Förderung Geförderte Vorhaben Fremde Verwandtschaft. Eine Kulturpoetik der Bäume

Fremde Verwandtschaft. Eine Kulturpoetik der Bäume

Im Zuge globaler ökologischer Krisen sowie aktueller Hinterfragungen von Diskurshegemonien und anthropozentrischen Perspektiven mehren sich Stimmen aus Wissenschaft, Kultur und Politik, die fordern, Pflanzen nicht mehr nur als ‚Ökosystemdienstleister‘ zu denken. In e¬nigen philosophischen Ansätzen werden Pflanzen sogar – qua Voraussetzung allen Lebens auf der Erde – als privilegiertes ‚Observatorium‘ für die Welt und als speziell geeigneter Ausgangspunkt für eine Überwindung anthro-pozentrischer Sichtweisen und deren Dichotomien begriffen.

Vor allem Bäume stehen dabei im Zentrum des Interesses – als augenfällige, symbolische und global klimarelevante Vertreter der Pflanzenwelt. Jüngste Strömungen der Bo­tanik betonen ihr ‚geheimes Leben‘ (Wohlleben), ihre Kommunikationsfähigkeit, Fürsorge und Intelligenz etc., d. h. konzipieren sie als Akteure, die zwar tradierte Kon­zepte von Identität, Kausalität oder Handlungsmacht unterlaufen, aber dem Menschen auf noch kaum ver­stan­dene Weise ähnlich sind. Diese Ansätze, die u. a. eine ‚Pflanzenblindheit‘ des abendländischen Denkens kri­tisch remedieren wollen, machen bewusst, dass Bäume sich einerseits in ihrer Größe, Autarkie, Langle­bigkeit und Langsamkeit der Bewegung menschlichen Wahr­neh­mungs- und Vorstellungsvermögen tendenziell ent­ziehen, während der Mensch andererseits mit ihnen eine ‚prekäre Existenz‘ auf dem Planeten teilt (bzw. von ihnen abhängig ist). Zeitgleich entstehen ca. seit dem Jahr 2000 – mit einer Fülle von ,Nature Writing‘ (Fiona Staf­ford, Robert MacFarlane u. v. a.), mit Richard Powers‘ „The Overstory“ (2018), Esther Kinskys „Hain“ (2018) oder in Ausstellungen und Installationen – kulturelle Werke, die Bäume nicht als Wissensfigur, Motiv, Thema oder Modell nutzen, sondern versuchen, Menschen und Bäume in einer Weise zusammenzudenken, die Grenzen und Hierarchien zwischen ihnen auflöst, ohne die radika­le Alterität beider Spezies anthropomorphisierend zu til­gen.

Solche Artefakte nimmt Dr. Nitzke in den Blick und fasst die darin erkundete Mensch-Baum-Beziehung (Don­na Haraway adaptierend) als ‚fremde Verwandtschaft‘. Als Beitrag zu den Environmental Humanities möchte sie mit diesem Projekt ein komparatistisches Theorie-Fundament für die Systematisierung der diversen Baum-Narrative erarbei­ten, anhand intellektuell ambitionierter Baumdiskurse eine Kulturwissenschaft jenseits des Anthropozentrismus entwerfen und darauf aufbauend das Potential der arborealen Poetiken für interdisziplinäres Arbeiten auf­zei­gen.

Dabei geht sie von der Beobachtung aus, dass ‚Erzählen‘ in baumbezogenen Texten eine zentrale Rolle spielt, zu­meist jedoch nicht deutlich wird, wer oder was oder in­wiefern erzählt wird oder wie darin ,wirkliche‘ Bäume präsent sein können. Sie verfolgt, wie die Arte­fakte ein ‚Denken mit Bäumen‘ versuchen (indem der Mensch seine Zentralposition der Bedeutungsstiftung verliert und seine Perspektiven zu Bäumen hin-orientiert werden), wie die Werke innovative Erzählweisen der Un­verfügbarkeit und grenzüberschreitender Kollaboration erproben und wie sie auch in der Rezeption Naturver­hältnisse herzustellen versuchen, indem sie gewisse Erwartungshorizonte und Verhältnisse als Natur kenn­zeichnen und andere als unnatürlich ausschließen.

Für die Untersuchung herangezogen werden naturkundliche bzw. (popu-
lär-)wissenschaftliche Texte, Nature Writing, Lyrik, (Auto-)Biographien von (Natur-)Wissenschaftlerinnen, Romane sowie Ausstellungen bzw. Installationen, die Texte, Bil­der, Performances, Pflanzen, Skulpturen und Modelle verbinden.

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