Kunstgeschichte

Hörsaal 222 der HfBK Dresden, Güntzstraße 34, 2. OG, 01307 Dresden

Veranstalter: HfBK Dresden

POP & KORN. Interdisziplinäre Filmreihe

Semesterthema: Kunstgeschichten //

Max Böhner, Jana Keuchel, Michael Klipphahn, Franciska Nowel Camino, Nicole Vögele

 

Ziel der interdisziplinären Filmreihe POP & KORN in ihrer ersten Auflage ist eine Auseinandersetzung mit filmisch umgesetzten Kunstgeschichten in lockerer Popcorn-Atmosphäre. Diskutiert werden etwa Kunstobjekte als handlungstragende Elemente, narratologische Bausteine, Symbole, Tropen oder Requisiten. Außerdem steht die transmediale Aneignung von Geschichten der Kunst als Thema und Inhalt im Fokus der Reihe. Die darin verkörperte Vorstellung verschiedener Bildwelten reproduziert Darstellungen, die beispielsweise Gemälde, Skulpturen und Architekturen als Ursprünge des Filmbildes, seiner Kulissen und Ordnungen aus- und auf seine Konstruiertheit verweisen. Im Filmischen paart sich außerdem ein Zusammenspiel diverser Kunstformen, wie etwa der Fotografie und Performance, unter folgenden Fragestellungen mit Überlegungen zu Zitation, Kontextualisierung, Theatralisierung und Dramatisierung: Auf welche Weise wird Film durch die Bezugnahme auf Kunst und Kunstgeschichte zum Medium und Ort der Kunstbetrachtung? Welche filmischen Techniken, Ästhetiken, Formate und Forme(l)n finden dabei Anwendung? In welchem Verhältnis stehen die künstlerischen Potentiale der verschiedenen Medien? Gerahmt werden die fünf gemeinsamen Filmsichtungen von einer zehnminütigen Einführung durch die Veranstaltenden sowie der Möglichkeit eines Austausches im Anschluss.

Für alle Studiengänge geöffnet
Zeit: 19-21:30 Uhr
Ort: Güntzstraße 34, Raum 222

 

Termine und Programm:

Dienstag,


19.4.22

Max Böhner, Hochschule für Bildende Künste Dresden
Portrait de la jeune fille en feu
F, 2019, OmU
Regie: Céline Sciamma
122 Min.

https://youtu.be/R-fQPTwma9o

In ihrem Spielfilm Portrait de la jeune fille en feu inszeniert die Regisseurin Céline Sciamma die Beziehung zweier Frauen im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Durch den Einsatz der Kamera wird die Art der Kunstrezeption und -entstehung gerahmt, teils auf Details oder ein Motiv fokussiert, um die Verbindung zwischen innerem Monolog oder äußerem Dialog beziehungsweise dem Blick der Figuren im Film und dem Kunstwerk filmisch darstellbar zu machen. Weiter kommen Techniken der Verlangsamung, wie Tableaux Vivants, zum Einsatz, die die Hauptfiguren in der Bewegung des Stillstands zeigen. Dadurch verkörpert der Film selbst Bilder, die wie Kunstwerke wirken. Eine zusätzliche Potenzierung des Titels liegt vor, betrachtet man den Film aus queertheoretischer Sicht als spekulative queere Historiografie und damit als filmisches Porträt einer lesbischen Liebe, wie sie sich im 18. Jahrhundert hätte entwickeln können. Weiter abstrahiert ließe sich von einem Porträt der Liebe zwischen der Regisseurin Sciamma und der Hauptdarstellerin Haenel sprechen, wodurch der Film zum Dokument einer lesbischen Beziehung der jüngsten Vergangenheit wird.


03.5.22

Franciska Nowel Camino, Hochschule für Bildende Künste Dresden
Shutter Island
Engl, 2010, OmU
Regie: Martin Scorsese
138 Min.

https://www.youtube.com/watch?v=YDGldPitxic

In Shutter Island ermittelt im Jahr 1954 US-Marshal Edward „Teddy“ Daniels, unterstützt von seinem Kollegen Chuck Aule, in einer Psychiatrie im Fall einer verschwundenen Patientin. Das ungleiche Ermittlerduo untersucht die hinter Gitterstäben, Rauch- und Nebelschwaden verborgenen Geheimnisse des (ärztlichen) Personals und der psychisch kranken Insass*innen. Schauplatz des Psychothrillers von Martin Scorsese, für den er sich an Elementen des Film Noirs bediente, ist die Ashecliffe-Psychiatrie auf einer abgeschotteten Insel vor der Küste Massachusetts. 

In der düsteren Filmmusik lässt sich ein Horn-Motiv aus der Sinfonie Nr. 2 Die Toteninsel des Komponisten Sergei Rachmaninow heraushören. Ebenso wie das Filmset ist diese Komposition von Arnold Böcklins Gemälden der Toteninsel (1880er Jahre) inspiriert. Mit der Architektur der Insel, den in den Himmel aufragenden Zypressen und den Felsen im Wasser nutzt Shutter Island Bildelemente, die sich auch in den Gemälden wiederfinden. Ähnlich wie Böcklin, macht Scorsese die Insel zu einem Bereich zwischen Leben und Tod. Im Gegensatz zu der in den Gemälden spürbaren Grabesruhe, lässt der Film allerdings die Abgeschiedenheit zu einem Dauerzustand für rastlose Seelen werden. Darüber hinaus transportiert die unheimliche Wirkung von Shutter Island das Gefühl der Ungewissheit und Ausweglosigkeit. In ihrer Isolation wird die (Toten-)Insel schließlich zum Spiegel des Innenlebens der Protagonist*innen, die mehr und mehr zu Gefangenen ihrer Traumata werden.


