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OLIVER, DU BESCHÄFTIGST DICH SEIT VIELEN JAHREN MIT DEM THEMA EHRENAMT. WELCHE ROLLE SPIELT DAS THEMA WERTSCHÄTZUNG FÜR EINE GESUNDE EHRENAMTSKULTUR?
Befragungen zeigen, dass Ehrenamtliche grundsätzlich Wertschätzung und Anerkennung für ihr Engagement von der Organisation erwarten, auch wenn das nicht das Wichtigste für sie ist. Da rangiert der Spaß, den man beim Engagement haben möchte, ganz oben auf der Erwartungsliste. Fehlt aber Wertschätzung, wird das von Ehrenamtlichen durchaus als Mangel empfunden. Sie fühlen sich dann u. U. ausgenutzt, nicht beachtet oder ungerecht behandelt und insgesamt unzufrieden. Es gibt sicher auch einige Ehrenamtliche, die von sich sagen würden, Wertschätzung und Anerkennung sind für sie nicht wichtig. Es gibt sogar Untersuchungen von Schweizer Psychologen, die herausgefunden haben, dass bestimmte Ehrenamtliche jegliche Form von Anerkennung seitens der Organisation als manipulativ betrachten. Du siehst, das Thema Wertschätzung ist vielschichtig und nicht trivial. Wichtig finde ich persönlich, dass sich eine Organisation aktiv um eine gute Wertschätzungs- und Anerkennungskultur bemüht, auch wenn nicht alles immer gut ankommt. Dieses Bemühen sollte sich allerdings nicht nur beim alljährlichen Ehrenamtsfest zeigen, sondern als Grundhaltung in vielen kleinen und großen Dingen.
ES GIBT VIELE VERSCHIEDENE FORMEN VON WERTSCHÄTZUNG. WELCHE GEWINNEN DEINER MEINUNG NACH AN BEDEUTUNG, WELCHE VERLIEREN FÜR DIE EHRENAMTLICHEN AN REIZ?
Auch hier gibt es leider keine eindeutige Antwort. Eine Grußkarte mit einem handgeschriebenen Satz, der zum Empfänger passt, kommt sicher gut an. Wiederholt man das zum fünften Mal, kann es sein, dass dies dann nicht mehr das Gefühl von Wertschätzung und Anerkennung erzeugt. Oft ist es das Unerwartete, was als besondere Wertschätzung empfunden wird. Das kann auch eine kleine Praline auf dem Schreibtisch eines Ehrenamtlichen sein, also einfach eine unerwartete Aufmerksamkeit, die zeigt, ich hab‘ an dich gedacht und ich freue mich, dass du dich für uns engagierst. In machen Organisationen ist dies vielleicht zu emotional. Dann kann es auch etwas Anderes sein, z. B. ein Kinogutschein oder eine Einladung zu etwas. Wenn es etwas Materielles sein soll, ist es natürlich gut, wenn man etwas schenkt, was genau zum Ehrenamtlichen passt. Wenn ich weiß, dass jemand gerne wandert, Krimis liest und Katzen hat, könnte ich mir ja ein Geschenk überlegen, was hier gut passt. Das setzt natürlich voraus, dass ich mich vorab mit einem oder einer Ehrenamtlichen als Person auseinandergesetzt habe. Und da sind wir schon am Kern. Ich fühle mich von einer Organisation wertgeschätzt, wenn ich nicht nur als Arbeitskraft gesehen und für meine Leistungen gelobt werde, sondern wenn ich mich als Mensch gesehen und erkannt fühle. Man muss dafür kein Psychologe sein. Es reicht, dass man sich mit jedem einzelnen Ehrenamtlichen ein wenig beschäftigt. Das funktioniert natürlich auch mit nichtmateriellen Formen der Wertschätzung. Wenn man Ehrenamtlichen eine herausfordernde Aufgabe anbietet, ihnen Entscheidungsfreiheiten zugesteht, ihnen Vertrauen schenkt, sind das Formen der Wertschätzung, die lange anhalten.
