Weil Sichtbarkeit das Wichtigste ist

Von “Critical Whiteness” bis “Tokenism”: Das Glossar für Sprache ohne Rassismus

Let's talk about Rassismus! Wenn es darum geht, über Identität zu sprechen, stößt man schnell an die Grenzen der deutschen Sprache. In diesem Glossar finden Sie daher die wichtigsten Begriffe, auf die Sie in Zusammenhang mit Repräsentation immer wieder treffen werden.
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Über Sprache und Rassismus – wichtige Begriffe für den diskriminierungsfreien Sprachgebrauch

Tarik Tesfu ist einigen von Ihnen vielleicht durch das Online-Format: Jäger & Sammler (ZDF) bekannt. Er beschreibt sich selbst als “Feminist, Content Creator und Gutmensch”. In diesem Glossar erklärt er die wichtigsten Begriffe, die im Zusammenhang mit Herkunft, Race und Identität immer wieder auftauchen.

Mit Rassismus ist es ein wenig so wie mit schlechtem Sex. Alle haben ihn (die einen mehr, die anderen weniger), aber niemand will es gewesen sein. Keine Ahnung, ob der Vergleich funktioniert, aber jetzt habe ich immerhin Ihre Aufmerksamkeit. Was ich damit sagen will: Obwohl wir uns alle rassistisch verhalten – die einen mehr, die anderen weniger –, tun wir uns extrem schwer damit, das auch mal zuzugeben.

Bevor es jetzt bei machen mit der Schnappatmung losgeht: “Aber, aber ich bin doch kein*e RassistIn…” Tief ein- und ausatmen, darum geht es mir gar nicht. Sondern darum, ob Ihr Verhalten in einer bestimmten Situation rassistisch ist. Merke: RassistInnen sind fulltime-mäßig auf Diskriminierungs-Mission, die meisten anderen sind auf Minijobbasis oder in Teilzeit auf dem Rassismus-Markt unterwegs.

Und ganz ehrlich: Auch ich nehme eine Gruppe von weißen Männern manchmal positiver wahr als eine Gruppe von nicht-weißen. Weil auch ich in einem rassistischen System groß geworden bin. Nur weil ich selbst Schwarz bin, kann ich mich davon nicht befreien.

Deswegen hier mal ein paar Begriffe, die Sie bei der nächsten *Wat-ist-eigentlich-dieser-Rassismus-*Diskussion als Gewinner*innen vom Feld tänzeln lassen:

People of Color

Person of Color (Plural: People of Color, abgekürzt PoC) ist eine politische Selbstbezeichnung aus dem angloamerikanischen Raum für Menschen, die in der Mehrheitsgesellschaft als nicht weiß gelesen werden und deshalb von Rassismus betroffen sind. Seit einigen Jahren wird der Begriff auch in Deutschland immer populärer und was soll ich sagen: Ich feier das. Weil es sich nämlich endlich mal um keine Fremdzuschreibung, wie farbig (finde ich persönlich ganz schlimm) oder dunkelhäutig (siehe farbig) handelt. Sondern der Begriff eben aus der Community selbst kommt und deshalb absolutes Empowerment-Potential hat. PoC wird in abgewandelter Form auch für Frauen* (Women of Color, WoC), Männer* (Men of Color, MoC) oder Berufsgruppen (z.B. Artists of Color) verwendet.

Race (statt “Rasse”)

Wer keine Lust auf Nazi-Romantik hat, sollte Rasse lieber aus dem Vokabular streichen. Falls man, warum auch immer an dem Begriff hängt, würde ich persönlich das englische Wort Race präferieren. Wer wiederum keine Lust auf Anglizismen hat, kann gerne den Begriff Herkunft benutzen. Obwohl Herkunft und Race nicht zu 100% das gleiche meinen. Ups: Lost in Translation. Aber hey, keine Panik: Sprache ist immer wandelbar und niemand ist perfekt. Wir können aber gemeinsam an einer Sprache basteln, die niemanden ausschließt oder diskriminiert.

Schwarze Menschen

Eine Selbstbezeichnung, die groß geschrieben wird, um zu verdeutlichen, dass es beim Schwarzsein um die Verbundenheit aufgrund gemeinsamer Rassismuserfahrungen und der Art und Weise, wie man wahrgenommen wird, geht.

Weiß und Weißsein

Ebenso wie Schwarzsein wird damit keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion bezeichnet. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weißsein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was z.B. den Zugang zu Ressourcen betrifft.

