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700. Todestag: War Marco Polo wirklich in China, Frau Münkler?

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Marco Polo und einer seiner Begleiter erhalten von Kublai Khan eine goldene Tafel, die ihnen freies Geleit zusichert (Illustration aus dem 15. Jahrhundert).
Marco Polo und einer seiner Begleiter erhalten von Kublai Khan eine goldene Tafel, die ihnen freies Geleit zusichert (Illustration aus dem 15. Jahrhundert). © Imago

Ist Marco Polo im 13. Jahrhundert wirklich nach China gereist? Anlässlich seines 700. Todestags verteidigt Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler den berühmten Venezianer.

Vor 700 Jahren, am 8. Januar 1324, verstarb der wohl berühmteste westliche China-Reisende überhaupt: Marco Polo. Der Venezianer brach im Jahr 1271 als 17-Jähriger zusammen mit seinem Vater und seinem Onkel zum Hof des Mongolenherrschers Kublai Khan auf, dessen Weltreich auch das heutige China umfasste. Als Präfekt des Großkhans bereiste er weite Teile Chinas, bevor er 1295 schließlich nach Venedig zurückkehrte. Während eines Gefängnisaufenthalts vier Jahre später erzählte er einem Mitgefangenen von seinen Erlebnissen, die dieser niederschrieb. „Die Wunder der Welt“, Polos Reisebericht, wurde zum Bestseller. Doch seit jeher gibt es Zweifel daran, dass Marco Polo überhaupt in China war. Die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler von der TU Dresden sagt hingegen im Interview: Marco Polo hat es sehr wohl bis nach Fernost geschafft. Münkler ist Autorin des Buchs „Marco Polo: Leben und Legende“.

Frau Münkler, zu Beginn seines Reiseberichts schreibt Marco Polo, er erzähle, „was er mit eigenen Augen gesehen hat“. Stimmt das denn? Schon seit Jahrhunderten wird angezweifelt, dass er es überhaupt bis nach China geschafft hat.

Marco Polo hat höchstwahrscheinlich nicht alles, wovon er erzählt, mit eigenen Augen gesehen. Er berichtet ja beispielsweise auch Historisches aus der Geschichte der Mongolen, das kann er gar nicht miterlebt haben. Das heißt aber keineswegs, dass er gar nicht in China war, wie einige behaupten.

Eine, die das behauptet und viel Aufmerksamkeit bekommen hat, ist die Historikerin Frances Wood, die Autorin von „Marco Polo kam nicht bis China“.

Ehrlich gesagt, ich finde, dieses Buch ist der größte Blödsinn, der jemals über Marco Polo geschrieben worden ist. Leider hat es bei seinem Erscheinen große Aufmerksamkeit bekommen. Und obwohl es schon damals in Rezensionen zerrissen wurde, haben sich viele Thesen von Wood bis heute gehalten.

„Die Chinesische Mauer sah im 13. Jahrhundert vollkommen anders aus als heute“

Als Beleg für ihre Behauptung, Marco Polo sei gar nicht in China gewesen, nennt Wood beispielsweise die Tatsache, dass er in seinem Buch die Chinesische Mauer nicht erwähnt.

Die Chinesische Mauer sah im 13. Jahrhundert vollkommen anders aus als heute. Das, was wir heute als Chinesische Mauer kennen, ist erst im 17. Jahrhundert gebaut worden. Als Marco Polo in China war, bestand die Chinesische Mauer vor allem aus Erdwällen. Und die waren nichts Auffälliges, also nichts, worüber man berichten müsste. Marco Polo erwähnt auch die chinesische Teekultur nicht ​​– kein Wunder! Schließlich war er am Hof der Mongolen, und die tranken nun mal keinen Tee, sondern Kumys, vergorene Stutenmilch. Nur mit dem zu argumentieren, was Marco Polo in seinem Bericht nicht erwähnt, ist problematisch. Wieso sollte sich Marco Polo vor 700 Jahren für dieselben Dinge interessiert haben wie heutige Historiker?

Marina Münkler
Marina Münkler ist Professorin für ältere und frühneuzeitliche deutsche Literatur und Kultur an der Technischen Universität Dresden. Sie ist Autorin des Buchs „Marco Polo: Leben und Legende“. © Christoph Soeder/dpa

Welche Beweise gibt es denn, dass Marco Polo in China war?

Marco Polo wusste beispielsweise sehr gut Bescheid über die Herstellung des mongolischen Papiergeldes, was in keiner anderen europäischen oder persischen Quelle aus dieser Zeit beschrieben wird. Das heißt, er kann das nur aus eigener Augenzeugenschaft wissen. Die Behauptung, er habe solche Dinge irgendwo am Schwarzen Meer am Lagerfeuer von anderen Reisenden erfahren und lediglich weitergegeben, ist grotesk.

Marco Polos Reisebericht wird schon seit Jahrhunderten angezweifelt. Weil er so unglaublich wirkt?

