelle der Zulassungsnummer im Sinne von Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 lit. c Biozid-VO ein Hinweis auf die Allgemeinverfügung aus, z.B. die Angabe „BAuA AllgVg v. 4. März 2020 und 20. März 2020“. Im Falle der Werbung sind die Regelungen in Art. 72 Biozid-VO im Einzelnen zu beachten.

7. Darf von den Allgemeinverfügungen abgewichen werden, z.B. eine andere Rezeptur gewählt werden oder ein Unternehmen der chemischen Industrie die breite Öffentlichkeit beliefern?

Die Allgemeinverfügungen sind als Verwaltungsakte im Sinne von § 35 Satz 2 VwVfG rechtlich verbindlich, weshalb von ihnen nicht abgewichen werden darf. Allerdings besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sich die Abweichung von den Allgemeinverfügungen durch eine Einzelzulassung der Bundesstelle für Chemikalien genehmigen zu lassen.

8. Welche Konsequenzen hätte ein Verstoß gegen die Allgemeinverfügungen?

Das Herstellen und Inverkehrbringen von Desinfektionsmitteln unter Verstoß gegen die Ausnahmezulassungen in den Allgemeinverfügungen hat zur Folge, dass die besagten Desinfektionsmittel nicht von den Ausnahmezulassungen erfasst sind. Daher müssten die Desinfektionsmittel nach der Biozid-VO zugelassen sein. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, sind die Voraussetzungen der Bußgeldvorschrift in § 26 Abs. 1 Nr. 11 ChemG i.V.m. § 14 Nr. 1 ChemSanktionsV (Chemikalien-Sanktionsverordnung) erfüllt. Dabei könnte eine Geldbuße bis zu 50.000 Euro drohen. Sollte der Verstoß vorsätzlich erfolgen und dabei das Leben oder die Gesundheit eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet werden, ist nach § 27 Abs. 2 ChemG sogar eine Straftat gegeben, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden kann. Wenn die Tat fahrlässig begangen wird, droht nach § 27 Abs. 4 Nr. 2 ChemG eine Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe.

9. Was gilt für den Transport von Desinfektionsmitteln?

Grundsätzlich sind beim Transport von Desinfektionsmitteln die Vorschriften in ADR (Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße) und Gefahrgutbeförderungsgesetz (GGBefG) sowie zugehörigen Verordnungen zu beachten. Ein Verstoß gegen die Regelungen in ADR stellt nach § 10 GGBefG i.V.m. zugehörigen Verordnungen in vielen Fällen eine Ordnungswidrigkeit dar. Doch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat zur entsprechenden Erleichterung der Versorgung mit Desinfektionsmitteln mit den obersten Verkehrsbehörden der Länder auf der Grundlage von Unterabschnitt 1.1.3.6 ADR eine Duldung abgestimmt und am 24.03.2020 bekanntgegeben. Die Duldung ist sofort anwendbar und hat zur Folge, dass bei der Beförderung von Desinfektionsmitteln als Hygieneprodukte, die als Gefahrgut der Verpackungsgruppen II und III klassifiziert sind und zur Versorgung im Rahmen der COVID-19-Pandemie befördert werden, im Sinne von § 47 Abs. 1 OWiG (Ordnungswidrigkeitengesetz) kein öffentliches Interesse an der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten in folgenden Fällen besteht:

  • Die in der Tabelle in Absatz 1.1.3.6.3 Spalte 3 ADR angegebenen Mengen werden überschritten, jedoch werden je Beförderungseinheit nicht mehr als 500 Liter/kg gefährliche Güter befördert.
  • Die nach Abschnitt 5.4.1 in Verbindung mit Unterabschnitt 8.1.2.1 Buchstabe a ADR vorgeschriebenen Papiere werden nicht mitgeführt.
  • Eine Unterweisung nach Kapitel 1.3 in Verbindung mit Abschnitt 8.2.3 ADR ist nicht erfolgt.
  • Die nach Gefahrstoffrecht gekennzeichneten Innenverpackungen von zusammengesetzten Verpackungen werden ohne ihre Außenverpackung befördert und das Versandstück ist nicht nach Kapitel 5.2 ADR gekennzeichnet und bezettelt.

Diese Vorgehensweise ist befristet bis zum 31.08.2020.

Weitere Fragen und Antworten zu den Allgemeinverfügungen vom 04.03.2020 und 13.03.2020 in der aktualisierten Fassung vom 20.03.2020 sind in den FAQs der Bundesstelle für Chemikalien auf der Website der BAuA veröffentlicht und unter folgendem Link abrufbar: https://www.baua.de/DE/Themen/Anwendungssichere-Chemikalien-und-Produkte/Chemikalienrecht/Biozide/FAQ/FAQ_node.html 

II. Angekündigte Maßnahmen zur Vereinfachung des Inverkehrbringens von Desinfektionsmitteln auf EU-Ebene

Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat in einer Meldung vom 20.03.2020 auf ihrer Website angekündigt, mit der EU-Kommission Maßnahmen zu erarbeiten, die es den EU-Mitgliedstaaten und den Unternehmen ermöglichen sollen, so schnell wie möglich mehr Desinfektionsmittel auf der Basis von Isopropanol, 1-Propanol und Ethanol in den Verkehr bringen zu können. Die Einzelheiten will die ECHA demnächst bekanntgeben. Außerdem hat die ECHA im Rahmen dieser Meldung darüber informiert, dass gewisse Verfahrensfristen verlängert werden. Die betroffenen Unternehmen werden im Einzelnen im REACH-IT-System über die jeweiligen Fristverlängerungen informiert.

Damit ist davon auszugehen, dass über die oben angesprochenen Allgemeinverfügungen in Deutschland hinaus demnächst auch auf europäischer Ebene Maßnahmen ergriffen werden, um die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Herstellen und Inverkehrbringen von Desinfektionsmitteln zu lockern.

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