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Ein Jahr nach Selbstverbrennung

Nur ein Beschuldigter bei Straftaten gegen Ella Nik Bayan identifiziert

Vor einem Jahr starb die aus dem Iran geflohene Ella Nik Bayan in Berlin. Doch nur eines der Verfahren wegen Grabschändungen und Fotoaufnahmen ihres Körpers führte bisher zu einem Verdächtigen.


Ella Nik Bayan (Bild: Bita Mills)

Verschiedene Aspekte des Todes von Ella Nik Bayan am 14. September vergangenen Jahres auf dem Berliner Alexanderplatz (queer.de berichtete) haben immer wieder die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Weniger im Fokus standen dabei jedoch die Fotoaufnahmen, die von Bayan nach ihrer Selbstentzündung gemacht und verbreitet worden sind.

queer.de konnte nun bei der Berliner Generalstaatsanwaltschaft endlich den Stand der Ermittlungen sowie Informationen über einen Beschuldigten in Erfahrung bringen. Demnach gibt es gegenwärtig noch einen namentlich bekannten Mann, gegen den wegen dem Fertigen und Verbreiten von Fotos der Schwerverletzten ermittelt wird. Andere Verfahren haben nicht zu Tatverdächtigen geführt.

Auch bei den Attacken auf Bayans Grab tappen die Behörden weiterhin im Dunkeln. Am Mittwoch wird der Verstorbenen auf einer Kundgebung vor dem Roten Rathaus gedacht werden.

Zwei Verfahren eingestellt

Eine Woche nach Bayans Tod am 14. September 2022 war bekannt geworden, dass Unbekannte Fotoaufnahmen der Verbrannten im Unfallkrankenhaus Berlin angefertigt und in Chatgruppen verbreitet hatten. Die Polizei hatte darum Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und des Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz eröffnet.

Auf Anfrage heißt es zu diesem Ermittlungsverfahren nun, dass kein*e Täter*in ermittelt werden konnte. Nach gegenwärtigem Stand wird dieser Sachverhalt also ungeklärt bleiben. Ein weiteres Verfahren, das die Veröffentlichung einer Videoaufnahme betraf, die auf dem Alexanderplatz selber gemacht worden ist, ist zudem im Juli 2022 eingestellt worden. Auch hier waren keine Tatverdächtigen ermittelt worden.

Fotos aus dem Rettungswagen

Doch neben den Aufnahmen aus dem Krankenhaus und vom Alexanderplatz existieren weitere Bilder. Über die heißt es vonseiten der Generalstaatsanwaltschaft, dass sie bereits auf der Fahrt zum Krankenhaus gefertigt worden seien. Dieses Verfahren habe demnach "die Aufnahme, Weiterleitung und Veröffentlichung eines Fotos von der Schwerverletzten im Rettungswagen zum Gegenstand". Hier waren die Ermittlungen in der Vergangenheit etwas erfolgreicher. Eine der dienstlich an der Rettungswagenfahrt beteiligten Personen sei namentlich bekannt und werde in dem weiterhin offenen Verfahren "als Beschuldigter" geführt.

Doch ob die Tatsache, dass der Urheber der Aufnahmen bekannt ist, auch zu einer Gerichtsverhandlung oder einem Strafbefehl führen wird, wirkt in der Antwort der Generalstaatsanwaltschaft nicht besonders wahrscheinlich. Darin heißt es nämlich: "Ob die Verdachtsmomente für eine Anklageerhebung gegen den Tatverdächtigen ausreichen, wird gegenwärtig geprüft. Andernfalls wäre auch dieses Verfahren einzustellen."

Die Berliner Feuerwehr, die die Rettungswachen des Bundeslandes und auch die Rettungswache Unfallkrankenhaus Berlin betreibt, beantwortete eine Anfrage aus vergangener Woche bisher nicht. queer.de wollte unter anderem wissen, ob es in Zusammenhang mit den Vorwürfen zu einem arbeitsrechtlichen Verfahren oder zu Sensibilisierungen innerhalb des Verbands gekommen ist.

Auch Grabschändungen nicht aufgeklärt

Zwei mal im Januar und ein mal im Juli verunstalteten Unbekannte zudem das Grab der Verstorbenen (queer.de berichtete). Auch in diesem Zusammenhang war es bisher nicht zur Feststellung von Verdächtigen gekommen. Die Verfahren wurden nach §168 StGB, Störung der Totenruhe, geführt.

Auf die Fragen, welche Ermittlungsansätze zur Ergreifung der Täter*innen verfolgt würden und was Innensenatorin Iris Spranger (SPD) oder die Innenbehörden planten, um zukünftige Attacken auf das Grab zu verhindern, hieß es vonseiten der Senatsverwaltung für Inneres: "Sowohl zu kriminaltaktischen Maßnahmen zur Aufklärung dieser Taten als auch zu Schutzmaßnahmen können wir keine weiteren Angaben machen." In Bezug auf die Auslobung einer Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung von Tatverdächtigen führen, verwies die Innenverwaltung auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft und die Justizverwaltung.

Kundgebung soll an Bayan erinnern

Um an Ella Nik Bayan zu erinnern, planen die LSVD-Verbände aus Sachsen-Anhalt und Berlin-Brandenburg sowie die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität am Mittwoch eine Kundgebung. Diese sollte ursprünglich um 17:00 Uhr auf dem Alexanderplatz beginnen, wurde aber inzwischen vor das Rote Rathaus verlegt.

