Jetzt hat er die Hände erhoben, hoch zu den bunten Lichtern an der Decke. Gerade lagen sie noch auf den Hüften seines Freundes. Am Mischpult legt eine Dragqueen Madonna auf, Ayman schließt die Augen und tanzt. Es ist kurz nach Mitternacht, der Club füllt sich. Ayman trifft immer wieder Bekannte, umarmt sie, verteilt Küsse. Hier ist er einer von vielen. 

Bis zu diesem queeren Club in Berlin-Neukölln war es für den Anfang 20-jährigen Ayman ein langer Weg. Er wurde im Westen Syriens geboren und machte Abitur, da gehörte der Krieg bereits zum Alltag. Doch nicht nur die Bomben schränkten Aymans Leben ein. "Ich wollte reden, ohne Angst zu haben", sagt er. Über Religion, den Koran. Und darüber, wen er begehrt.

Ayman ist schwul. Aber in Syrien ist Homosexualität gesellschaftlich geächtet, gesetzlich verboten und wird mit Gefängnis bestraft. Wenn er sich in Syrien traute, einen Porno zu schauen, musste er danach weinen. Er fühlte sich schuldig, sagt er. Mit 17 begann er ein Architekturstudium, der Krieg blieb in der Stadt. Ayman wollte nach Europa auswandern. Seine Eltern unterstützten den Plan, aus Angst, ihr Sohn könnte als Soldat in den Krieg ziehen müssen. Dass er schwul ist, wussten sie nicht. 2016 bekam er ein Studentenvisum für Deutschland.

Ayman und sein Freund © Johanna-Maria Fritz für ZEIT ONLINE

Eine Woche vor seiner Abreise fragte ihn seine Mutter, ob er auf Männer stehe. "Nein!", sagte Ayman. Dann sah er ein, dass dieser Moment so bald nicht wiederkommen würde. Er wollte die Dinge klären. "Es war die schlimmste Woche meines Lebens." Er solle zum Psychologen gehen, flehten Mutter und Vater. An seine Religion denken. Und bitte, bitte eine Beziehung mit einer Frau eingehen. Beide weinten. "Aber ich hatte mich endlich akzeptiert", sagt Ayman.

Heute hat er einen queeren Freundeskreis, Syrer, Iraker, Deutsche. Oft gehen sie am Wochenende tanzen. Eine Abwechslung für Ayman, der viel Zeit damit verbringt, Deutsch zu lernen und Deutschland mit seinen vielen Formularen und Anforderungen zu verstehen. Wenn er tanzt, verschwindet er für eine Nacht in der Musik, zwischen all den Tanzenden. In diesen Farben, nach denen er sich in Syrien so gesehnt hatte. Heute sagt Ayman: "Ich bin glücklich, wenn ich daran denke, dass ich jetzt in Berlin lebe." 

Seine Reise nach Deutschland führt über Beirut, von dort aus fliegt er nach Düsseldorf. Aymans Bruder und seine Tante, die schon in Deutschland wohnen, holen ihn ab. Mit der Bahn geht es nach Bielefeld, wo Ayman ein Zimmer in einer Sprachschule bezieht. Hier lernt er Deutsch, in Bielefeld hat er auch zum ersten Mal Sex. Ayman entdeckt Dating-Apps und queere Clubs. Er kann endlich Männer kennenlernen, ohne Angst zu haben.