17.5.22

Michael Klipphahn, Schaufler Lab@TU Dresden
La grande bellezza
It, 2013, OmU
Regie: Paolo Sorrentino
141 Min.

https://www.youtube.com/watch?v=Dyt430YkQn0

In seinem filmischen Porträt der Stadt Rom lässt Paolo Sorrentino einen alternden Autor durch ein Bildkompendium klassisch italienischer Kunst und Architektur flanieren. Als Mitglied der römischen High Society auf Sinnsuche reflektiert die Hauptfigur das Gesehene durch die Augen der westlichen Moderne. Das Werk schöpft dabei aus einem Pool von Referenzen zu Filmen wie Fellinis La dolce vita, Scolas La terrazza oder Rosselinis Roma città aperta. In cineastischen Einstellungen posieren die Filmkulissen wie Modelle für Bilder und stehen neben Metabildern, die in Reminiszenzen vom alten Rom berichten. Von dieser vergangenen Epoche der Stadt sind nur noch Ruinen übrig, die von einstmaligen sozial-gestalterischen Idealen zeugen. So versinnbildlicht der Film Rom als lädierte Zeugin der Befreiung des italienischen Kinos durch den neorealistischen Film und fragt nach dem Vermächtnis dieser Zeit. La grande bellezza gelingt es mittels der visuellen Rezeption dieser Ära des italienischen Kinos, die Antwort im strittigen Merkmal des Schönen zu finden, das in der Gegenwart als eine Attraktion des Vergänglichen inszeniert wird.


31.5.22

Jana Keuchel, Hochschule für Bildende Künste Dresden
Îmi este indiferent dacă în istorie vom intra ca barbari
(Dt.: Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen)
Rou, 2018, OmU
Regie: Radu Jude
140 Min.
Triggerwarnung: Abbildung von Kriegsverbrechen, Antisemitismus

https://www.youtube.com/watch?v=dNfCxVn12Aw

Radu Judes Spielfilm Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen begleitet die Theaterregisseurin Mariana bei den Proben für eine politisch radikale Theaterperformance zur Rolle Rumäniens im Holocaust. Mit dialogreichen Diskussionen, mittels der Inkorporation von Archivmaterialien und geschichtsträchtigen Zitaten mäandert das Werk zwischen Fiktion und Dokumentation, Vergangenheit und Gegenwart und weist mithilfe filmischer Kunstgriffe unter anderem eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung in Transnistrien auf. Dabei fragt diese historische Reflexion über kollektive Schulderfahrungen: Was darf politische Kunst? Mit welchen Mitteln? Und für wen ist sie gemacht und gedacht? „Erziehung ist eine komische Illusion“, kritisiert im Film ein Abgeordneter der Stadt das Vorhaben der Protagonistin, die sich mutig jedem Gegenwind entgegenstellt, der ihre geplante Inszenierung betrifft. Gerade im Zeitalter digitaler Bildproteste erscheint ein „Film, der auch das Scheitern von politischer Kunst thematisiert – und dabei als politisches Kunstwerk brilliert“ (absolut medien) relevanter denn je, betont er doch die Eigenmacht der Bilder, ihre Parabolik und gleichzeitige Fragilität.

 

14.6.22

Nicole Vögele, Hochschule für Bildende Künste Dresden
Playtime
Fr, 1967, OmU
Regie: Jacques Tati
126 Min.

https://www.youtube.com/watch?v=zrYB8hgyq4s

Playtime ist eine futuristische und satirische Vision moderner Urbanität. Gezeigt wird eine zweckungebundene und entsubjektivierte Stadtlandschaft. Diese ergeht sich ausschließen in endlosen Staffelungen von Beton und Glas und klammert das Individuum in der rationalisierten Umgebung. Charakteristisch für die optisch vom Regisseur Jacques Tati formulierte Kritik an einer techno- und zukunftsoptimistischen Moderne ist zum einen, dass der Handlungsort, die historische Stadtkulisse von Paris, sich nur als Reminiszenz vermittelt und in Spiegelungen oder Werbeartikeln auftritt. Zum anderen sind die langen, raumtiefen und aus der Totale aufgenommenen Einstellungen, die den Blick der Zuschauer*innen ins technisierte Nichts weiten, typisch. Im Rahmen dieser Perspektivierung erzählt der Film seine Handlungsteile gleichzeitig. Damit lehnt er sich an visuell völlig entgegengesetzt liegende ästhetische Strategien der Entfokussierung von Einzelszenen zugunsten von Simultanität an, die sich beispielsweise in Genremalerei oder barocken Fresken finden. Zeitlich ist der Film zwischen thematisch ähnlich gelagerten Großprojekten wie Langs utopischem Metropolis oder Scotts dystopischem Blade Runner entstanden: Mit seiner megalomanen und sterilen Atmosphäre, den inszenierten und theatralischen Architekturen sowie konterkarierenden und humoristischen Momenten fragt auch Tatis Film – wenngleich weniger apokalyptisch denn ironisch – nach dem Stand des Menschlichen in einer mediatisierten Welt.