Ganz so unglaublich war Marco Polos Reise gar nicht, schließlich waren vor ihm sein Bruder und sein Onkel schon einmal am Hof der Mongolen. Ein Teil der Familie Polo hat ohnehin schon am Schwarzen Meer eine Dependance unterhalten. Auch andere Fernhandelskaufleute sind damals sehr weit gereist. Viele Waren, die in Venedig oder Genua angeboten wurden, kamen aus dem Fernen Osten. Dennoch fanden die damaligen Leser vieles, was Marco Polo berichtet hat, natürlich überwältigend, neu, anders, irritierend und beunruhigend.

„Die Vorstellung, es könnte einen Kaiser geben, der so mächtig ist, war für viele kaum zu glauben“

Zum Beispiel?

Zum Beispiel, dass im Mongolenreich mit Papiergeld gezahlt wurde. Das war für Europäer unvorstellbar, schließlich ist Papier doch nichts wert! Wie soll das denn funktionieren, haben sich die Menschen gefragt. Die Vorstellung, es könnte einen Kaiser geben, der so mächtig ist, dass es ihm gelingt, eine Papierwährung durchzusetzen, war für viele kaum zu glauben.

Warum war es ausgerechnet der Bericht von Marco Polo, der so legendär geworden ist? Er war, wie Sie sagen, ja nicht der einzige Asienreisende seiner Zeit.

Ein Faktor war sicherlich, dass Marco Polos Bericht ein volkssprachlicher Bericht ist. Außerdem haben Kaufleute, die damals nach Asien gereist sind, in der Regel keine Aufzeichnungen hinterlassen. Unter anderem, weil sie gar nicht wollten, dass andere allzu viele Details erfuhren - etwa, wo man bestimmte Waren zu einem guten Preis bekommt. Zudem herrschte im Mittelalter eine andere Wissenskultur vor als heute: Wissen zirkulierte nur in sehr kleinen Kreisen, etwa in monastischen Orden oder an den Höfen der Herrscher. Alle anderen waren quasi vom Wissen ausgeschlossen.

Wie soll man Marco Polos Text heute lesen? Als Reisebericht, der Fakten mit ein bisschen Fiktion vermischt?

Marco Polo hat keinen Reisebericht verfasst, sondern die Beschreibung eines fernöstlichen Reiches. Dabei vermischt sich vermutlich sehr vieles an Faktenwissen mit einigem, das er nur vom Hörensagen kannte. Zum Beispiel das, was er über Japan schreibt. Die Mongolen haben ja im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts mehrfach versucht, Japan zu erobern, was ihnen aber nicht gelungen ist. Was die Mongolen sich über Japan erzählt haben dürften – etwa, dass die Häuser dort mit Gold gedeckt seien –, das hat Marco Polo übernommen. Und das trug auch zur Vorstellung vieler Europäer von den vermeintlichen Reichtümern des Ostens bei.

„In China schätzt man Marco Polo sehr“

Wie hat Marco Polo das China-Bild seiner Zeit noch geprägt?

Marco Polo hat vor allem das Bild der Mongolen geprägt. Im frühen 13. Jahrhundert sind die Mongolen auf ihren Expansionsfeldzügen bis nach Liegnitz vorgedrungen, im heutigen Polen, da dachten die Europäer: Das ist die Apokalypse! Die Mongolen, die Marco Polo beschreibt, sind hingegen ganz anders. Er schreibt etwa anerkennend von ihren Fähigkeiten, ein Reich zu beherrschen. Und er beschreibt sich selbst als jemand, der im Dienst der Mongolen gestanden hat. Marco Polo zollt in seinem Bericht einem Nicht-Christen, einem Nicht-Europäer, auf einmal ungeheure Anerkennung.

Und wie blickt man in China auf Marco Polo?

Dort schätzt man ihn sehr. Eben weil er dafür gesorgt hat, dass das, was heute China ist, in Europa so positiv gesehen wurde. Das ist aber höchstwahrscheinlich ein Phänomen der Neuzeit. Denn das China, das Marco Polo bereist hat, war ja als Yuan-Dynastie Teil des Mongolenreichs. Und die Chinesen haben erst sehr spät begonnen, die Yuan-Dynastie als Teil ihrer eigenen Tradition zu begreifen. Erst da fangen sie an, sich auch für Marco Polo zu interessieren. Dass er jemals in China war, wird dort übrigens nicht angezweifelt.

Könnte ein Marco Polo also in Zeiten, da das Verhältnis zwischen China und dem Westen so schlecht ist wie lange nicht mehr, als Brückenbauer dienen?

Ja, kulturell kann man ihn durchaus als Brückenbauer nutzen. Was man von Marco Polo auch lernen kann, ist die Begeisterung für das Fremde, die vielen heutzutage abhandengekommen ist. Heute verreisen die Menschen mit dem Kreuzfahrtschiff, gehen ein paar Stunden an Land und müssen europäischen Boden auch in der Fremde quasi nicht verlassen. Sich hineinzubewegen in andere Kulturen, das ist es doch, was Menschen zusammenbringt. Und das ist es, was Marco Polo getan hat.

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