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Verhandlungsgeschick kein Grund für höhere Bezahlung von Männern

Eine Arbeitnehmerin hat auch dann Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit, wenn der Arbeitgeber das höhere Gehalt eines männlichen Kollegen damit begründet, dass dieser sein Gehalt besser ausgehandelt habe. Dies hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 16. Februar 2023 (Az.  8 AZR 450/21) entschieden.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit 2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb beschäftigt. Ihr Grundentgelt betrug anfangs EUR 3.500 (brutto) und wurde später auf EUR 3.620 (brutto) angehoben. Kurz vor der Klägerin hatte die Beklagte einen männlichen Kollegen in derselben Position eingestellt. Die Beklagte hatte auch dem Kollegen zunächst ein Grundentgelt iHv. EUR 3.500 (brutto) angeboten, was dieser jedoch ablehnte und eine höhere Vergütung einforderte. Die Beklagte gab dieser Forderung nach und zahlte dem Kollegen ein Gehalt von zuletzt EUR 4.120 (brutto).

Zur Begründung berief die Beklagte sich ua. darauf, dass der Kollege einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Zudem verwies sie darauf, dass der Kollege bei geringerer Bezahlung nicht bereit gewesen wäre, ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten einzugehen.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung der Differenz zwischen ihrer Vergütung und der Vergütung des besserverdienenden Kollegen. Aufgrund der Benachteiligung wegen ihres Geschlechts verlangt sie zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung iHv. mindestens EUR 6.000. Sie ist der Auffassung, die Beklagte müsse ihr ein ebenso hohes Grundentgelt zahlen wie ihrem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen. Dies folge daraus, dass sie die gleiche Arbeit wie ihr männlicher Kollege verrichte.

Die Vorinstanzen hatten die Klage jeweils abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts nun ganz überwiegend Erfolg. Lediglich dem Antrag auf Zahlung einer Entschädigung hat das Gericht nur iHv. EUR 2.000 stattgegeben.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Klägerin dadurch aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, dass sie ihr, obgleich sie und der männliche Kollege gleiche Arbeit verrichteten, ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt habe. Die Klägerin habe deshalb einen Anspruch auf das gleiche Grundentgelt wie ihr männlicher Kollege. Dies ergebe sich aus Art. 157 AEUV, § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG.

Der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten habe als ihr männlicher Kollege, begründe die Vermutung nach § 22 AGG. Die Vorschrift besagt, dass, sofern im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmals – darunter das Geschlecht – vermuten lassen, die andere Partei die Beweislast dafür trägt, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Der Beklagten sei es nicht gelungen, die Vermutung des § 22 AGG zu widerlegen. Insbesondere könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, das höhere Grundentgelt des männlichen Kollegen beruhe nicht auf dem Geschlecht, sondern auf dem Umstand, dass dieser ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Zudem könne die Beklagte die Vermutung der Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts nicht mit der Begründung widerlegen, der Arbeitnehmer sei einer besser vergüteten ausgeschiedenen Arbeitnehmerin nachgefolgt.

Hinweise für die Praxis

Das BAG nimmt mit seiner Entscheidung einer häufigen Begründung für die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen den Wind aus den Segeln. Mit dem Argument, der männliche Kollege sei bei den Gehaltsverhandlungen forscher aufgetreten, kann eine vermutete Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zukünftig nicht mehr widerlegt werden.

Das Gericht schränkt damit in nachvollziehbarer Weise die Privatautonomie der Arbeitsvertrags­parteien zugunsten einer größeren Entgeltgerechtigkeit ein. Denn der Verweis auf die Gehalts­verhandlungen eignet sich grundsätzlich, um jede Lohnlücke zu erklären. Genügt dies als Rechtfertigung, wäre dem Entgeltgleichheitsgebot des § 7 EntgTranspG einiges von seiner Wirkmacht genommen.

Der vorliegend eingeklagte Differenzlohn- und Entschädigungsanspruch besteht unabhängig von der Betriebsgröße, so dass auch kleinere Unternehmen einem Haftungsrisiko ausgesetzt sind. Arbeitgeber sollten künftig noch genauer prüfen, ob eine unterschiedliche Bezahlung von Mitarbeitern durch objektive Kriterien wie Qualifikation oder Berufserfahrung gerechtfertigt werden kann. Diese Kriterien sollten im Zweifel sorgfältig dokumentiert werden, um später gegen den Vorwurf einer Diskriminierung gewappnet zu sein.

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