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Bei einem früheren CSD ist im U-Bahnhof Alexanderplatz die Regenbogenfahne zu sehen.

© Doris Spiekermann Klaas

Exklusiv

Vor CSD neue Daten zu trans- und homophoben Taten: Mehr queerfeindliche Delikte, als die Kriminalstatistik ausweist

In Berlin werden queerfeindliche Delikte öfter angezeigt als andernorts. Trans- und homophobe Täter werden zudem – wie bundesweit auch – öfter verurteilt.

In Berlin wird zu deutlich mehr trans- und homophoben Delikten ermittelt, als bislang bekannt ist. Auch die Zahl der Verurteilten steigt. Das erfuhr der Tagesspiegel von Bundesbeamten. Demnach gab es in Berlin im vergangen Jahr 645 Verfahren zu sogenannten Hassverbrechen mit Bezug auf die sexuelle Identität oder die sexuelle Orientierung der Geschädigten.

Verurteilt wurden 64 Verdächtigte. Im Jahr 2020 waren es 632 Verfahren und 44 Verurteilungen, im Vorjahr 437 Verfahren und 29 Verurteilungen.

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In der aktuellen Berliner Kriminalstatistik hieß es: Im Jahr 2021 wurden 525 Fälle mit Bezug auf "sexuelle Orientierung und/oder Geschlecht/sexuelle Identität" registriert, 97 Fälle mehr als in 2020. Nach Tagesspiegel-Informationen wurden zahlreiche Delikte nachgemeldet oder Fälle intern neu bewertet.

Trans- und homophobe Fälle werden oft unter der Bezeichnung queerfeindliche Taten zusammengefasst. Meist handelt es sich dabei um Körperverletzungen, Beleidigungen und Volksverhetzung.

In Berlin gibt es bundesweit die mit Abstand meisten Ermittlungen zu queerfeindlichen Delikten. Bundesbeamten zufolge ist das darauf zurückzuführen, dass in Berlin das Bewusstsein ausgeprägter ist, solche Taten anzuzeigen. Berlins Landeskriminalamt (LKA) sei zudem für derartige Vorfälle sensibilisierter als Behörden anderer Bundesländer.

Berliner Polizei erfasst queerfeindliche Taten offenbar genauer

Auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) schreibt auf seiner Internetpräsenz, es sei auffällig, dass "die von Berlin gemeldeten Fälle regelmäßig ein bis zwei Drittel der vom Bundesinnenministerium veröffentlichten Zahlen" ausmachen. Da solche Delikte in anderen Bundesländern wohl kaum seltener seien, erfassten Berliner Polizisten diese Taten offenbar genauer.

BKA-Fachleute schätzen, dass bis zu 80 Prozent aller trans- und homophoben Delikte nicht angezeigt werden.
BKA-Fachleute schätzen, dass bis zu 80 Prozent aller trans- und homophoben Delikte nicht angezeigt werden.

© Foto: Paul Zinken/dpa

Man arbeite am Ziel einer "sicheren Regenbogen-Hauptstadt", sagte Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) auf Anfrage. "Bei Ermittlung und Strafverfolgung sind wir in Berlin mit den Ansprechpersonen für die queere Community in der Polizei und der Zentralstelle Hasskriminalität bei der Staatsanwaltschaft erfreulicherweise so gut aufgestellt wie kein anderes Bundesland."

Dennoch schätzten Fachleute des Berliner LKA, dass bis zu 80 Prozent aller trans- und homophoben Delikte nicht angezeigt werden. Das sogenannte Dunkelfeld überstiege die registrierten Taten damit um ein Vielfaches.

Unter Bundesbeamten kursieren derzeit auch aktualisierte Daten zu queerfeindlichen Delikten in anderen Ländern: In Hamburg gab es im vergangenen Jahr 42 Verfahren und sieben Verurteilungen, 2020 waren es 28 Verfahren und sechs Verurteilungen, im Jahr davor 22 Verfahren und zwei Verurteilungen. In Nordrhein-Westfalen gab es 90 Verfahren und 14 Verurteilungen (2021), 25 Verfahren und drei Verurteilungen (2020) sowie 51 Verfahren und vier Verurteilungen (2019). In Baden-Württemberg gab es im vergangenen Jahr 32 Verfahren und 16 Verurteilungen, 31 Verfahren und drei Verurteilungen (2020), acht Verfahren und zwei Verurteilungen (2019).

Nicht zuzuordnen, rechts, islamistisch?

Nicht immer können die Taten bestimmten Subkategorien zugerechnet werden, wie das bei politischer Kriminalität üblich ist. Das Bundesinnenministerium verbuchte die meisten queerfeindlichen Delikte zuletzt als "nicht zuzuordnen", danach folgten die Kategorien "rechts" und "religiöse Ideologie".

Zwei Morde an schwulen Männern werden dem LSVD zufolge nicht in der Statistik des Innenministeriums aufgeführt, obwohl die Täter sich vor Gericht zu homophoben Motiven bekannt hätten: Im Oktober 2020 ermordete ein Islamist aus Syrien einen Mann in Dresden und verletzte dessen Partner schwer. Im selben Monat erstach ein Gießener seinen Nachbarn, weil "Gott" ihm gesagt habe, er solle einen "Homosexuellen" töten.

Am Samstag werden zum Christopher Street Day (CSD) in Berlin bis zu 500.000 Teilnehmer erwartet. Senatschefin Franziska Giffey (SPD) wird den Umzug am Spittelmarkt eröffnen, die Demonstration soll über den Nollendorfplatz bis zum Brandenburger Tor gehen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will trans- und homophobe Taten durch eine Novelle des Strafrechtsparagrafen 46 stärker ahnden lassen. In dem Paragrafen heißt es, dass bei der Strafzumessung die Ziele des Täters zu berücksichtigen seien, "besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende". Das soll explizit um "geschlechtsspezifische" und "gegen die sexuelle Orientierung gerichtete" Beweggründe ergänzt werden.

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