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Homo-Paare Ist schwul zu sein heute überhaupt noch ein Problem?

Patrick und Til halten ihre kleine Tochter auf einer Wiese an den Händen. Das schwule Paar hat das Mädchen adoptiert.
Til (l.) und Patrick (r.) mit ihrer kleinen Tochter 
© privat
Patrick und Til sind in ihrer Region die einzigen schwulen Väter, die gemeinsam ein Kind adoptiert haben. Mit dem stern sprechen sie über ihr Coming-Out, die Adoption und die Reaktionen darauf – und warum sie ihre Regenbogenfamilie nicht für selbstverständlich nehmen.

Patrick und Til sitzen nebeneinander vor dem Bildschirm. Es ist nach 20 Uhr, sie haben ihre Tochter gerade ins Bett gebracht. Das Babyphone steht auf dem Tisch. Es wird in den nächsten anderthalb Stunden ruhig bleiben. Marie* schläft fest. Vor rund einem Jahr kam sie in das Leben des Paares. "Wir hatten uns keine großen Hoffnungen gemacht, dass es überhaupt klappen würde", sagt Til. Patrick nickt. Auf ein Adoptivkind kommen in Deutschland durchschnittlich sieben Bewerberpartien. Die Nachfrage ist groß, die Auflagen sind streng. Für homosexuelle Paare sind die Hürden besonders hoch.

Eine Leihmutterschaft – möglich wäre sie nur im Ausland gewesen – kam für die beiden nicht in Frage. Mehrere Gründe hielten sie davon ab. "Es kommt mir falsch vor, eine Frau als 'Brutkasten' zu gebrauchen. Und Leihmutterschaft ist sehr, sehr teuer", sagt Til. Patrick ergänzt: "Natürlich ist das die Entscheidung einer jeden Frau und es gibt sicher welche, die diesen Schritt aus Überzeugung gehen. Aber ich hätte Angst, dass die Frau aus einer finanziellen Notlage heraus handeln muss und darunter leidet."

Die beiden bewarben sich also um eine Adoption. Sie dachten, wenn es denn überhaupt klappen würde, dann vielleicht nach drei oder vier Jahren. Am Ende dauerte es neun Monate – eine Schwangerschaft lang.

Der andere Blick auf Männer mit Kind

Waren da Bedenken, wie es für es das Kind sein könnte, ohne Mutter aufzuwachsen? "Nein. Für uns war immer klar, dass Marie eng mit Omas und Tanten aufwachsen wird. Und auch wenn ein Kind mit einer Mutter aufwächst, heißt das nicht automatisch, dass das Verhältnis ein gutes sein muss."

Ihre beiden Familien hätten sich sehr und uneingeschränkt über Marie gefreut. Und auch sonst seien die Reaktionen äußert positiv. Beim Spazierengehen, beim Einkaufen, im Urlaub. Dabei sind Patrick, Til und Marie eine Ausnahme. Seit im Oktober 2017 die Ehe für alle kam und die Fremdadoption für verheiratete, gleichgeschlechtliche Paare erlaubt wurde, ist das Paar das einzige in seiner Gegend in Süddeutschland, das auf diese Weise ein Kind bekommen hat. 

Manche der positiven Reaktionen hätten aber einen Beigeschmack, sagt Patrick: "Manchmal hören wir den Satz, dass das bei uns ja gar keinen Unterschied mache oder dass wir beide halt so 'normal und bodenständig' seien. Das ist lieb gemeint, aber es legt natürlich auch Vorurteile gegenüber Schwulen offen." Und manchmal sei es fast schon beschämend. "Wir profitieren von der Wertschätzung, die Männer bekommen, wenn sie sich mal um ein Kind kümmern. Wenn ein Mann ein Baby wickelt oder einen Kinderwagen schiebt, rufen alle 'hurra' und was für ein toller Vater er doch sei. Bei Frauen gilt das als selbstverständlich. Das ist eine riesige Ungerechtigkeit." Til wird etwas lauter, als er sagt: "Das ist echt eine Riesensauerei. Seit wir Marie haben, bin ich noch feministischer geworden, als ich es vorher schon war."

Diskriminierende Erfahrungen hätten sie als Paar eher mal gemacht, als Marie noch nicht in ihrem Leben war. "Wenn wir mal Händchen hielten oder uns küssten, gab es schon mal schiefe Blicke und wir haben uns unwohl gefühlt", sagt Patrick. "Dass wir jetzt ein Kind haben, damit scheinen die Leute weniger ein Problem zu haben." Die Kinderbetreuung teilen sich die beiden gleichberechtigt auf. Elternzeit hatten sie fast gleich lang. Gerade sind Maries erste Wochen in der Kita rum. Patrick sagt: "Es ist ein Familienleben, wie es ganz viele Menschen führen. Da hat sich gesellschaftlich extrem viel getan."

In Deutschland geht man heute von rund 10.000 Regenbogenfamilien aus. Genaue Zahlen dazu, wie viele gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland ein Kind adoptiert haben, gibt es nicht. Noch nicht. Geschlecht und Familienstand der Adoptiveltern werden seit Juni 2021 erfasst und künftig in Auswertungen einfließen, teilt das Bundesfamilienministerium auf Anfrage mit. Aus der Adoptionsstatistik für das Jahr 2020 geht hervor, dass in diesem Jahr in Deutschland insgesamt 3774 Kinder und Jugendliche adoptiert wurden. In 1160 Fällen waren die Kinder – wie im Fall von Marie, Til und Patrick – nicht mit den Adoptiveltern verwandt. 