FÜR DIE WERTSCHÄTZUNG FÜR EHRENAMTLICHE GIBT ES MEIST FESTE VORGABEN, WIE BEISPIELSWEISE GRUSSKARTEN ZUM GEBURTSTAG, WEIHNACHTSGESCHENKE, EHRUNGEN UND WEITERE. WIE STEHST DU ZUR WERTSCHÄTZUNG VOM EHRENAMT ZUM HAUPTAMT?
Das gerät gerne in Vergessenheit. Die Vorstellung, dass Hauptamtliche keine Wertschätzung brauchen, weil sie ja für ihre Arbeit bezahlt werden, wäre natürlich zu einfach. Sicher kann eine gewisse Befriedigung auch durch ein regelmäßiges Gehalt erfolgen. Richtige Zufriedenheit gibt es nur, wenn die nicht-monetäre Wertschätzung stimmt. Das kann das Feedback des Chefs oder der Chefin oder eines Kollegen sein, bei der man eine qualifizierte und hilfreiche Rückmeldung zu einer bestimmten Sache oder zur eigenen Person bekommt. Auch Ehrenamtliche sollten Hauptamtlichen Wertschätzung und Anerkennung zeigen können. Und auch Chefs und Chefinnen brauchen das. Eine gute Ehrenamtskultur ist immer das Resultat einer guten Organisationskultur. Will man die Ehrenamtskultur verändern, muss man erst in die Gesamtorganisation schauen.
WELCHE ROLLE SPIELT EIN FUNKTIONIERENDES FREIWILLIGENMANAGE-MENT FÜR DIE KULTUR DER WERTSCHÄTZUNG IN UNSEREM VERBAND?
Durch ein Freiwilligenmanagement gibt es Menschen, die sich für dieses Thema zuständig fühlen und sich daher intensiv Gedanken machen können. Gibt es das nicht, würde das Thema einfach in der Organisation zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, dass sich jemand darum kümmert. So gibt es verantwortliche Freiwilligenkoordinator*innen bzw. Freiwilligenmanager*innen, die das als eine ihrer Aufgaben ansehen. Im Sinne eines guten Freiwilligenmanagements wird sich eine Organisation Regeln und Verfahren überlegen, wie sie für die Vielzahl von Ehrenamtlichen mit all ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen in Hinblick auf die Wertschätzung gerecht werden kann. Darüber hinaus könnte durch ein Schulungsangebot für die Ansprechpartner*innen der Ehrenamtlichen eine weitere Sensibilisierung für dieses Thema stattfinden. Ziel ist es, die Wertschätzungskultur der eigenen Organisation immer wieder aufs Neue anzuschauen und ihr Aufmerksamkeit zu schenken.
WELCHE DREI TIPPS HAST DU, DAMIT WIR ALLE DAZU BEITRAGEN KÖNNEN, MIT UNSEREM KOLPINGBRUDER ODER UNSERER KOLPING-SCHWESTER ZUKÜNFTIG WERTSCHÄTZENDER UMZUGEHEN?
Ich würde empfehlen, sich die anderen Ehrenamtlichen, Hauptamtlichen und Kolpingbrüder und -schwestern mit denen man im Kontakt ist oder zusammenarbeitet noch einmal durch eine wertschätzende oder sogar liebevolle Brille anzuschauen. Was ist das Besondere an ihr oder ihm, was beeindruckt mich bzw. macht diesen Menschen so einzigartig? Wenn man es dann noch schafft, das in einer stimmigen Form rüberzubringen, hat man schon viel erreicht. Zudem sollten sich die Kolpingsfamilien immer wieder die Zeit nehmen über die Atmosphäre in der Gruppe zu sprechen. Zu leicht schleichen sich Dinge ein, die zu Irritationen, Spannungen und Konflikten führen. Ein klärendes Gespräch oder ein gemeinsam gelöster Konflikt stärkt die Gruppe und macht sie bereit für gemeinsame positive Erlebnisse. Und als drittes würde ich allen Kolpingbrüdern und –schwestern Gelassenheit im Umgang miteinander wünschen. Die Vorstellung, nur man selbst ist normal und alle anderen sind komisch, kann nicht passen. Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass jede*r Stärken hat und auch jede*r Fehler macht, ist die Grundlage für eine gute Ehrenamtskultur gelegt. Klingt eigentlich ganz einfach, oder?
Das Interview führte Ramona Linder.
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