Öffentliche Hand und Corona-Pandemie

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Die Auswirkungen des Corona-Virus treffen nicht nur die privat organisierte Wirtschaft, auch die öffentliche Hand sieht sich angesichts der außergewöhnlichen Situation vor besondere Herausforderungen gestellt.

I. Beschlussfassung in Kollegialorganen

Die Folgen des Corona-Virus treffen einen für die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand in Krisenzeiten zentralen Bereich, nämlich die Beschlussfassung in Kollegialorganen. Davon sind namentlich vor allem der Bundestag, die Landtage, Gemeinderäte, Kreistage, Bezirkstage sowie vergleichbare Kollektive betroffen.

1. Rechtfertigt die durch das Corona-Virus begründete Gefahr für Leib und bzw. oder Leben einen Ausschluss der Öffentlichkeit?

Grundsätzlich Nein.

Zu unterscheiden sind insoweit insbesondere Vorgaben des einfachen Rechts und des Verfassungsrechts.

Im einfachen Recht finden sich regelmäßig keine Tatbestände, die einen Ausschluss der Öffentlichkeit legalisieren. Insbesondere die verbreitete Regelung eines Öffentlichkeitsausschlusses, soweit das Wohl der Allgemeinheit oder berechtigte Interessen einzelner entgegenstehen, kann nicht herangezogen werden, da diese Normen einen gesetzgeberischen Interessenausgleich zwischen dem Öffentlichkeitsgrundsatz und Geheimhaltungsinteressen herstellen, hier – angesichts des Corona-Virus – aber gar keine Kollision dieser beiden Rechtsgüter besteht. Das einfache Recht hält daher keine spezielle Antwort für die aktuelle Situation bereit, sondern verlangt vielmehr grundsätzlich die Wahrung der Öffentlichkeitsmaxime. Deren Inhalt und Reichweite respektive die Definition der einfachrechtlichen Begriffe „öffentlich“, „Öffentlichkeit“ et cetera sind allerdings durch verfassungsrechtliche Rechtslage, die im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zu beachten ist, prädeterminiert und gelten demgemäß nicht schrankenlos.

Das Verfassungsrecht erlaubt angesichts der derzeitigen, durch das Corona-Virus bedingten Sachlage wohl keinen Ausschluss der Öffentlichkeit. Im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung ist zwischen den Rechtsgütern des durch das Demokratieprinzip garantierten Öffentlichkeitsgrundsatzes und des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit bzw. Leben praktische Konkordanz herzustellen. Ein verhältnismäßiger Ausgleich im engeren Sinne wird in diesem Spannungsverhältnis wohl aber bereits dadurch erreicht werden, indem einschlägige Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Dazu können insbesondere hinreichende Sicherheitsabstände, eine Verlegung von Sitzungen in größere und bzw. oder besonders geschützte Räumlichkeiten sowie Videoübertragungen in Betracht zogen werden.

2. Sind sogenannte Umlaufbeschlüsse angesichts des Corona-Virus rechtmäßig?

Wohl Nein.

Umlaufbeschlüsse bedeuteten einen vollständigen Ausschluss der Öffentlichkeit, was mit den Anforderungen des Demokratieprinzips nicht zu vereinbaren ist.

3. Wie kann eine Entscheidung in dringlichen Fällen herbeigeführt werden?

Für Dringlichkeitsanordnungen besteht ein wesentlicher, struktureller Unterschied zwischen Legislativorganen und Exekutivorganen mit legislativähnlichem Charakter.

Während für den Bundestag und die Landtage als Legislativorganen lediglich die Anordnung eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens, des sogenannten Gesetzgebungsnotstands, wie er sich exemplarisch in Art. 81 GG findet, in Betracht kommt, existieren für Exekutivorgane, wie beispielsweise den Gemeinderat, typischerweise besondere Vorschriften über Eilentscheidungen. Dringliche Anordnungen können beispielsweise regelmäßig durch den Bürgermeister oder Landrat getroffen werden, der dem Kollegialorgan sodann informationspflichtig ist.

4. Gibt es die Beschlussfassung im Kollegialorgan betreffende, durch das Corona-Virus veranlasste Rechtsakte?

Nein. Soweit ersichtlich ist ein solcher Rechtsakt bisher (noch) nicht erlassen worden. Der Erlass solcher Gesetze ist für die Zukunft aber nicht auszuschließen.

