BAMF: 70 queere Asylsuchende zu Unrecht abgelehnt?

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Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni hat der Lesben- und Schwulenverband das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgefordert, seine menschenverachtende Bescheidungspraxis für LGBTIQ* aus Verfolgerländern wie dem Iran zu beenden. Die Bundesregierung erinnert der Menschenrechtsverband an ihr Versprechen, besonders vulnerable Flüchtlinge zu schützen und für faire und rechtssichere Asylverfahren sorgen zu wollen.

Wenn Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und intergeschlechtliche Menschen in Deutschland Asyl beantragen, müssen sie in den Anhörungen dem BAMF glaubhaft machen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland Verfolgung droht, um einen Schutzstatus zu erhalten, schreibt der LSVD in seiner Pressemitteilung. Dieses Vorgehen deckt sich mit Berichten, die in den letzten Jahren und Monaten öffentlich wurden (männer* berichtete).

Auch auf einer Podiumsdiskussion von LSVD Hamburg und Friedrich-Ebert-Stiftung im Mai in Hamburg, sorgten Details dieser Praxis, vorgetragen von Lilith Raza, Queer Refugees Deutschland, für Entsetzen.   

Unglaubliche Ignoranz mit fatalen Folgen

Der LSVD hat nun, einen Monat später, hierzu dem BAMF über 70 Fälle zur Überprüfung vorgelegt. In einem halben Dutzend Fällen aus Algerien, Iran, Jamaika, Pakistan und Tunesien hat das BAMF diese rechtswidrige Praxis sogar angewandt, obwohl die schwulen und lesbischen Asylsuchenden heiraten wollten und dazu offizielle Dokumente vorlagen oder sie sogar schon verheiratet waren. Darüber hinaus hat das BAMF in zwei Fällen verheirateten gleichgeschlechtlichen Paaren das Familienasyl verweigert und darauf verwiesen, dass die Ehe z. B. im Verfolgerstaat Iran hätte gelebt werden müssen. Diese Beispiele zeigen auf, wie dringend die internen Maßstäbe des BAMF angepasst werden müssen.

Foto: Caro Kadatz

„Prognoseentscheidungen über das Verhalten queerer Schutzsuchender im Heimatland oder die Aufforderung, sich dort „diskret“ zu verhalten, sind unzulässig und verstoßen gegen die bereits seit 2013 bestehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Trotzdem findet das sogenannte „Diskretionsgebot“ weiterhin Anwendung in der Bescheidungspraxis des BAMF. Die Richtlinien des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) müssen entsprechend und zügig angepasst werden, damit die offensichtlich rechtswidrigen Verhaltensprognosen bei queeren Geflüchteten endlich ein Ende haben.“

Patrick Dörr, LSVD-Bundesvorstand


Bundesregierung zum Handeln aufgefordert 

Foto: LSVD Hamburg

Im Mai hatte der Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete Simon Kuchinke (SPD) auf dem Podium neben laufenden landespolitischen Entscheidungsprozessen auf den diesbezüglichen Passus im Koalitionsvertrag der Berliner Ampel verwiesen, der explizit eine Verbesserung der Strukturen für queere Geflüchtete in Aussicht stellt. Da aber jede Abschiebung in ein Verfolgerland Leib und Leben queerer Geflüchteter bedroht, macht der LSVD jetzt noch einmal Druck: 

„Auch das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, eine „besondere Rechtsberatung“ für „queere Verfolgte“ einzurichten, muss zügig umgesetzt werden. Zwischen der Ankunft in Deutschland und der Asylanhörung vergehen oft nur wenige Tage. Damit queere Geflüchtete die oft lebenslang erlernte Scham und Angst überwinden, brauchen sie Beratung durch queere Organisationen, wo sie sich sicher fühlen können. Die Bundesregierung muss hier Wort halten und eine flächendeckende Rechtsberatung in queerer Trägerschaft fördern. Die Aufnahme queerer Menschen aus Afghanistan muss energisch vorangetrieben werden.“

Patrick Dörr

Besondere Bedarfe jenseits des Asylverfahrens

In der Diskussion im Mai in Hamburg kamen Perspektiven aus der Politik und der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation zusammen und binnen einer guten Stunde konnten Erfolge und Bedarfe benannt und herausgearbeitet werden. Alissa von Malachowski, Projektleiterin Refugee Sisters Hamburg, brachte besonders die speziellen psychotherapeutischen Anforderungen zur Sprache, die im Kontext queerer Geflüchteter festzustellen sind. Einen besonderer Fokus legte sie dabei auf die Folgen intersektionaler Verfolgung und Diskriminierung. So hat eine lesbische, muslimische trans Frau aus dem Iran aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu mehreren marginalisierten Minderheiten zum Teil völlig andere Bedarfe in der Beratung und spezifische Anforderungen an Unterbringung, als beispielsweise ein schwuler Kriegsflüchtling aus der Ukraine. Mängel – quantitativ und qualitativ – an und in Erstaufnahmeeinrichtungen seien dringend anzugehen.

Vielleicht auch vorausschauend, weil eine weitere dringliche Asylfrage dringend nach Klärung verlangt: 

„Die Aufnahme queerer Menschen aus Afghanistan muss energisch vorangetrieben werden. Die Zusagen der Bundesregierung bezüglich der Aufnahme gefährdeter Afghan*innen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Außenministerin Baerbock und Innenministerin Faeser müssen endlich ihre Blockadehaltung aufgeben und eine klare Zusage zur Aufnahme gefährdeter LSBTI aus Afghanistan geben. Jeder Tag des Wartens bringt die betroffenen Personen weiter in Gefahr.“

Patrick Dörr


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