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Mehrheit im Bundestag
Ferda Ataman zur dritten Chefin der Antidiskriminierungsstelle gewählt
Nach vier Jahren ohne Führung hat die Antidiskriminierungsstelle wieder eine Chefin. Es wurde aber im Bundestag sehr knapp.
Heinrich-Böll-Stiftung / flickr) Ferda Ataman ist nun Deutschlands oberste Kämpferin gegen Diskriminierung (Bild:
- 7. Juli 2022, 17:23h 4 Min.
Update 17.43 Uhr: LSVD begrüßt Wahl Atamans
Ferda Ataman ist nach Martina Köppen und Christine Lüders die dritte Leiterin der 2006 eingerichteten Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Für die 42-jährige Berliner Politologin stimmten 376 Abgeordnete bei 278 Gegenstimmen und 14 Enthaltungen.
Nötig für die Wahl der "Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung" war eine absolute Mehrheit aller Abgeordneten, also die Kanzlermehrheit von 369 Stimmen. Ataman erreichte also lediglich sieben Stimmen mehr als notwendig – aber 40 weniger, als die Koalition Sitze hat. Dabei hatte Ataman auch Unterstützung aus der oppositionellen Linksfraktion.
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) verlas das Ergebnis (Bild: Parlamentsfernsehen)
Die Wahl war mit Spannung erwartet worden. Eine Niederlage wäre der bisher größten Blamage der Ampelregierung gleichgekommen und hätte auch die erst Ende April ins Amt gehobene Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), die Ataman ausgewählt hatte, erheblich beschädigt.
Ferda Ataman freut sich auf der Bundestagstribüne (erste Reihe) über ihre Wahl (Bild: Parlamentsfernsehen)
Ataman war Mitte Juni vom Bundeskabinett für den Posten nominiert worden (queer.de berichtete). An der Personalie gab es Kritik aus Union und AfD sowie Teilen der mitregierenden FDP. Daraufhin wurde die bereits für letzten Monat anberaumte Wahl im Bundestag verschoben (queer.de berichtete).
Streit um Erdäpfel
Grund für die teils emotionale Ablehnung waren kontroverse Aussagen Atamans, die sie als Journalistin und Kommenatorin getätigt hatte – etwa, dass sie 2020 im "Spiegel" das Wort Kartoffel als humorvolle Umschreibung für Deutsche ohne Migrationshintergrund verteidigte. AfD-Vizefraktionschefin Beatrix von Storch bezeichnete die in Deutschland geborene Tochter türkischstämmiger Eltern deshalb vergangenen Monat als "migrantische Rassistin". Auch das FDP-Bundesvorstandsmitglied Linda Teuteberg lehnte Ataman ab: "Wer glaubwürdig gegen Diskriminierung auftreten will, der muss selbst respektvoll auftreten gegenüber jedermann. Die Äußerungen von Frau Ataman bisher sprechen eine gegenteilige Sprache", sagte sie im Nachrichtensender "Welt".
/ KrstorevicLiebe Grüße an alle, die sich in dieser rassistischen Debatte zur Causa #Ataman auf die Seite der AfD gestellt haben.
Krsto Lazarevi (@Krstorevic) July 6, 2022
Und an die "Progressiven": Übelegt mal, ob man sich an sowas beteiligen sollte, nur weil eine Kolumnistin mal etwas geschrieben hat, was einem nicht gefällt. pic.twitter.com/ByHMZLHHGr
Ataman setzt sich seit Jahren in verschiedenen Positionen für Gleichbehandlung ein. So arbeitete sie auch für die grünennahme Heinrich-Böll-Stiftung und wurde dieses Jahr von den Berliner Grünen zur Wahlfrau bei der Bundespräsidentenwahl nominiert. Sie beklagt, dass sie als gebürtige Stuttgarterin, die in Nürnberg aufgewachsen ist, noch immer als fremd wahrgenommen werde. Daher trägt ein 2019 von ihr verfasstes Buch den Titel "Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!" (Amazon-Affiliate-Link ).
