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1. Was passiert, wenn ich meine Kunden nicht mehr beliefern kann und der Vertrag eine Klausel zur höheren Gewalt (Force Majeure) enthält?

Beeinträchtigen Sie die Auswirkungen des Coronavirus derart, dass Sie Ihre Kunden nicht mehr (ausreichend) beliefern können, richtet sich die Rechtsfolge zunächst nach getroffenen Regelungen in den Verträgen oder in den AGB.

Gibt es eine Regelung für den Fall der höheren Gewalt (oft als „Force Majeure“-Klausel bezeichnet), definiert diese die Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Es ist daher zuerst zu prüfen, ob die Klausel anwendbar ist. Das ist dann nicht der Fall, wenn die Klausel abschließend Fälle aufzählt, die als höhere Gewalt gelten sollen und nicht eine Epidemie oder Pandemie auflisten. In den allermeisten Fällen enthalten Force Majeure-Klauseln jedoch lediglich beispielshafte Aufzählungen und sind daher gerade nicht abschließend. In diesen Fällen kann eine Pandemie wie die aktuelle Corona-Pandemie als Fall höherer Gewalt gelten. Die Rechtsfolgen richten sich dann ebenfalls nach der Vertragsklausel. Üblicherweise werden hier der Aufschub vertraglicher Verpflichtungen (z.B. die Verschiebung fixer Liefertermine), Haftungsfreizeichnungen oder Rücktritts- bzw. Kündigungsrechte vereinbart. Weitere Voraussetzung ist, dass der Umstand, der die Erfüllung der vertraglichen Pflicht beeinträchtigt (hier: die Corona-Pandemie), zum Zeitpunkt der vertraglichen Vereinbarung der Force Majeure Klausel ein unvorhersehbares Ereignis war. Im Fall der Corona-Pandemie gilt dies mit Sicherheit für alle Verträge, die vor Dezember 2019 (dem erstmaligen Bekanntwerden einer Corona-Infektion in China) geschlossen wurden. Für Verträge die nach diesem Zeitpunkt geschlossen wurden, ist dies nicht sicher. Eine Anfang Dezember 2019 vereinbarte Force Majeure-Klausel dürfte die Corona-Pandemie umfassen. Eine erst in den letzten Wochen vereinbarte Klausel dagegen vermutlich eher nicht.

2. Was sind die Folgen, wenn es keine Force-Majeure-Klausel gibt?

Gibt es keine Force Majeure-Klausel, gelten die allgemeinen gesetzlichen Regeln. Grundsätzlich kann in diesen Fällen eine Epidemie (und damit erstrecht eine Pandemie) einen Fall der Unmöglichkeit darstellen, wenn es Ihnen als dem Schuldner oder jedermann unmöglich ist, die geforderte Lieferung zu erbringen. Das ist der Fall, wenn ein behördliches Produktions- oder Lieferverbot vorliegt, Ihre Betriebsstätte z. B. in einem Risikogebiet liegt, welches unter Quarantäne gesetzt wurde. Bei einem krankheitsbedingten Ausfall der Mitarbeiter liegt Unmöglichkeit erst vor, wenn die Krankheitswelle nicht mit einer normalen Grippewelle zu vergleichen ist. Zunächst ist der Unternehmer aber auch hier gehalten, die Arbeitsausfälle durch den Einsatz anderer Mitarbeiter zu kompensieren. Die Grenzen zur Unmöglichkeit sind fließend – einen verlässlichen und definitiv voraussagbaren Schutz bieten die gesetzlichen Regeln nicht.

Welche Rechtsfolge sich aus den gesetzlichen Regelungen zur Unmöglichkeit ergibt, richtet sich danach, ob eine vorübergehende oder dauerhafte Unmöglichkeit vorliegt. Wird die konkrete Situation als Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit angesehen, werden die Leistungspflichten bis zu dem Zeitpunkt, in dem wieder geliefert werden kann, aufgeschoben. Das bedeutet, dass der Lieferant nicht in Verzug mit der Lieferung kommt, der Kunde also keine Ersatzansprüche wegen Lieferverzögerungen geltend machen kann. Der Kunde hat hingegen die Möglichkeit, nach seiner Wahl auf die spätere Lieferung zu warten, oder vom Vertrag zurückzutreten mit der Folge, dass der Lieferant nicht mehr liefern und der Kunde nicht zahlen muss. Gerade bei dauerhaften Lieferbeziehungen wird ein Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit dem der dauerhaften Unmöglichkeit in der Regel gleichgesetzt sein, da der Kunde ein Interesse an einer zügigen Lieferung hat und andernfalls schnell umdisponieren wird. Dann entfallen Liefer- und Zahlungspflichten schon von Gesetzes wegen.