Struktureller Rassismus

Rassismus startet nicht erst dann, wenn man sein Kreuzchen bei der AfD macht oder wenn Neonazis mit mir ‘ne Runde joggen wollen. Schön wär’s, denn ich habe mit Neonazis in meinem Alltag ziemlich wenig bis gar nichts zu tun. Rassismus steckt in unserem Denken, in unserem Verhalten, in Institutionen und hat deshalb eine strukturelle Komponente. Wenn ich in einem Zug als einzige Person von Polizist*innen nach meinem Ausweis gefragt werde, dann ist das Racial Profiling (eigentlich in Deutschland verboten) und eine Form von strukturellem Rassismus. Weil ich eben nicht kontrolliert werde, weil ich mich daneben benommen habe, denn meistens schaue ich vorher einfach nur aus dem Fenster, sondern weil davon ausgegangen wird (und das von einer staatlichen Instanz), dass ich aufgrund meiner Hautfarbe illegal in Deutschland bin oder Drogen im Portemonnaie haben könnte. Was man halt so macht, wenn man Schwarz ist.

Struktureller Rassismus geht aber natürlich nicht nur von der Polizei aus, sondern auch von Arbeitgeber*innen, die eine Muslima mit Kopftuch nicht einstellen oder Vermieter*innen, die Wohnungssuchende mit einem nicht deutschen Namen erst gar nicht zur Besichtigung einladen. Oder Lehrer*innen, die Kindern mit Migrationsgeschichte weniger zutrauen. Struktureller Rassismus führt zu einem krassen Ohnmachtsgefühl, weil Institutionen oder Behörden, die eigentlich einen auf ”I care for you” machen sollten, Rassismus reproduzieren.

Positiver Rassismus

Ich persönlich bin kein Fan von dem Begriff Positiver Rassismus, weil er suggeriert, dass bei Rassismus die Bad-Cop-Good-Cop-Nummer funktionieren würde. Als gäbe es einen Rassismus, der nicht tolerierbar ist (kloppende Neonazis) und einen, bei dem sich die Betroffenen nicht so anstellen sollen, weil ist ja nicht böse gemeint ist, und bluten tut ja auch niemand. Aber worum geht’s dann? Positiver Rassismus ist, wenn ich beispielsweise gefragt werde, warum ich so gut Deutsch spreche. Und ich mir dann immer denke: ”Äh, weil ich hier geboren bin.“ Alles andere wäre ziemlich komisch.

Die Frage macht deutlich, dass im Jahr 2019 echt einige noch nicht mitbekommen haben, dass Schwarz sein und deutsch sein ziemlich dufte zusammenpassen. Außerdem bekomme ich oft zu hören, dass ich gar nicht sooo afrikanisch aussehe (by the way: Afrika ist kein Land), weil mein Gesicht ja gar nicht sooo afrikanisch ist.

Jetzt könnte man vielleicht denken: ”Wow, wie lieb von dir, merci!” Aber was sagt so ein Statement eigentlich aus? Wie sehen denn Menschen in Afrika aus? Und wenn ich ”afrikanischer“ aussehen würde, wäre das dann schlecht? Was einige weiße Menschen nicht nachvollziehen können oder wollen, ist die Tatsache, dass Rassismus-Erfahrungen immer und immer wieder gemacht werden. Wie ein Instagram-Boomerang ist man quasi im Rassismus-Loop gefangen, und das hat natürlich einen Effekt auf die eigene Identität, egal, ob gerade mal positiver oder struktureller Rassismus dran ist. Deswegen wird es allerhöchste Eisenbahn, dass wir über das böse P-Wort sprechen: Privilegien.

Privilegien & Critical Whiteness

Sollten Sie weiß sein und den Text bis hierher gelesen haben, ohne wütende Hasskommentare zu schreiben, dann sind Sie in puncto Critical Whiteness schon ganz gut dabei. Es geht nämlich darum, anzuerkennen, dass weiße Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe mehr vom Privilegien-Kuchen naschen können als People of Color. Und dass man diesen Benefit reflektiert und am Ende im besten Fall eine rassismuskritische Haltung herauskommt. Oft kommt leider eher Wut à la ”Ich bin weiß, und bei mir ist auch nicht alles tutti” heraus.

Bei Rassismus geht es aber nicht um individuelle Befindlichkeiten, sondern um systematische Diskriminierung. Weil es eben kein Racial Profiling bei weißen Menschen gibt. Und man als Max und Erika Mustermann bessere Chancen hat, ’ne Bude oder einen Job abzustauben, als wenn man Ümit und Cem Duyan heißt. Ein weiterer Punkt bei Critical Whiteness: Einige weiße Menschen tendieren dazu, einen auf colorblind zu machen. So nach dem Motto: ”Ich sehe keine Hautfarben, ich sehe nur Menschen. Alle Menschen sind gleich. Mensch ist Mensch.”

Solche Aussagen zeigen, was für ein Privileg es ist, als weißer Mensch durchs Leben zu hüpfen. Nämlich das Privileg, selbst als Erwachsener noch an Märchen zu glauben.

