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14.11.2020
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Guten Morgen aus Südtirol!
Herzlich willkommen zur vierzehnten Ausgabe von "KulturSüdtirol im November"! Es ist Samstag, der 14.11.2020 und wir starten wieder mit Euch in diesen Tag. 

Heute unternehmen wir gemeinsam eine Alpenüberquerung, immer gen Italien. Als Reisebegleiter steht uns der Autor Klaus-Werner Haupt zur Seite - ein profunder Kenner von Größen wie Johann Joachim Winckelmann, Hermann Graf von Pückler-Muskau oder Theodor Fontane, der die ein oder andere Reiseanekdote dieser Herren zu berichten hat. Eine davon hat er heute im Gepäck. Überschreiben könnte man sie mit "Wenn Italien zu italienisch ist - oder Theodor Fontane schlicht zu deutsch". Oder kurz: Die Brieftasche war an allem schuld ...

Viel Spaß beim Lesen und Euch ein schönes Wochenende
Johanna und Benjamin
Der nörgelnde Tourist. Theodor Fontane in Italien
Seit 1863 existiert die Eisenbahnverbindung von Berlin an den Golf von Neapel, doch erst elf Jahre später plant Theodor Fontane eine Reise in den Süden. „Jeder dritte Mensch“ ist inzwischen in Rom oder Neapel gewesen, doch der „Nordlandsmensch“ Fontane glaubt seine Englanderlebnisse nicht überbieten zu können. 1844 kam er in den Genuss einer Pauschalreise, 1855 fuhr er als Korrespondent nach London. Den nachfolgenden vierjährigen Englandaufenthalt krönte ein Ausflug nach Schottland. Später bereiste Fontane die Kriegsschauplätze in Dänemark und Frankreich, mit seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg (ab 1862) wurde er berühmt.
 
Inzwischen ist Fontane 54 Jahre alt, Italien kennt er bisher nur von Landschaftsbildern oder Reisebeschreibungen. Goethes autobiografische Italienische Reise begeistert ihn wenig, aber den Baedeker hat er „durchstudiert“. Eine Reise in den Süden muss sein – koste es, was es wolle. „Es kommt nicht auf die Masse des zu Sehenden und kaum auf die Bedeutung des ein oder anderen an“, erklärt er seiner Ehefrau, „sondern lediglich darauf, mit welchem Auge man sieht. Es darf nicht trübe sein.“ Dr. Ernst Försters Handbuch für Reisende in Italien und Theodor Gsell Fels' Rom und Mittelitalien (1871) schärfen den Blick.

 
Sehnsuchtsland Italien?
Am 30. September 1874 reisen Theodor und Emilie Fontane via Leipzig und München zunächst nach Verona und Venedig. Von dort geht es weiter nach Florenz und Rom, schließlich nach Neapel. Die jeweilige Aufenthaltsdauer wird vom Fahrplan der Eisenbahn und dem Mietpreis der Droschken bestimmt. Fontane empfindet deutlich, „daß die Zeitfrage an dieser Erdenstelle eine ziemlich gleichgültige ist“. Wie gewohnt schreibt er Tagebuch und hält Merkwürdigkeiten in Notizbüchern fest.
 
Ein Ärgernis sind die hygienischen Verhältnisse. In Verona wird das Zimmer nach Wanzen abgesucht, Spinnen und sonstiges „Kleinzeug“ werden mit brennenden Kerzen bekämpft. In Neapel kommt das mitgeführte Insektenpulver zum Einsatz. Bevorzugte Speiselokale sind jene, an deren Table d'hôte man ein touristisches Menü erhält. Vormittags sitzt Theodor gewöhnlich über Korrekturbögen und Korrespondenzen, während Emilie Spaziergänge unternimmt. Gemeinsame Besichtigungstouren finden am Nachmittag statt. Die Fahrt in einer venezianischen Gondel zum Lido ist „hübsch, sonst eigentlich langweilig“ – kein Vergleich mit dem „Meer“ bei Brighton. England eignet sich stets für Vergleiche. Das „Verfallene, Heruntergekommene“ in Italien behagt Fontane nicht. Es gebe „schönere, namentlich wohlthuendere, herzerquickendere Gegenden“ wie die Fahrt von London bis Richmond, den Hyde Park in London oder die Hofjägerallee in Berlin-Tiergarten. Natürlich merkt er schnell, wo Baedeker irrte und findet auch den Grund dafür: Die vorgestellten Orte und Kunstschätze hatte er ja nicht mit eigenen Augen gesehen.
 
Die Fontanes erfreuen sich am heiteren und „polcinellhaften“ Leben in Oberitalien. Weiter südlich missfallen mangelnde Ordnungsliebe, viel zu lockere Umgangsformen, „grenzenlose Confusion“. Und dann passiert das: In Neapel wird Fontanes Brieftasche gestohlen! Am 19. November ist er wieder zu Hause – „preußischer denn je“ ...

 
Zur Person: Klaus-Werner Haupt
Haupts Motto lautet (frei nach Winckelmann) „Wer sein Glück erkennt und nutzt, der ist es wert!“
Als Gymnasiallehrer war er mit seinen Schülern auf den Spuren der Klassiker unterwegs, im Ruhestand reist er mit seiner Frau und schreibt Bücher über prominente Persönlichkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts. Im Fontanejahr 2019 entstand sein Sachbuch „LONDON KOMMT! Pückler und Fontane in England“. Wie wir wissen, ist London inzwischen gegangen, aber die kurzweilige Studie ist von überraschender Aktualität.

Mehr zu den Büchern von Klaus-Werner Haupt auf der Seite von
Weimar-Lese.
Zum Weiterlesen
Dieter Richter: Fontane in Italien. Mit zwei Städtebildern aus Fontanes Nachlass.
Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2019


Sarah Kugler: Der nörgelnde Tourist. Theodor Fontanes Abneigung gegen Italien, in: Potsdamer Nachrichten, 22.09.2019.
 
Klaus-Werner Haupt:
London kommt! Pückler und Fontane in England.
Bertuch Verlag Weimar 2019


Alle Abbildungen: (c) Klaus-Werner Haupt, außer Foto Veduta Certosa (c) Baku (CC BY-SA 4.0)
 
Ein herzliches Dankeschön von Johanna und Benjamin
Seit inzwischen 14 Tagen erscheint täglich unser November-Newsletter morgens um 7. Die Rückmeldungen, die wir darauf von Euch, unseren Leserinnen und Lesern, bisher bekommen haben, sind überwältigend! Danke dafür - bleibt uns auch weiterhin gewogen.
Bis morgen, wir lesen uns!
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