Eine Vertragsanpassung oder sogar –kündigung ist möglich, wenn die Voraussetzungen der Störung der Geschäftsgrundlage gegeben sind. Dazu müssen sich nach Vertragsschluss Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, schwerwiegend verändert haben. Weiterhin ist erforderlich, dass der Vertrag mit anderem Inhalt geschlossen worden wäre, wenn die Vertragsparteien diese Änderung vorhergesehen hätten. Pandemien können grundsätzlich eine solche Störung darstellen. Es kommt aber wie so oft auf den Einzelfall, die individuellen Vertragsregelungen und die konkreten Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis an. Bloß geringfügige Lieferverzögerungen dürften nicht in den Anwendungsbereich der Störung der Geschäftsgrundlage fallen. Je länger die Corona-Pandemie jedoch dauert und je größer ihre Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben werden, desto eher kommt eine Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht.

3. Habe ich ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn ich aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht leisten kann oder dadurch in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten käme?

Ein Leistungsverweigerungsrecht besteht grundsätzlich nur in Fällen der Unmöglichkeit (siehe Frage 2).

Bis zum 30. Juni 2020 gab es daneben ein besonderes, zeitlich begrenztes Leistungsverweigerungsrecht, dass der Gesetzgeber im ersten Corona-Hilfspaket beschlossen hatte. Darin erhielten Kleinstunternehmer (bis zu 9 Beschäftigte und einen Jahresumsatz unter EUR 2 Mio.) und Verbraucher ein zeitlich begrenztes Leistungsverweigerungsrecht für Verpflichtungen aus sog. wesentlichen Dauerschuldverhältnissen (insb. Strom, Wasser, Gas und Telekommunikation), wenn sie aufgrund der COVID-19-Pandemie außerstande waren, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen und das Vertragsverhältnis vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde. Wurden die Leistungsverpflichtungen (insb. die Zahlungsverpflichtung) zwischen dem 1. April und dem 30. Juni 2020 fällig, konnten die Kleinstunternehmer diese verweigern. Folge des Leistungsverweigerungsrechts war allerdings nicht, dass die Leistung auch in der Zukunft nicht erbracht werden musste. Vielmehr bleiben die Leistungspflichten – anders als beispielsweise bei einem Erlass – beim Leistungsverweigerungsrecht bestehen. Mit Ablauf dieses sog. Moratoriums am 30. Juni 2020 sind alle – auch die zuvor verweigerten – Leistungen wieder fällig geworden und müssen nun erbracht werden.

4. Was passiert mit den Vertragsbeziehungen zu meinen Kunden, wenn mein Lieferant mich nicht mehr beliefern kann?

Wird Ihre Lieferkette unterbrochen, weil Ihnen ein Lieferant nicht mehr liefern kann und Sie deshalb ebenfalls in Schwierigkeiten kommen, gilt Folgendes:

Selbst wenn sich Ihr Lieferant Ihnen gegenüber auf einen Fall höherer Gewalt berufen kann (siehe oben Frage 1), sind Ihre Vertragsverhältnisse mit Ihren Kunden im Grundsatz davon nicht betroffen. Einzige Ausnahme ist, wenn sich in den Verträgen zwischen Ihnen und Ihren Kunden eine Klausel befindet, die die höhere Gewalt aus der Vertragsbeziehung zwischen Ihnen und Ihrem Lieferanten quasi auf die Vertragsbeziehung zwischen Ihnen und Ihren Kunden verlängert. Üblicherweise wird dies in Verträgen dadurch sichergestellt, dass Lieferschwierigkeiten von Zulieferern als Beispiel eines Force Majeure Ereignisses vertraglich definiert werden.

Ansonsten gelten die allgemeinen Regeln: Ihre Leistungspflicht gegenüber Ihren Kunden bleibt zunächst bestehen. Sie sind gehalten, die fehlenden (Vor-)Produkte über andere Lieferanten zu beziehen. Ein Anspruch auf Preisanpassungen ist aber denkbar, wenn eine Leistung nur durch kostspielige alternative Transportwege (beispielsweise per Flugzeug statt per Schiff) oder durch teure Deckungskäufe (beispielweise von Lieferanten aus Europa statt aus China) erbracht werden kann.

Für den Fall, dass das zu liefernde Produkt so speziell sein sollte, dass es kein anderer Lieferant in der gebotenen Zeit liefern kann, ist auch ein Fall der Unmöglichkeit denkbar. Sie sind dann nicht weiter zur Lieferung verpflichtet, verlieren aber gleichzeitig den Zahlungsanspruch gegen Ihre Kunden.