Georg Matzel, Mitglied im Vorstand des LSVD Sachsen-Anhalt, ordnete den Tod von Ella Nik Bayan anlässlich der Ankündigung der Kundgebung politisch ein. Man verstehe den Freitod der aus dem Iran stammenden, transgeschlechtlichen Frau vor einem Jahr "als Protest gegen ein diskriminierendes und erniedrigendes System und als Reaktion auf die immer stärker werdende Transfeindlichkeit in der Gesellschaft".

Um die Frage der politischen Motivation hinter der Selbstentzündung war es nach dem Tod Bayans zu einer Kontroverse auch unter hinterbliebenen Freund*innen und Begleiter*innen Bayans gekommen, weil die Berliner Polizei lange Zeit öffentlich behauptet hatte, dass sie einen politischen beziehungsweise "extremistischen" Hintergrund der Selbstentzündung ausschließen könne.

Dass hierzu jedoch keinerlei Grundlage bestanden hatte, wurde erst im Februar diesen Jahres klar (queer.de berichtete). In der Folge entschuldigte sich auch ein Pressesprecher der Berliner Polizei für den "Fehler, der viele verletzt" und das Vertrauen transgeschlechtlichtler sowie geflüchteter Menschen in die Polizei "erschüttert" habe (queer.de berichtete). Entgegen der anderslautenden Pressearbeit im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Suizids lagen der Polizei zu Motiven Bayans keine Erkenntnisse vor.

Asyl und Selbstbestimmung verweigert

Ella Nik Bayan war aus dem Iran geflohen und hatte sich in Magdeburg nach ihrer Ankunft im Jahr 2015 für andere Geflüchtete in einem Sprachcafé sowie einem Treff von queeren Geflüchteten und Einheimischen engagiert. Bayans offensichtliche Transgeschlechtlichkeit ist durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jedoch im negativen Asylbescheid nicht einmal erwähnt worden. Eine erfolgreiche Anfechtung des Bescheides dauerte Jahre.

Zeit, in der Bayan davon ausgeschlossen war, eine in Deutschland noch immer für die zum Beanspruchen grundlegendster Rechte transgeschlechtlicher Menschen obligatorische, begleitende Psychotherapie zu machen. In ihrem deshalb lange unveränderten körperlichen Zustand sowie ihres Namens- und Personenstandes war sie in Magdeburg und später in Berlin ständig Belästigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen, Verfolgungen und körperlichen Angriffen ausgesetzt gewesen.

So soll ein Nachbar versucht haben, sie mit einer Holzlatte anzugreifen. Im Jobcenter, das nach ihrem endlich erfolgreichen Asylantrag für die weitere Versorgung zuständig war, ist sie am Infoschalter mit transfeindlichen Äußerungen angeschrien und öffentlich gedemütigt worden. Georg Matzel, der auch ein Freund und Unterstützer Bayans ist, sagte damals zu queer.de, sie seien bei einer Opferberatung in Magdeburg "Stammgäste" gewesen.

Kreisen deine Gedanken darum, dir das Leben zu nehmen?

Sprich mit anderen darüber. Freund*innen oder Verwandte könnten gute Ansprechpartner*innen sein.

Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern lauten: 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.

Für trans Personen gibt es in Deutschland ein großes Netzwerk aus Treff-, Unterstützungs- und Beratungsangeboten. So bietet etwa die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität mehrere Beratungsstellen. Weitere lokale Angebote lassen sich oft über Suchmaschinen finden.

#1 EuropäerAnonym
  • 13.09.2022, 20:45h
  • Beschämend, verstörend und schlichtweg nicht nachvollziehbar. Das (nicht) vorgehen der Behörden hinterlässt ein tiefes Gefühl der Verbitterung und Fassungslosigkeit.

    Wie verzweifelt muss jemand gewesen sein, der sich entschließt diesen Weg zu beschreiten? Flucht aus dem Iran und dann dieses Ende hier, in Deutschland. Eine Tragödie.
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#2 Maybeme
  • 13.09.2022, 20:50hBochum
  • Gehen wir vom Rettungswagen aus, es handelt sich vermutlich um eine Besatzung von 2 bis 3 Leuten, plus den Notarzt, der ja vermutlich mitgefahren ist. Damit haben wir es im Maximalfall mit 4 Person zu tun. Eine Person fährt, diese kann man damit ausschließen. Bleiben max. 3 Personen über. Da kann dann die Straftat nur unentdeckt bleiben, wenn die Leute sich gegenseitig für die Menschenrechtsverletzung decken. Interessante Einstellung zu diesem Job.
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#3 Ith_Anonym
  • 14.09.2022, 08:44h
  • Man hätte irgendwie die Fake News etablieren müssen, dass gemeinsam mit den Fotos oder zumindest von denselben Urheber*innen Beleidigungen gegen Polizist*innen verbreitet wurden. Bin ziemlich sicher, die Ermittlungen hätten keine zwei Monate gedauert, es hätte ein paar Hausdurchsuchungen gegeben, bei denen den Beteiligten sämtliche Datenträger inklusive Smartphone(s), Laptops, SD-Karten und USB-Sticks abgenommen worden wären, und die Verfahren wären inzwischen sämtlichst erfolgreich abgeschlossen.

    Aber, nunja. Es gibt eben in der deutschen Strafverfolgung "wichtige" Vergehen und dann gibt es Vergehen gegen... weniger wertvolle Menschen.

    Danke, Polizei. Was wäre mein Menschenbild bloß ohne euch.
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