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Abschaffung des Diskretionsgebots
Ampelfraktionen und LSVD begrüßen Änderung im Asylrecht
Die Abschaffung der "Verhaltensprognose" findet viel Zustimmung – es sei aber noch mehr zu tun.
Die jahrelange Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge war von LGBTI-Aktivist*innen immer wieder kritisiert worden
- 21. September 2022, 14:02h 3 Min.
Die Abschaffung des sogenannten Diskretionsgebots für queere Asylsuchende aus LGBTI-feindlichen Ländern wird von den Ampelfraktionen und dem Lesben- und Schwulenverband positiv aufgenommen. Am Dienstag war bekannt geworden, dass das Bundesinnenministerium das Flüchtlingsbundesamt (Bamf) anweist, ab nächsten Monat nicht mehr eine "Verhaltenprognose" zu berücksichtigen (queer.de berichtete). Queere Asylsuchende können damit nicht mehr mit der Begründung abgeschoben werden, dass sie in ihrem Heimatland ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität verstecken könnten.
"Als SPDqueer begrüßen wir diese mehr als überfällige und klare Absage an das Diskretionsgebot", so der Co-Bundesvorsitzende der SPDqueer, Oliver Strotzer. Er dankte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie "allen Beteiligten, insbesondere auch den LSBTIQ*-Verbänden, die in dieser Angelegenheit nie locker gelassen haben".
/ SPDqueerEndlich: das #Diskretionsgebot ist Geschichte! Wir begrüßen diese mehr als überfällige und klare Absage an das Vorgehen und danken Bundesinnenministerin @NancyFaeser und allen Beteiligten, insbesondere den LSBTIQ*-Verbänden, die in dieser Angelegenheit nie locker gelassen haben.
SPDqueer (@SPDqueer) September 20, 2022
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In einer gemeinsamen Erklärung zeigten sich auch Innenpolitikerin Filiz Polat und Queerpolitikerin Ulle Schauws (beide Grüne) erleichtert: "Dass der Staat vorschreibt, dass Menschen in Ländern, in denen sie aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt werden, diskret zu leben haben und in dessen Folge kein Asyl erhalten, war und ist ein Skandal. Es ist gut, dass die Ampel diese Vorgabe jetzt abschafft", so Polat und Schauws. Damit setze Ministerin Faeser "den von der Ampelkoalition eingeleiteten Paradigmenwechsel fort". Außerdem erwarteten die Grünen-Politikerinnen, "dass unmittelbar auf alle noch laufenden behördlichen Verfahren die Bescheide entsprechend korrigiert werden".
"Diese Entscheidung war längst überfällig"
Jürgen Lenders, der LSBTI-Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, zeigte sich "sehr froh" über die Entwicklung: "Bei queeren Geflüchteten ist stets von einem offenen, georteten Leben und nicht von einem vermuteten Doppelleben auszugehen", so Lenders. "Diese Entscheidung war längst überfällig und bietet den queeren Geflüchteten besseren Schutz. Lange haben wir dafür gekämpft, dass queeren Menschen, denen in den zahlreichen Ländern dieser Welt Gefahr für Freiheit, Leib und Leben droht, der Schutz gewährt wird, der ihnen zusteht."
Auch der Lesben- und Schwulenverband erklärte, man sei "erleichtert". Es sei aber noch mehr zu tun, wie LSVD-Bundesvorstandsmitglied Alva Träbert ausführte: "Zwischen der Ankunft in Deutschland und der Asylanhörung vergehen oft nur wenige Tage. Queere Geflüchtete müssen dabei Jahre der Angst und Scham überwinden, um über ihre Fluchtgründe zu sprechen", erklärte Träbert. "Ohne flächendeckenden Zugang zu qualifizierter Rechtsberatung in queerer Trägerschaft ist dies oft unmöglich." Hintergrund ist, dass die individuelle Asylverfahrensberatung des Bamf laut Koalitionsvertrag in die Trägerschaft der freien Wohlfahrt übergehen soll. "Wie bei der Abschaffung der 'Diskretionsprognose' muss die Bundesregierung auch hier Wort halten. Nur so können LSBTI-Geflüchtete ihr Recht auf ein Leben in Sicherheit einlösen – so diskret oder offen, wie sie selbst es wollen", so die Geschlechtsforscherin und Aktivistin.
/ lsvdInnenministerium schafft menschenverachtende #Diskretionsprognosen für #LSBTI-Geflüchtete ab. Die überarbeitete Dienstanweisung stellt klar, dass LSBTI-#Asylsuchende in keinem Fall auf ein diskretes Leben im Herkunftsland verwiesen werden dürfen. https://t.co/4HcSdjz0R8
LSVD-Bundesverband (@lsvd) September 20, 2022
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Queere Aktivist*innen hatten immer wieder das Bamf wegen des "Diskretionsgebots" kritisiert. Dabei wiesen sie auch auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2013 hin, das diese Praxis eigentlich seit Jahren untersagt. Noch im Juni hatte das Bundesinnenministerium diese Abschiebepraxis verteidigt (queer.de berichtete). (dk)