5. Habe ich Ansprüche gegen meinen Lieferanten, wenn dieser nicht mehr liefern kann?

Gibt es keine spezielleren Regeln in AGB oder den Lieferverträgen, gelten die allgemeinen gesetzlichen Regelungen: Kann Ihr Lieferant einen Fall der Unmöglichkeit geltend machen, hängt ein Schadensersatzanspruch davon ab, ob Ihr Lieferant die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Gerade bei behördlichen Verboten (Embargo) oder Fällen, die unter die Kategorie „höhere Gewalt“ fallen, ist dies zu verneinen.

Abgesehen hiervon stünde aber auch Ihrem Lieferanten das oben erwähnte Leistungsverweigerungsrecht gegen Ihr Leistungsverlangen zu, wenn die oben genannten Voraussetzungen vorliegen. Ist dies der Fall, steht das Leistungsverweigerungsrecht Ihrem Anspruch auf Lieferung / Durchführung der vereinbarten Leistung entgegen. Infolgedessen wird auch das Entstehen von Sekundäransprüchen wie Schadensersatzansprüchen durch die Nichterbringung von Leistungspflichten verhindert.

6. Handlungsempfehlungen

  • Prüfen Sie Ihre Verträge nach Force Majeure-Klauseln und Regelungen zu Lieferausfällen. Welchen Inhalt haben Sie, gibt es Fristen oder beispielhafte Aufzählungen, die auf die aktuelle Corona-Pandemie passen?
  • Kontaktieren Sie Ihre Geschäftspartner frühzeitig und klären Sie diese über die aktuelle Situation und Ihre Vorkehrungen auf, mit denen Sie Lieferengpässe vermeiden wollen. Hierfür empfiehlt es sich, Kundeninformationsschreiben zu entwerfen, die detailliert die von Ihnen konkret veranlassten Maßnahmen (Verbot von Geschäftsreisen, Umstellung auf Home Office, Aufstockung von Lagervorräten etc.) darstellen. Solche Schreiben können zum Beispiel auch als wöchentliches Update versendet werden.
  • Dokumentieren Sie Ihre Entscheidungen und deren Tatsachengrundlagen. So sind Sie gegen eventuelle Ersatzansprüche nach Bewältigung der aktuellen Krise gesichert.
  • Wollen Sie von Ihrem neuen Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen, müssen Sie dies gegenüber Ihren Gläubigern explizit erklären und die Umstände, aufgrund derer Sie nicht liefern können, darlegen.

7. Was ist in künftigen Verträgen zu beachten?

Bei Verträgen, die ca. ab Februar 2020 geschlossen wurden oder noch werden, greift eine Force Majeure-Klausel ins Leere (s.o. Frage 1); auch eine Berufung auf eine Störung bzw. den Wegfall der Geschäftsgrundlage wird nicht mehr möglich sein. Denn beide Institute setzen voraus, dass die Corona-Pandemie nicht vorhersehbar ist. Ca. seit Februar 2020 hätten die Vertragsparteien aber die Möglichkeit gehabt, das Risiko von Lieferschwierigkeiten entsprechend einzupreisen bzw. individuelle Regelungen zu vereinbaren.

Um die momentanen Ungewissheiten vertraglich abzubilden, sollten aus Sicht von Lieferanten Liefertermine ab sofort nach Möglichkeit unverbindlich sein, oder Verzögerungen infolge der Corona-Pandemie zumindest von negativen, vertraglichen Konsequenzen ausgenommen werden. Vertragsstrafen im Falle des Verstoßes gegen fixe Liefertermine müssen jetzt (und unabhängig davon eigentlich immer) unbedingt vermieden werden.

Für Kunden, die dringend auf bestimmte Waren angewiesen sind, kann sich anbieten, mit seinem Lieferanten den Aufbau eines (oder den Zugriff auf ein) Konsignationslager(s) in der Nähe des Sitzes des Kunden zu vereinbaren. Hierdurch kann die Versorgungssicherheit erhöht werden, da eventuell fehlende Transportmöglichkeiten des Lieferanten zumindest zeitweise aufgefangen und Lieferzeiten verkürzt werden.

Bei Verträgen, die ab dem 8. März 2020 geschlossen wurden oder noch werden, greift außerdem das neu geregelte Leistungsverweigerungsrecht nicht ein, da diese Verträge trotz Kenntnis von der Corona-Pandemie geschlossen wurden.

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