Online-Version
13.11.2020
Impressum
Guten Morgen aus Südtirol!
Herzlich willkommen zur dreizehnten Ausgabe von "KulturSüdtirol im November"! Es ist Freitag, der 13.11.2020 und wir starten wieder mit Euch in diesen Tag. 

Hätte dieser Newsletter eine bestimmte Hintergrundmusik, würde ich heute zwischen den Beastie Boys ("No sleep till Brooklyn"), den Pet Shop Boys ("New York City Boy") und James Brown ("Down and out in New York City") schwanken. Und das hat einen Grund: Der Wohnort unseres heutigen Interviewpartners.


Er ist einer von recht wenigen Südtirolern, der schon seit vielen Jahren in New York lebt und dort vermutlich einen der besten Berufe überhaupt hat: Schließlich sorgt er dafür, dass es in Amerika nie an Südtiroler Waffeln und anderen Süßigkeiten fehlt. Und sollte das doch einmal passieren, wisst er nun, an wen ihr euch wenden müsst... Heute berichtet er für uns aus New York, worüber wir uns wirklich sehr freuen.

Viel Spaß beim Lesen,
Johanna und Benjamin
"So wie jedes größere Ereignis hat auch die Pandemie ihren ganz eigenen Soundtrack."
KulturSüdtirol: Wie erlebst Du die momentane Situation und was hat sich für Dich in den vergangenen Monaten geändert?

Philipp Frener: Ich gehöre dankbarerweise zu jenen, die bislang weder von der Pandemie noch von den wirtschaftlichen, sozialen und psychologischen Folgen betroffen sind. In meinem unmittelbaren Freundes- und Bekanntenkreis sieht es da schon anders aus. Die Betroffenheit darüber konkurriert mit meinem eigenen Glück, was unweigerlich zu emotionalen Höhen und Tiefen führt. 

Begleitet werden diese von einer neuen akustischen Wahrnehmung. Seit des ersten Lockdowns im Frühjahr wurde New York City merklich leiser. Die Straßen und Plätze sind leerer als früher und die menschlichen Interaktionen sind auf ein Mindestmaß beschränkt. So wie viele andere haben auch mein Ehemann Mathew und ich uns etwas eingebunkert, wodurch uns erst klar wurde, wie laut unser Nachbar beim täglichen Turnen ist. So wie jedes größere Ereignis hat auch die Pandemie ihren ganz eigenen Soundtrack.

Um aus dieser doch unfreiwilligen Situation zu entkommen, haben wir in den letzten Monaten ein Auto und eine Eigentumswohnung gekauft. Bislang hatten wir weder das eine noch das andere. Während die Wohnung noch im Bau ist, fahren wir schon fleißig den Hudson River auf und ab, mieten uns in Hotels ein und arbeiten einfach mal ein paar Tage von einem anderen Ort aus. Meine Arbeit findet am Laptop und Smartphone statt. Wo man sich dabei gerade aufhält ist eigentlich nebensächlich. Wir genießen diese neue Freiheit sehr.

Freilich berührt auch mich das aufgeheizte politische Umfeld. Aber bei allem Entsetzen über die Führung des Landes, ist sie in diesen Zeiten nur ein Übel unter vielen. 

Was beschäftigt dich gerade besonders?

Trotz aller Kontinuität stellt für mich die Pandemie eine Zäsur dar. Das heißt nicht unweigerlich, dass ich alles bisher Gemachte über Bord werfe. Aber ich nehme mir die Zeit und die Freiheit, bisher Gemachtes zu hinterfragen. Ich habe mir zum Beispiel lange Zeit eingeredet, dass man problemlos Arbeitsleben von Privatleben trennen kann, und dass das auch gut so ist. Ich habe das Mantra so lange wiederholt, bis ich es geglaubt habe. Nur war das schon vor Corona ein Trugschluss und nach Corona erst recht. Ich muss mir jetzt sogar eingestehen, dass mir das Arbeiten von zu Hause gefällt! Arbeitseifer und Kreativität stellen sich ein, während ich problemlos zwischen Zoom-Meeting und Matsutake-Risotto navigiere.

Enttäuscht könnte ich jetzt der Frage nachlaufen, was ich denn alles hätte erreichen können, wenn ich immer schon mein Tun und Schaffen innerhalb der eigenen vier Wände erledigt hätte. Aber als Langstreckenläufer weiß ich, dass das Hinterherheischen nichts bringt. Jeder muss sein eigenes Rennen laufen. Und somit richtet sich mein Blick in die Zukunft mit all den Möglichkeiten, die sie bietet. Ganz weit oben: sich die Zeit nehmen, bewusst neue Skills zu lernen und diese auch einzusetzen.

Ein konkreter Tipp oder eine konkrete Empfehlung für unsere Leserinnen und Leser?

Ich finde, dass es wieder an der Zeit ist ein Buch in die Hand zu nehmen und dieses vom Anfang bis zum Ende zu lesen. Bücher sind ja nicht nur wegen ihrer Erzählungen interessant. Sie haben eine Struktur, bergen überraschende Wendungen, bieten neue Perspektiven – alles Eigenschaften, die uns helfen können, den Unsicherheiten im Leben mit Offenheit zu begegnen. Mit ihrer Tiefe sind Bücher ein wichtiges Gegengewicht zu sozialen Medien, die eher in die Breite wirken und deshalb zu Oberflächlichkeit verleiten. In der Oberflächlichkeit steckt genau null Veränderungspotential.

Was ich ganz besonders wirksam finde ist wenn man dasselbe Buch gemeinsam mit einer anderen Person liest, mit der man dann das Buch mit Genuss sezieren kann. Da kommen plötzlich Ideen und Ansätze zum Vorschein, an die man allein so nicht draufgekommen wäre.

Wie (positiv oder negativ) blickst Du in die Zukunft? Warum?

Ich bin von Natur aus eher positiv denkend. Ich stimme nicht mit allem überein, das mich so umgibt, und kann dem Coronavirus wirklich gar nichts abgewinnen. Aber grundsätzlich finde ich immer Mittel und Wege, mich neuen Situationen anzupassen. Ich finde auch, dass wir als Menschheit noch immer die Chance haben, die Welt jeden Tag ein kleinwenig gerechter, ein kleinwenig schöner und ein kleinwenig lebenswerter zu machen. Ob wir die Chance auch nutzen, ist eine andere Frage. Hier bin ich etwas skeptisch, aber noch nicht verzagt. 

Danke, Philipp!
Zur Person: Philipp Frener aus New York.
Geboren in Brixen, aufgewachsen in Afers, jetzt in New York, wo er für den Waffelhersteller Loacker arbeitet und seine Bergschuhe gegen Laufschuhe getauscht hat. Hat noch vor Corona schnell seinen MBA erledigt und sitzt ab Januar im Vorstand der New York Front Runners
Bis morgen, wir lesen uns!
https://kultursuedtirol.com/kultursuedtirol-im-november/
Abmelden / Unsubscribe