Auch für den Lesben- und Schwulenverband (LSVD) bleibt das Thema Regenbogenfamilien ein bedeutendes. Kerstin Rudat vom Landesverband Baden-Württemberg sagt: "Wir erleben immer wieder, dass Zweimütterfamilien oder Zweiväterfamilien Diskriminierung erfahren. Sei es bei der Polizei, auf dem Jugendamt, oder bei sonstigen Ämtern. Wir sind weit gekommen, aber dürfen uns bei diesem Thema nicht ausruhen." 

Homophobie auf dem Schulhof in den Nuller-Jahren

Heute betont Patrick die Offenheit, die ihnen als Familie mit gleichgeschlechtlichen Eltern begegnet, aufgewachsen ist er in einem anderen Klima, in einem Dorf im Speckgürtel von Stuttgart, ein Jugendlicher in den frühen Nuller-Jahren, als "Schwuchtel" ein beliebtes Schimpfwort auf dem Schulhof war. "Guido Westerwelle war schwul, aber über den haben sich alle lustig gemacht. Ich kannte bewusst keine einzige Person, die nicht hetero war. Hätte ich mich geoutet, wäre ich sehr exponiert gewesen. Und ich wollte es mir lange schlichtweg nicht eingestehen."

Dafür brauchte es New York. Patrick machte dort während des Studiums ein Praktikum. "Mein Mitbewohner war schwul und merkte schnell, dass ich es auch war. Seine Offenheit und die Offenheit der Stadt haben mir sehr geholfen." Zurück in Deutschland outete er sich erst im engsten Kreis und lernte schon bald Til kennen. "Dann ging alles schnell."

Til hatte sein Coming-Out früher. Er outete sich als Jugendlicher erst als bi, mit 20 dann als schwul. "Als ich zum Studieren ging, sagte mein Vater – es war so ein lustigdoofer Vaterspruch: 'Da wirst du bestimmt auch ein paar Häsinnen kennenlernen.' Ich hab dann gesagt: 'Papa, es werden Hasen sein.' Für ihn war das völlig okay." Til erlebte das gesellschaftliche Umfeld als Jugendlicher gleich wie Patrick. "Die Vorbilder haben komplett gefehlt. Ich meine, wen gab es da? Brisko Schneider?"

Til lacht bitter. Komiker Bastian Pastewka hatte die mit "ihr lieben Liebenden"-grüßende Kunstfigur im schwarzen Lack erfunden, über die das Publikum lachte. "Was sollte ich damit anfangen als Typ im Kapuzenpulli, der im alternativen Jugendhaus abhing?" Kapuzenpulli trägt Til noch heute.

Über Jugendliche der 2020er-Jahre sagt er: "Sie haben es zum Glück so viel leichter. LGBTIQ+-Themen sind sehr präsent." Til bekommt es täglich in Klassenzimmern und auf Schulhöfen mit; er ist Lehrer. "Schülerinnen und Schüler gehen offener mit der Findungsphase ihrer Geschlechtsidentität und ihrer Sexualität um." Es schwingt Erleichterung und Freude mit in diesem Satz, dass sich so vieles geändert hat. Es klingt aber auch Wehmut an, dass die Gesellschaft vor 20 Jahren noch eine andere war. Und Til betont, dass es schwer bleibe, als Jugendlicher nicht der Norm zu entsprechen. Depressionen und Selbstmorde treten unter queeren Jugendlichen häufiger auf.

Gleichberechtigung noch nicht erreicht 

Patrick findet: "Sichtbarkeit bleibt wichtig." Dass sie als Familie das Leben führen, das sie führen, sei am Ende eben doch nicht selbstverständlich. "Es war ein Mordskampf bis hierhin und es bleibt etwas Fragiles."

Der Radius von Ländern, in die sie bedenkenlos reisen könnten, werde kleiner. Auch mitten in Europa. "Ich finde es zu kurz gedacht, wenn viele in Deutschland sagen: 'Wir haben halt ein paar Idioten in der AfD. An die Macht kommen die sowieso nicht.'" Er glaubt, dass solche Entwicklungen schneller kommen könnten, als viele denken. "Wenn erstmal Rechte und Erzkonservative an die Macht kommen, ist klar, dass als Erstes die Rechte von Frauen und von Menschen aus der LGBTQ+-Community beschnitten werden."

Patrick und Til finden, dass sich in Sachen Gleichberechtigung noch einiges tun muss. Die beiden sind politisch aktiv, Patrick bei der SPD, Til bei den Grünen. Beim Transsexuellengesetz erhoffen sie sich einen Wandel zum Positiven. 

Wo sie ebenfalls Veränderung fordern: bei der Blutspende. Til erzählt, wie er vor vielen Jahren Blut spenden wollte und nicht habe glauben können, dass man ihn wegschickte, weil er homosexuell ist. "Dass einem automatisch unterstellt wird, man sei unvorsichtig. Als ob Heterosexuelle keine Krankheiten haben können. Das ist Diskriminierung pur." Ein Umdenken fordern die beiden auch bei den Kirchen. Deren Einfluss, auch als moralische Instanz im Land, sei groß.

Und beide sprechen den Fußball an, Patrick die WM in Katar: "Solange wir bei so etwas ein Auge zudrücken, dulden wir Homophobie. Wir bräuchten zudem aktive Fußballspieler in Deutschland, die zu ihrer Homosexualität stehen. Solche Rollenbilder sind so wichtig." Rollenbilder – die fehlten Patrick und Til vor 20 Jahren. Heute sagen sie als Väter einer Tochter: "Vielleicht sind wir hier in der Gegend als schwules Paar mit einem Kind ja am Ende sogar auch eines. Dabei führen wir einfach nur unser Leben."

*Name des Kindes geändert

Quellen: destatis.de, lsvd.de, Antwort der Bundesregierung, tagesschau.de, swr.de 

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