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Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat mit Urteil vom 07.03.2023 – 5 Sa 127/22 entschieden, dass es für eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin regelmäßig nicht genügt, der Schwerbehindertenvertretung lediglich das an den Personalrat bzw. Betriebsrat gerichtete Anhörungsschreiben zur Kenntnisnahme zuzuleiten.

Sachverhalt

Dem Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin nahm am 01.09.2021 bei der beklagten Stadt eine Vollzeitbeschäftigung im allgemeinen Verwaltungsdienst auf. Das Versorgungsamt B. hatte ihr befristet für den Zeitraum vom 26.02.2019 bis 31.10.2022 einen Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Nachdem die Klägerin seit dem 01.12.2021 durchgängig arbeitsunfähig war, beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 08.02.2022 beim Personalrat die Zustimmung zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin. Der Schwerbehindertenvertretung übersandte die Beklagte dieses Schreiben an den Personalrat mit dem folgenden, ebenfalls auf den 08.02.2022 datierten Anschreiben:

„… Ihre Mitbestimmung gemäß § 68 Abs. 1 Nr. 2 Personalvertretungsgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 24. Februar 1993
Antrag auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung von Frau …, Vorzimmerkraft im Amt für Mobilität innerhalb der Probezeit mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen zum Monatsschluss
Sehr geehrter Herr J., als Anlage erhalten Sie eine Kopie des Schreibens an den Personalrat der Stadtverwaltung.
Mit freundlichen Grüßen …“

Nachdem der Personalrat der Kündigung in seiner Sitzung am 16.02.2022, an der auch der Schwerbehindertenvertreter teilnahm, nicht zustimmte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 21.02.2022 das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2022.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage der Klägerin stattgegeben. Die Berufung der Beklagten vor dem Landesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des LAG sei die Kündigung der Beklagten unwirksam, da es an einer Anhörung der Schwerbehindertenvertretung fehle.

Das Schreiben der Beklagten vom 08.02.2022 an die Schwerbehindertenvertretung enthalte lediglich eine Information zu dem laufenden Beteiligungsverfahren beim Personalrat. Die Beklagte beantrage mit dem Schreiben nicht die Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung, sondern verweise lediglich auf den entsprechenden Antrag gegenüber dem Personalrat. Der Schwerbehindertenvertreter könne daraus nicht entnehmen, dass er hiermit die Möglichkeit erhält, sich zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin zu äußern.

Selbst wenn die Schwerbehindertenvertretung das Schreiben der Beklagten als Unterrichtung im Rahmen ihrer Aufgaben angesehen haben sollte, ergebe sich daraus noch nicht, dass sie damit – entgegen dem eindeutigen Wortlaut – die Möglichkeit einer Stellungnahme verbunden und dieses Schreiben als fristauslösend verstanden habe.

Hinweise für die Praxis

Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die ohne eine solche Beteiligung ausgesprochene Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist unwirksam (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Um vor diesem Hintergrund die Schwerbehindertenvertretung bei einer beabsichtigten Kündigung ordnungsgemäß anzuhören, ist es nicht ausreichend, ihr eine bloße Kopie der Betriebsratsanhörung auszuhändigen. Denn Anhörung bedeutet, dem Angehörten Gelegenheit zur Äußerung zu geben und diese Äußerung entgegenzunehmen sowie sich ggf. mit ihr auseinanderzusetzen. Dies war vorliegend nicht der Fall. Weder aus Wortlaut noch Sinn und Zweck des Schreibens an die Schwerbehindertenvertretung ließ sich entnehmen, dass diese Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Kündigung erhalten und ein eigenständiges Beteiligungsverfahren gegenüber der Schwerbehindertenvertretung eingeleitet werden sollte. Denn der Betreff bezog sich auf das Personalvertretungsgesetz, nicht jedoch auf das Sozialgesetzbuch.

In der Praxis ist daher zu beachten, dass für die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen die gleichen Grundsätze wie für die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG gelten.

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