Der Landtag des Landes Brandenburg diskutiert einen entsprechenden Gesetzentwurf (Landtag Brandenburg, Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Gesetz zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der brandenburgischen Kommunen in außergewöhnlicher Notlage (Brandenburgisches kommunales Notlagegesetz – BbgKomNotG), LT-Drucks. 7/991). Der Gesetzentwurf enthält eine Verordnungsermächtigung, die das Innenministerium dazu ermächtigt, zeitlich befristet bis zum Außerkrafttreten des ermächtigenden Gesetzes am 30. Juni 2020 Abweichungen von der Kommunalverfassung zuzulassen. Inhaltlich betreffen die Abweichungen Verschiebungen der sachlichen Zuständigkeit im Hinblick auf die Organkompetenz, die Entpflichtung von Präsenzsitzungen, die Zulässigkeit von Umlaufbeschlüssen, die Gewährleistung unmittelbarer Sitzungsöffentlichkeit, die Entpflichtung von der Durchführung bereits festgelegter Kommunalwahlen und nach gesetzlicher Vorschrift festzusetzender oder festgesetzter Bürgerentscheide und die Zulässigkeit der Bestellung weiterer Stellvertreter für die Mitglieder des Hauptausschusses nach der konstituierenden Sitzung und unter Berücksichtigung des Spiegelbildlichkeitsgrundsatzes. Die Abweichungen sind an gewisse, im Gesetzentwurf verankerte Kautelen geknüpft. Insbesndere sei dem Grundsatz der Öffentlichkeit weiterhin Rechnung zu tragen. Präsenzsitzungen könnten alternativ über einen Livestream verfolgt werden. Sollten keine Präsenzsitzungen durchgeführt werden, sei technisch zur Herstellung der Öffentlichkeit mindestens dafür Sorge zu tragen, dass die interessierte Öffentlichkeit in einem gesonderten öffentlich zugänglichen Raum der Verwaltung die Sitzung zeitgleich verfolgen könne.

Die Verordnungsermächtigung zum administriellen Dispens diverser kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften angesichts der durch das Corona-Virus bedingten Situation ist naturgemäß im Hinblick auf ihre Verfassungsmäßigkeit, gemessen an der Landesverfassung sowie dem Grundgesetz, zweifelhaft. Eine rechtliche Bewertung des Gesetzentwurfes soll mit Blick auf die vorwiegend deskriptive Funktion und die damit verbundenen Rahmenbedingungen dieses Textes an dieser Stelle jedoch nicht vorgenommen werden.

II. Öffentliches Finanzwesen

Die Corona-Pandemie erweist sich als Krise in vielschichtiger Hinsicht. Sie verlangt nicht nur dem Gesundheitswesen, sondern auch der Wirtschaft erhebliche Anstrengungen ab. Die öffentliche Wirtschaft im Außerverhältnis ist mit der Herausforderung des Managements eines erhöhten Beschaffungsbedarfs zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben konfrontiert. Öffentliches Beschaffungswesen im Außenverhältnis geht stets Hand in Hand mit dem öffentlichen Finanzwesen im Innenverhältnis. Denn damit von Dritten bestimmte Güter oder sonstige Leistungen unproblematisch besorgt werden können, muss die öffentliche Hand über deren Erwerb in Übereinstimmung mit den einschlägigen rechtlichen Vorgaben disponieren dürfen.

Kommt es angesichts der aktuellen Situation zu einem erhöhten Liquiditätsbedarf der öffentlichen Hand, verbunden mit etwaigen Liquiditätsengpässen, gilt es insbesondere zu beachten, dass zwischen Bund und Ländern einerseits sowie Gemeinden und Gemeindeverbänden andererseits grundlegende strukturelle Unterschiede im Hinblick auf die entsprechenden rechtlichen Anforderungen bestehen:

1. Wie kann reagiert werden, wenn der öffentliche Haushalt nicht die im Zuge der Corona-Krise erforderlich werdenden Finanzmittel zur Disposition der öffentlichen Hand stellt?

Bund, Länder und Kommunen sowie in der Regel auch sonstige, ähnlich betroffene öffentlich-rechtliche Rechtsträger können einen Nachtragshaushalt beschließen. Während dies im Bund und in den Ländern durch Gesetz geschieht, erlassen die Kommunen hierzu eine Satzung. Der Erlass des Nachtragshaushalts ist typischerweise bis zum Ende des laufenden Haushaltsjahres befristet.

Unterschiede können im Hinblick auf das Inkrafttreten des Nachtragshaushalts bestehen. Je nach einschlägigem Landesrecht kann das Inkrafttreten von Nachtragshaushaltssatzungen der Kommunen die Erfüllung einer Genehmigungspflicht durch die Feststellung der Genehmigungsfähigkeit seitens der Rechtsaufsichtsbehörde voraussetzen. Es finden sich insoweit zwei Modelle: Im „präventiven“ Modell eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt ist der Bekanntmachung der Satzung eine positive Genehmigung vorausgesetzt, im „repressiven“ Modell einer Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt kann die bis zur Bekanntmachung negativ schweigende Aufsichtsbehörde nachträglich einschreiten. Nachtragshaushaltsgesetze des Bundes oder der Länder werden dem Bundesrechnungshof bzw. dem jeweiligen Landesrechnungshof zugeleitet, der nach deren Prüfung sein Prüfungsergebnis in Bemerkungen, einem Bericht oder ähnlichem festhält und mitteilt, die keinen Einfluss auf die Geltung des Gesetzes haben.

Im Hinblick auf künftige Haushalte, namentlich also vor allem jene für das Jahr 2021, gilt es zu beachten, dass im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung die Bundesregierung, Landesregierung oder die Kommune ermächtigt ist, Ausgaben zu tätigen und sonst zu verfahren. Kommunen sind in der Regel berechtigt, bis zu einem bestimmten Schwellenwert des Gesamtbetrags der Kredite aus dem Vorjahr – teilweise liegt dieser bei einem Viertel, zum Teil auch bei einem Sechstel –, Kredite auch schon in dieser Phase aufzunehmen.