Rassismus gegen Weiße

Gibt es nicht: Next! Weil Rassismus auch immer was mit Macht und Hierarchien zu tun hat. Kleiner Test:

Wie viele Schwarze Politiker*innen in Deutschland kennen Sie? Wie viele Schwarze Menschen oder People of Color kennen Sie, die bei einer Behörde hinter dem Schreibtisch sitzen? Wie viele nicht-weiße Lehrer*innen kennen Sie? Wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte kennen Sie, die im Vorstand eines DAX-Unternehmens sitzen oder bei der Polizei arbeiten? Wie viele Schwarze Menschen kennen Sie, die ein deutsches Medienunternehmen führen? Wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte sind in Ihrem Freundeskreis? Und mit Freundeskreis ist nicht das libanesische Restaurant um die Ecke gemeint …

Token & Tokenism

Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen: Was bitteschön ist ein Token? Den Begriff Quoten-Schwarze*r kennen Sie aber bestimmt. Und genau darum geht es beim Tokenism. Um einen auf Wannabe-Diversity zu machen, wird beispielsweise eine Schwarze Person ins Team geholt, die aber dann gefälligst bei jedem rassistischen Witz mitlacht und in puncto Rassismus-Awareness ganz hinten mitspielt oder zumindest so tut.

Es geht also nicht darum, die eigene (eventuell rassistische) Unternehmenskultur infrage zu stellen, sondern sich einen Token ins Bötchen zu holen, der/die den eigenen Rassismus bestätigt und dadurch bagatellisiert. So nach dem Motto: Wenn der/die Schwarze Arbeitskolleg*in kein Problem damit hat, dann kann es ja kein Rassismus mehr sein.

Außerdem wird ein Token nicht als Individuum wahrgenommen, sondern immer als Repräsentation für eine vermeintlich homogene Gruppe: ”Kein Wunder, dass die nicht so gut Deutsch spricht, die ist ja nicht von hier” oder “Mit Pünktlichkeit haben die es ja nicht so…” Sind wir etwa alle ein wenig Token-mäßig unterwegs?

Intersektionalität

Intersektionalität ist ein feministisches Konzept, das ziemlich clever erkannt hat, dass Menschen nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, sondern aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Alters, ihrer sozialen Herkunft, ihrer Religion und/oder einer Behinderung diskriminiert werden.

Es geht also um Mehrfachdiskriminierungen und wer in bestimmten Situationen als Privilegien-Hengst*in vom Feld galoppiert. Denn es macht einen Riesen-Unterschied, ob eine weiße, heterosexuelle Mittelklasse-Frau um ihre Rechte kämpft oder eine Schwarze Frau* mit Kopftuch. Bei Intersektionalität geht’s nicht darum, wer beim Privilegien-Glücksrad am blödesten dasteht und den Ich-darf-jetzt-alles-Freifahrtschein gewonnen hat, sondern es geht darum, die eigenen Privilegien zu hinterfragen, dem Gegenüber Raum zu lassen, um über eigene Erfahrungen zu sprechen, dabei unterschiedliche Lebensrealität anzuerkennen, sich solidarisch zu zeigen, auch oder gerade wenn man selbst nicht betroffen ist, um so andere zu empowern.

Intention vs. Effekt

So! Und wie kommen wir jetzt raus aus dem Rassismus-Dilemma? Indem wir zum Beispiel mit dem Kindergarten-Gejammer ”Aber ich habe das doch gar nicht so gemeint” aufhören. Denn die Intention bei rassistischem Verhalten ist erst mal ziemlich egal. Wichtig ist, welchen Effekt das Verhalten beim Gegenüber hat. Und der Effekt ist schmerzhaft. Wenn Ihnen jemand eine Backpfeife gibt und danach sagt: ”Ups, war nicht so gemeint”, ändert das ja nichts daran, dass die Aktion total daneben war und Ihr Gesicht wehtut. Oder?

Kartoffel

Eine Kartoffel ist eine Pflanze, aus der man tolle Sachen machen kann. Wie zum Beispiel: Pommes (schmecken ziemlich nice mit Ketchup), Chips, Kartoffelsuppe, Bratkartoffeln (mag ich supergern), Kartoffelpuffer oder Kartoffelgratin. In Österreich heißen Kartoffeln Erdäpfel. Witzig, oder? Eine Kartoffel hat also echt viele Skills. Eine rassistische Beleidigung (siehe Punkt: Rassismus gegen Weiße) ist die Wunderknolle nicht: Guten!

"Weil Sichtbarkeit das Wichtigste ist”: Wir erkunden zusammen mit unserer Guest Editor Kemi Fatoba in Videos, Fotostrecken und Artikeln, wie Menschen mit Rassismuserfahrungen Deutschland erleben. Was People of Color bedeutet, lesen Sie in diesem Artikel. Zu allen weiteren geht es hier.

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