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Baurecht: § 4 Nr. 7 VOB/B (2002) – und damit § 4 Abs. 7 VOB/B – unwirksam

Keine Kündigung bei Mängeln vor der Abnahme

Die VOB/B gibt in ihrer Fassung aus dem Jahr 2002 dem Auftraggeber mit § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 die Möglichkeit, den Bauvertrag mit dem Auftragnehmer zu kündigen, wenn dieser Mängel, die vor der Abnahme festgestellt werden, nicht fristgerecht beseitigt. Der Bundesgerichtshof hat in seinem nun veröffentlichten Urteil vom 19.01.2023 (Az.: VII ZR 34/20) entschieden, dass diese Regelung unwirksam ist, wenn der Auftraggeber die VOB/B (2002) in den Vertrag einbezogen hatte, die VOB/B aber nicht als Ganzes vereinbart war. Da sich diese Regelung mit gleichem Inhalt auch in der aktuellen VOB/B findet, ist diese Rechtsprechung auch bei aktuellen Verträgen zu beachten.

Der Fall

Die Auftraggeberin und spätere Beklagte beauftragte im Jahr 2004 die Auftragnehmerin, die spätere Klägerin, Straßen- und Tiefbauarbeiten entlang einer Stadtbahntrasse durchzuführen. Die Auftraggeberin war die Hauptauftragnehmerin für einen Teil des Ausbaus einer Stadtbahnlinie. Die Parteien bezogen in den Vertrag die VOB/B (2002) ein. Die Auftragssumme belief sich auf 3.031.527,96 Euro netto.

Während der Bauausführung rügte die Auftraggeberin mehrfach die Qualität des verbauten Betons und verlangte unter Fristsetzungen die Beseitigung des Mangels. In ihren späteren Mängelrügen drohte sie der Auftragnehmerin die außerordentliche Kündigung des ganzen oder eines Teils des Auftrags an. Die Klägerin beseitigte die behaupteten Mängel nicht. Diese hätten mit einem Aufwand von ca. 6.000 Euro bei laufendem Baubetrieb in zwei bis drei Arbeitstagen erledigt werden können. Die Beklagte kündigte nach Ablauf der letzten gesetzten Frist den Bauvertrag hinsichtlich aller zu diesem Zeitpunkt noch nicht erbrachten Arbeiten.

Die Auftragnehmerin verlangte von der Auftraggeberin Restwerklohn in Höhe von 2.465.744,23 Euro und erhob Klage. Die Auftraggeberin erhob Widerklage und forderte die Zahlung der Kosten der Ersatzvornahme, außerdem die Rückzahlung von Abschlagszahlungen, Schadensersatz und – bezogen auf weitere von ihr behauptete Mängel – den Ausgleich von Mängelbeseitigungskosten sowie die Feststellung, dass die von ihr behaupteten Mängel vorliegen. Wechselseitig begehrten die Parteien die Zwischenfeststellung, dass die Kündigung durch die Beklagte eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) bzw. eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 8 Nr. 3 VOB/B (2002) gewesen sei.

Das Landgericht gab der Klage statt und wies die Widerklage ab. Auf die Berufung der Beklagten hin änderte das OLG Naumburg die Entscheidung ab. Bei der Kündigung habe es sich um eine Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 8 Nr. 3 VOB/B (2002) gehandelt, sodass die von der Beklagten geltend gemachten Ansprüche dem Grunde nach bestünden, nicht aber der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche.

Die Entscheidung

Auf die Revision der Klägerin hob der Bundesgerichtshof (BGH) die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht. In seinem Urteil erinnert der BGH zunächst daran, dass die Regelungen der VOB/B Allgemeine Geschäftsbedingungen sind. Als solche hätten sie auch schon vor der Einführung des § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB nur dann keiner Inhaltskontrolle nach den Vorschriften in den §§ 305 ff. BGB unterlegen, wenn die VOB/B als Ganzes und ohne Änderungen vereinbart wurde. Jede Abweichung von den Regelungen der VOB/B eröffne dagegen die Überprüfung der Regelungen der VOB/B, ob sie mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbar sei. Eine Vereinbarung der VOB/B als Ganzes sei im hier zu entscheidenden Fall nicht anzunehmen, weil der Vertrag der Parteien an verschiedenen Stellen von den Regelungen der VOB/B abweiche.

