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Update Lebensmittelrecht

Das Bundesverwaltungsgericht (Az.: 3 C 15.21) hat mit Urteil vom 09.03.2023 entschieden, dass vorverpackte Süßwaren neben der Gesamtnettofüllmenge auch mit einer Stückzahlangabe versehen werden müssen, auch wenn es sich um kleinteilige Einzelstücke handelt. Die Entscheidungsgründe wurden noch nicht veröffentlicht. Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts 19/2023 vom 09.03.2023 finden Sie hier.

Hintergrund der Entscheidung

Das OLG Frankfurt hatte bereits in dem „Raffaello“-Urteil vom 25.10.2018, 6 U 175/17 entschieden, dass allein die Angabe der Nettofüllmenge bei Pralinen (z. B. 230 g), die einzeln umhüllt in einer verschweißten Folie in einer größeren Plastikumverpackung enthalten sind, nicht ausreicht, sondern auch die Anzahl der in der Vorverpackung enthaltenen Einzelpackungen anzugeben ist. Die Entscheidung sorgte für Unmut in der Süßwarenindustrie. Insbesondere bei kleinstückigen Lebensmitteln wurde vorgetragen, dass es im industriellen Abfüllungsprozess zu Schwankungen komme. Unklar war, wie diese Schwankungen bei der Kennzeichnung der Produkte berücksichtigt werden können, ohne die Verbraucher hierbei zu täuschen. 

Die Klägerin des hiesigen Verfahrens, eine Herstellerin von Bonbons und Schokoladen-Spezialitäten, wollte diese rechtliche Frage daher im Wege einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage erneut klären lassen. Die Gelegenheit bot sich, als im Zuge einer amtlichen Überwachungs- und Prüfmaßnahme das rheinland-pfälzische Landesamt für Mess- und Eichwesen feststellte, dass auf der Verpackung einzelner Produktreihen lediglich das Gesamtgewicht der Bonbons angegeben war, nicht jedoch die darin enthaltene Stückzahl. Wegen des Verstoßes wurde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen einen Mitarbeiter der Klägerin eingeleitet. Hiergegen erhob die Klägerin am 16. Juni 2020 Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Koblenz. Sie begehrte die Feststellung, dass die fehlende Angabe der Stückzahl keinen Verstoß gegen Artikel 23 Abs. 1 und 3 i. V. m. Anhang IX Nr. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 („LMIV“) darstellt. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht Koblenz und auch die daraufhin eingelegte Berufung beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz blieben erfolglos. Auch die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Artikel 23 Abs. 1 und 3 i.V.m. Anhang IX Nr. 4 LMIV sind auf einer Vorverpackungen, die aus zwei oder mehr Einzelpackungen besteht, die nicht als Verkaufseinheiten anzusehen sind, die Gesamtnettofüllmenge und die Gesamtzahl der Einzelpackungen anzugeben.  Das Bundesverwaltungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Produkte der Klägerin diesen Vorschriften unterliegen, mithin eine Angabe der genauen Stückzahl für die Klägerin verpflichtend ist. Für die Annahme, die Vorschrift sei auf Vorverpackungen nicht anzuwenden, die kleinere, einzeln verpackte Stücke enthalte, finde sich im maßgeblichen Unionsrecht kein Anhaltspunkt. Zur Definition des Begriffs der „Vorverpackung“ führte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz aus, dass der Begriff zwar nicht ausdrücklich in der LMIV geregelt sei, er sich jedoch aus dem Kontext der übrigen Legaldefinitionen ergebe. In Artikel 2 Abs. 2 lit. e LMIV ist der Begriff des „vorverpackten Lebensmittels“ als jede Verkaufseinheit, die als solche an den Endverbraucher und an Anbieter von Gemeinschaftsverpflegung abgegeben werden soll und die aus einem Lebensmittel und der Verpackung besteht, in die das Lebensmittel vor dem Feilbieten verpackt worden ist, gleichviel, ob die Verpackung es ganz oder teilweise umschließt, jedoch auf solche Weise, dass der Inhalt nicht verändert werden kann, ohne dass die Verpackung geöffnet werden muss oder eine Veränderung erfährt, definiert.  Entscheidend für die Legaldefinition sei die Verbindung aus Lebensmittel und Verpackung, wobei der Zusatz „vor“ lediglich die zeitliche Komponente der Verpackung ausdrücke. Auch der Verzicht auf eine ausdrückliche Legaldefinition des Begriffs der „Vorverpackung“ spreche für ein wortbildendes Verständnis im Sinne der übrigen Definitionen innerhalb der LMIV. Gleiches gelte für den ebenfalls nicht legal definierten Begriff der „Einzelpackung“, wobei dieser die Verbindung von Packgut und Verpackung abbilde. Für eine Differenzierung nach der Art der Verpackung oder deren Sinn und Zweck gebe die Lebensmittelinformationsverordnung nichts her.

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte nun ebenfalls, dass es sich bei umwickelten Bonbons nicht lediglich um „Trennhilfen“, sondern um Einzelpackungen handelt. Eine unangemessene Belastung der Unternehmen wegen der Pflicht zur Angabe der Stückzahl verneinte das Bundesverwaltungsgericht. Trotz produktionsbedingter Schwankungen des Gewichts der Einzelstücke sei es möglich, Gesamtgewicht und Stückzahl so anzugeben, dass nicht gegen die Vorschriften über die maximal zulässigen Füllmengenabweichungen verstoßen werde.

Hinweise für die Praxis

Für die Branche herrscht nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts somit Klarheit, dass 1. sog. innenliegende „Flowpacks“ „Einzelpackungen“ sind und dass 2. eine Pflicht zur Stückzahlkennzeichnung besteht. Zu empfehlen ist die Angabe der geringstmöglichen Stückzahl bei abfüllungsbedingten Schwankungen. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat hierzu ausgeführt, dass als Berechnungsgrundlage das mittlere (Einzel-)Stückgewicht (Gesamtnettofüllmenge unter Abzug der maximalen Minusabweichung dividiert durch das Maximalstückgewicht) dienen kann. Auch wenn die Berechnung auf dieser Grundlage in den meisten Fällen falsch wäre, würde es sich hierbei aber um eine für die Verbraucher positive Abweichung handeln. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Gedanke der Regelung in Anhang IX Nr. 3 LMIV, wonach die Angabe der Stückzahl entbehrlich ist, wenn die Gesamt der Einzelpackungen von außen leicht sichtbar ist, nicht auf Anhang IX Nr. 4 LMIV übertragbar ist.

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