Gegensätzliche Ex-Chefinnen
Die bisherigen Chefinnen der ADS waren höchst unterschiedlich: Die erste war Martina Köppen, eine ehemalige Beauftragte im Büro des Bevollmächtigten der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Sie galt als schwache Verteidigerin der Grundrechte und haderte – offenbar aus religiösen Gründen – insbesondere mit der Gleichberechtigung von Homosexuellen (queer.de berichtete). Köppen leitete die Stelle von Februar 2007 bis Oktober 2009.
Auf sie folgte mit Christine Lüders eine ehemalige Referatsleiterin im hessischen Kultusministerium – wegen gerichtlichen Auseinandersetzungen aber erst im Februar 2010, also vier Monate nach dem Abgang ihrer Vorgängerin. Lüders engagierte sich konsequent für Gleichbehandlung, wofür ihr queer.de auch den Homo-Orden verlieh. Im Mai 2018 schied sie nach acht Jahren im Amt aus (queer.de berichtete).
Christine Lüders führte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes acht Jahre lang (Bild: ADS)
Seither war das Amt ohne reguläre Führung, sondern wurde kommissarisch vom Juristen Bernhard Franke geleitet. Grund waren wieder Klagen einer Mitbewerberin (queer.de berichtete). Die Ampel-Koalition änderte erst im April diesen Jahres gegen die Stimmen von Union und AfD die Richtlinien für die Besetzung des Postens, um die Besetzung klagesicher zu machen (queer.de berichtete). Seither wird die Leiterin (oder der Leiter) direkt von den Bundestagsabgeordneten gewählt.
Aufgabe der Antidiskriminierungsstelle ist der Schutz vor Diskriminierung von Personen aufgrund ethnischer Herkunft, des Geschlechts (inklusive Geschlechtsidentität), der Religion/Weltanschauung, der Behinderung, des Lebensalters oder der sexuellen Identität. Die Einrichtung berät Betroffene auf Basis des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes aus dem Jahr 2006. (dk)
Update 17.43 Uhr: LSVD begrüßt Wahl Atamans
In einer ersten Reaktion hat der Lesben- und Schwulenverband die Wahl von Ferda Ataman begrüßt: "Ataman ist bestens qualifiziert für die Leitung der ADS und die Herausforderungen in der Antidiskriminierungspolitik", erklärte LSVD-Bundesvorstandsmitglied Henny Engels. "Seit vielen Jahren arbeiten wir mit ihr und den von ihr mitgegründeten Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) eng, vertrauensvoll und sehr gut zusammen."
Die Bundesregierung und die neue Leitung der ADS müssten sich zukünftig dafür einsetzen, dass der Schutzbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ausgebaut und wirksamer ausgestaltet werde, erklärte Engels weiter. "So muss auch staatliches Handeln umfassend in den Anwendungsbereich des AGG einbezogen werden. Die ADS muss in ihren Befugnissen und ihrer finanziellen Ausstattung gestärkt werden, damit sie effektiv Diskriminierungen entgegentreten und vor allem vorbeugen kann." Außerdem forderte die LSVD-Aktivistin: "Der Katalog der Diskriminierungsgründe muss erweitert werden, einschließlich der dezidierten Benennung des Diskriminierungsgrundes 'geschlechtliche Identität'."
Der Grünenpolitiker Sven Lehmann, der Queerbeauftragte der Bundesregierung, begrüßte die Wahl auf Twitter ebenfalls. Ataman sei "eine starke Chefin und Streiterin gegen jede Form von Diskriminierung".
/ svenlehmannDer #Bundestag hat soeben @FerdaAtaman zur ersten Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung gewählt!
Sven Lehmann (@svenlehmann) July 7, 2022
Herzliche Glückwünsche! Die @ADS_Bund bekommt eine starke Chefin und Streiterin gegen jede Form von Diskriminierung. #Ataman pic.twitter.com/GLlPSBGsSd
Links zum Thema:
» FR-Kommentar: Die Verleumdung der Ferda Ataman
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de.wikipedia.org/wiki/Ferda_Ataman#Nominierung_als_Leiterin_
der_Antidiskriminierungsstelle_2022