Die Beklagte stütze ihre Kündigung auf § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002). Nach dem Wortlaut dieser Vorschriften könne der Auftraggeber dem Auftragnehmer den Auftrag entziehen, wenn eine mangelhafte oder vertragswidrige Leistung in der Ausführungsphase aufgetreten ist, die der Auftragnehmer trotz Fristsetzung und Kündigungsandrohung nicht beseitigt hat. Weitere Voraussetzungen im Hinblick darauf, dass die Kündigung nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) eine solche aus wichtigem Grund ist, enthalten die Regelungen nicht. Die Kündigung aus wichtigem Grund könne daher einschränkungslos in jedem denkbaren Fall festgestellter Vertragswidrigkeit oder Mangelhaftigkeit ausgesprochen werden. Selbst unwesentliche Mängel könnten zu einer Kündigung führen.

Diese Regelungen seien mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung der Voraussetzungen einer Kündigung eines Werkvertrags aus wichtigem Grund, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren. Die Klauseln benachteiligten den Auftragnehmer unangemessen und seien deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Denn eine Kündigung aus wichtigem Grund setze voraus, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage zum Auftraggeber derart erschüttert habe, dass diesem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Eine vertragswidrige oder mangelhafte Werkleistung in der Ausführungsphase könne im Hinblick auf die zu berücksichtigende Dispositionsfreiheit des Auftragnehmers nur dann ein wichtiger Grund sein, wenn weitere Umstände hinzuträten, welche die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Auftraggeber begründen.

Der BGH verweist die Sache dann aber zurück ans Oberlandesgericht. Dieses müsse prüfen, ob die Kündigung durch die Auftraggeberin aufgrund anderer Regelungen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung als Kündigung aus wichtigem Grund wirksam sei.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des BGH hat erhebliche Folgen für die Praxis. Denn die Regelung, die nun für unwirksam erklärt wurde, findet sich inhaltlich auch in der aktuellen Fassung der VOB/B. Die VOB/B wird aber häufig von Auftraggebern in ihre Verträge einbezogen. Ebenso häufig wird von ihren Regelungen jedoch durch bestimmte Klauseln im Vertrag abgewichen, sodass die VOB/B nicht als Ganzes einbezogen ist. Für diese Fälle gilt, dass eine Aufforderung zur Mangelbeseitigung während der Ausführungsphase nicht mehr unter Berufung auf § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B mit der Androhung einer Kündigung und ggf. ihrem Vollzug verknüpft werden kann.

Dank der Entscheidung brauchen Auftragnehmer zumindest nicht länger zu befürchten, dass der Auftraggeber ihren Vertrag wegen unbedeutender Mängel kündigt, die bereits während der Ausführung festgestellt werden. Allerdings macht das Urteil des BGH auch deutlich, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund gleichwohl auf anderer rechtlicher Grundlage schon während der Ausführungsphase möglich ist. Der Gesetzgeber hat dies für jüngere Werkverträge mit § 648a BGB zudem ausdrücklich normiert. Es ist deshalb gut denkbar, dass bei Mängeln, die bereits vor der Abnahme erkennbar sind, eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich ist, wenn z.B. mehrere Mängel oder ein nicht nur geringfügiger Mangel vorliegen.

Solange keine neue Fassung der VOB/B veröffentlicht wird, die dieser Rechtsprechung Rechnung trägt, sollten Parteien, die diese Umstände ausdrücklich berücksichtigen wollen, vertragliche Regeln zu ihnen finden. Dann können sie füreinander eindeutig festlegen, ob und wann der Auftraggeber zur Kündigung des Vertrages berechtigt ist, wenn während der Ausführungsphase Mängel festgestellt werden. Dabei werden sie die Grenzen berücksichtigen müssen, die ihnen das Gesetz und die Rechtsprechung ziehen, dürfen aber auch die Möglichkeiten nutzen, die sich aus ihnen ergeben.

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