Kommunikation

Wir sollten einander mehr zuhören

Illustration: Ein Paar schaut auf verschiedene übergroße Smartphones und digitale Tablets.
Guckt jemand im Gespräch nebenbei auf sein Smartphone, ist das nicht nur unhöflich, sondern eine Kränkung, bedeutet es doch: Du bist nicht so wichtig, anderes ist gerade spannender, meint Anne Müller. © imago / fStop Images / Malte Müller
Ein Einwurf von Anne Müller · 13.12.2022
Reizüberflutung und Zerstreuung durch digitale Medien gehen auf Kosten der Konzentration - das ist bekannt. Doch auch die Bereitschaft, einander aufmerksam zuzuhören, leidet darunter, meint die Autorin Anne Müller. Dabei liege darin großes Potenzial.
Wir leben in Zeiten der permanenten Unterbrechung, entweder von außen, oder wir unterbrechen uns selbst. Ständig klingelt oder vibriert das Handy, piept eine neue Kurznachricht, die unsere Aufmerksamkeit fordert. E-Mails, SMS, alles will sofort überflogen, beantwortet werden. Ob Twitter, Instagram, Whatsapp, Signal, Telegram - das moderne Leben muss organisiert, der „homo digitalis“ informiert sein.
Kurz, schnell, knackig, so kommunizieren wir täglich. Wir scrollen durch Newsfeeds, in denen die Komplexität der Welt heruntergebrochen wird in verdauliche Häppchen. Bloß nichts zu nah an uns herankommen lassen! Wir werden immer nur getriggert, vertiefen uns kaum noch wirklich. Die Folge davon: Unser Aufmerksamkeitsmuskel schafft nur Kurzstrecken. Für ein gutes Gespräch ist jedoch genau das Gegenteil gefragt.

Zuhören erfordert volle Konzentration 

Wenn man sich in einer kniffligen Situation befindet oder ein Problem hat, das einen umtreibt, sei es beruflich oder privat, dann hilft es oft in einem ersten Schritt, darüber zu reden. Mit jemandem, der einem erst mal nur aufmerksam zuhört und keine voreiligen Ratschläge erteilt, um das Problem schnell aus der Welt zu schaffen. Der nur unterbricht, um nachzufragen, wenn er oder sie etwas nicht verstanden hat. Richtig zuhören bedeutet, nicht gleich mit einem „Ach ja, das kenne ich auch!“ zu kommen, das gut gemeint sein mag, aber das Problem des anderen nur relativiert.
Im persönlichen Gespräch heißt Zuhören sich auf das Gegenüber zu konzentrieren, Blickkontakt, den anderen im wahrsten Sinne „zu sehen“, mit dem, was er mir gerade anvertraut. Guckt jemand nebenbei auf sein Smartphone, ist das nicht nur unhöflich, sondern eine Kränkung, bedeutet es doch: Du bist nicht so wichtig, anderes ist gerade spannender. Forscher der „University of Essex“ zeigten, dass schon die Präsenz eines Handys ausreicht, um sich in einem Gespräch weniger verbunden zu fühlen.

Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer

Reizüberflutung und Zerstreuung durch Social Media untergraben im Kern unsere Kompetenzen im Zuhören. Für ein gelingendes Gespräch ist ein in der Gegenwart sein unerlässlich. Doch unsere Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer, unsere Fähigkeit, konzentriert zu sein und aufmerksam zuzuhören, verkümmert. Wir sind nicht mehr geübt darin, über längere Zeit hinweg jemandem „unser Ohr zu leihen“, wie es so schön altmodisch heißt, oder „ganz Ohr zu sein“.
In seinem Roman „Momo“, in dem es um das Thema „Zeit“ geht, hat der Schriftsteller Michael Ende seiner Heldin eine besondere Gabe verliehen. „Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, war zuhören. (...) Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte - nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm plötzlich Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so gut zuhören, dass ratlose, unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden.“

Was aktives Zuhören bewirkt

Zugegeben, Michael Ende legt hier die Latte sehr hoch, aber er verdeutlicht die wundersame Wirkung, die aktives Zuhören haben kann: Ich werde mir selbst der Dinge klar und bewusst, wenn mir jemand aufmerksam zuhört. Echte Kommunikation braucht Vertrauen, dann können Probleme gelöst und Missverständnisse vermieden werden. Vielleicht legen wir ja bei nächster Gelegenheit das Smartphone weit weg und schenken einander einfach mal wieder Gehör.

Anne Müller (Jg. 1963) arbeitete nach einem Studium der Theater- und Literaturwissenschaften zunächst als Radiojournalistin, dann als Drehbuchautorin. Seit ein paar Jahren schreibt sie Romane, der neueste, „Das Lied des Himmels und der Meere" (Penguin Verlag, 2022), wurde inspiriert von der Auswanderung einer Ururgroßtante der Autorin nach Kalifornien im 19. Jh. Anne Müller lebt in Berlin.

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