2. Welche Auswirkungen hat ein Nachtragshaushalt auf laufende kommunale Haushaltskonsolidierungsprogramme?

Das Haushaltsrecht wird maßgeblich geprägt von der Maxime des Haushaltsausgleichs. Rechtliche Zielbestimmung und tatsächliche Entwicklung haben sich in einigen Kommunen jedoch als zunehmend inkongruent herausgestellt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind verschiedentlich Haushaltskonsolidierungsinstrumente in manche Gesetze implementiert worden. Hierzu zählen auch die Instrumente des Haushaltssicherungskonzepts (HSK) und des Haushaltssanierungsplans (HSP).

Kommunen, die an einem Haushaltsicherungskonzept teilnehmen, unterliegen regelmäßig vergleichsweise gesteigerten Anforderungen an den Erlass einer Haushaltssatzung. Sie sind typischerweise in ein „präventives“ Modell, verbunden mit einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, eingebunden. Die einschlägigen Normen für die Erlaubnis bzw. Genehmigung der Haushaltssatzungen räumen der Aufsichtsbehörde allerdings in der Regel gewisse Spielräume ein, sei es auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite der einschlägigen Norm. Behördliche Beurteilungsspielräume, Subsumtion und Ermessensausübung können und – gegebenenfalls – müssen von der Aufsichtsbehörde mit Blick auf die besonderen Umstände der durch das Corona-Virus bedingten Situation unter deren angemessener Berücksichtigung ausgeübt werden.

Auch Haushaltssanierungspläne können regelmäßig in ähnlicher Weise wie Haushaltssicherungskonzepte im Hinblick auf erforderliche Anpassungen genehmigt werden, sodass sich die Situation insoweit in vergleichbarer Weise darstellt.

Soweit sich Normen finden, die keine Berücksichtigung der Auswirkungen der Corona-Krise auf die Haushaltssatzungen der Kommunen vorsehen, kommt deren teleologische Reduktion in Betracht. Im Ergebnis wird eine sachgerechte Lösung in solchen Fällen nur über den Rechtsgedanken der clausula rebus sic stantibus durch eine Anpassung oder – subsidiär und nur als ultima ratio – Beendigung des Haushaltsicherungskonzepts bzw. Haushaltssanierungsplans zu lösen sein.

3. Was gilt es zu beachten, wenn im Rahmen des Kreditwesens Liquiditätsengpässe ausgeglichen werden sollen?

Das Kreditwesen von Bund und Ländern unterscheidet sich strukturell grundlegend von jenem der Kommunen.

Die Kreditbeschaffung des Bundes und der Länder ist verfassungsrechtlich durch Art. 115 GG bzw. die entsprechend einschlägigen Vorschriften der jeweiligen Landesverfassung an den Erlass eines entsprechend ermächtigenden Gesetzes gebunden. Solche Gesetze sind in unterschiedlicher Form erlassen worden. Für den Bund ist vor allem das Bundesschuldenwesengesetz (BSchuWG) maßgeblich. In den Ländern existieren zum Teil ähnliche Landesschuldenwesengesetze (LSchuWG), teilweise fungiert als maßgebliches Gesetz mit der entsprechend einschlägigen Ermächtigungsgrundlage, aber auch das jeweilige Haushaltsgesetz in Verbindung mit einem Landes- bzw. Staatsschuldbuchgesetz. Bund und Länder können im Einklang mit diesen Vorschriften Kredite in unterschiedlichster Form aufnehmen, insbesondere durch die Emission von Staatsanleihen, für die als fiskalisches Handeln der öffentlichen Hand grundsätzlich die Regeln des Kapitalmarkt- und Wertpapierrechts – zum Teil entsprechende – Anwendung finden.

Kommunen können Kredite lediglich nach den für sie geltenden Vorschriften, insbesondere der jeweiligen Kommunalverfassung, aufnehmen. Die Emission von Anleihen gehört hierzu typischerweise nicht. Kredite unterliegen in der Regel der Genehmigungspflicht, für die die Aufsichtsbehörde zuständig ist. Dabei greift die Genehmigungspflichtigkeit unterschiedlich weit. Gesamtgenehmigungen für einen größeren Umfang von Kreditmitteln, vor allem Investitions- oder Fördermaßnahmen, sind ohne weitere Differenzierung genehmigungsbedürftig. Einzelgenehmigungen sind dann vorgeschrieben, wenn die Kreditaufnahme nach § 19 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) beschränkt worden ist. Dafür kommt es darauf an, ob die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen hat, die eine Kreditaufnahme zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts angeordnet hat. Bisher ist von der Verordnungsermächtigung – soweit ersichtlich – nur 1971 und 1973 Gebrauch gemacht worden. Eine aktuell gültige Rechtsverordnung existiert nach diesseitiger Einschätzung dementsprechend nicht.

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