zum Hauptinhalt
Historische Kochbücher aus der Witzigmann-Sammlung.

© SLUB Dresden/Ramona Ahlers-Bergner

Sammlung eines Kochlebens: 6000 Kochbücher aus Eckart Witzigmanns Bestand gehen an die Sächsische Landesbibliothek

Seit den 1970ern arbeitete der Koch an seiner kulinarischen Bibiliothek. Als neues Kernstück des Deutschen Archivs der Kulinarik soll sie der Forschung dienen.

Der Stifter war nicht wohlauf am großen Tag. Eckart Witzigmann, immerhin 82 Jahre alt, schickte also nur eine Videobotschaft nach Dresden, ein paar Bücher vor sich, und – vermutlich – leere Regale hinter sich. Denn die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB) gab am 23. Oktober stolz bekannt, dass sie die kulinarische Bücherei des großen Kochs übernommen hatte, rund 6000 Bücher und Zeitschriften umfassend.

Für die Universitätsbibliothek ist das keine einzelne Fügung, sondern das Ergebnis systematischer Aufbauarbeit für das 2022 gegründete „Deutsche Archiv der Kulinarik“, in dem die zeitgenössische Kochkunst umfassend dokumentiert werden soll. Neben anderen einschlägigen Sammlungen hatte sie 2018 das Archiv des Gastrosophen Wolfram Siebeck erworben. Die Dresdener Bibliothek steht mit diesem Projekt allein da – konsequent gesammelt und aufbereitet wird zu diesem Thema in Deutschland und wohl auch ganz Mitteleuropa nur hier, die wenigsten Bibliothekare interessieren sich für Kulinaria.

Das ist – für Dresden nicht untypisch – ein Erfolg des Zusammenspiels verschiedener akademischer Einrichtungen, Einzelpersonen und Sponsoren, die eng vernetzt auf ein Ziel hinarbeiten. Hier waren es neben vielen anderen der Dresdener Historiker Josef Matzerath, die in Berlin ansässige gemeinnützige Stiftung des Finanziers Christian C. D. Ludwig, dessen Frau Ursula Staudinger als Rektorin der TU Dresden und die Bibliotheks-Chefin Katrin Stump.

Um 6000 Bücher leichter: Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann.

© MARKUS BASSLER

Es war wohl eine über Jahre andauernde Überzeugungsarbeit nötig, um Witzigmanns Bücher nach Dresden zu bringen. Der große Koch hatte schon in seinen Lehrjahren begonnen, intensiv in Kochbüchern zu studieren, und später erwuchs daraus eine Sammelleidenschaft, die nicht nur die zeitgenössische Köche betraf, sondern auch 700 historische Werke bis zurück ins 17. Jahrhundert. Rumohrs „Geist der Kochkunst“ von 1822 hatte Witzigmann schon verloren geglaubt, bis es jetzt bei der Inventarisierung unerwartet wieder auftauchte.

Seit Jahrzehnten studiert Witzigmann die Kochstile bedeutender Kollegen

Der Kern der Sammlung sind aber so genannte „Coffee Table Books“, üppig ausgestattete und meist nur in Kleinauflage erschienene Bände, in denen Witzigmanns Kollegen und Vorbilder ihre typischen Gerichte dokumentiert hatten. „Seit ich Chef im Tantris war“, sagte er in seiner Grußbotschaft, „konnte ich eine private Bibliothek aufbauen, um die Kochstile der bedeutenden Kollegen weltweit studieren zu können“ – eine Rarität in einer Branche, deren wichtige Exponenten oft nur die eigene Arbeit wahrnehmen.

Motor des kulinarischen Archivs: Der Historiker Josef Matzerath.

© SLUB Dresden/Ramona Ahlers-Bergner

Den Dresdener Forschern geht es erwartungsgemäß nicht nur um appetitanregende Bücher, sondern darum, wie Matzerath sagt, die „in Dresden einmalige inter- und transdisziplinäre Forschung zur kulinarischen Ästhetik und historischen Bedeutung von Kochkunst und Tafelkultur entscheidend voranzubringen“.

Der Historiker Andreas Rutz, designierter Chef der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Geschmackswandel“ an der TU Dresden, holt weit aus und beschreibt das Ziel der Arbeit so: „Wir wollen die Entwicklung der Kulinarik in ihren gesellschaftlichen Kontexten als kulturwissenschaftliches Forschungsfeld auf eine völlig neue Grundlage stellen und dann als Teil der Kulturgeschichte der europäischen Moderne etablieren“.

Der nächste Schritt beim Archivaufbau wurde zusammen mit der Übergabe der Sammlung Witzigmanns vollzogen. Der Autor Jürgen Dollase hatte dafür fünf Referenzgerichte von fünf Köchen ausgewählt und mit diesen zusammen eine umfassende Dokumentation erarbeitet, die weit über die übliche Notierung von Rezeptzutaten hinausgeht.

Sein Ziel ist es, die Arbeitsschritte für die Zubereitung eines exemplarischen Gerichts in Text und Bild so exakt festzuhalten, dass beim Nachkochen der ursprünglich beabsichtigte Geschmack genau getroffen werden kann – dazu gehören auch Angaben über den Werdegang der Köche und ihre Aussagen über die Entstehung eines Gerichts über verschiedene Entwicklungsphasen.

Diese Anstrengung konzentriert sich bewusst nicht nur auf die „Sterneküche“ mit ihren komplizierten Abläufen. So werden in den Dokumentationen komplexe Kunstwerke wie der Saibling von Jan Hartwig, der Lammrücken von Claus-Peter Lumpp und die auf drei Tellern servierte Rotbarbe von Eric Menchon seziert, aber auch die klassisch puristische Seezunge „Meunière“ , die Michael Sauter im Hamburger Fischereihafen-Restaurant serviert, und die gefüllte Kalbsbrust, ein Rezept der bürgerlichen Küche, von Oliver Steffensky, dem Küchendirektor im Schwarzwaldhotel Bareiss.

Das alles ist nicht bloß Theorie, denn in Dresden kann man auch feiern. Die Köche der fünf Dokumentationen servierten ihre – zwangsläufig etwas vereinfachten – Gerichte bei einer heiteren Gala im „Bülow-Palais“. Möglicherweise hat sich dabei der eine oder andere potenzielle Sponsor entschlossen, die Arbeit der Dresdener Kulinariker zu unterstützen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false