Internationalisierung strategisch stärken

Prof. Dr. Verena Blechinger-Talcott

Gerade in Zeiten globaler Konflikte und Krisen muss die Internationalisierung von Studiengängen strukturell abgesichert werden. Ein aktueller Blick auf DAAD-Programme, die genau das leisten.

Angesichts weltweit zunehmender politischer Spannungen und Konflikte geraten auch internationale Hochschulkooperationen und der akademische Austausch unter Druck. „Internationale Kooperationen resilient gestalten“ lautete der Titel einer Konferenz, zu der der DAAD im vergangenen Jahr Hochschulvertreterinnen und -vertreter dreier seiner Programme zur strukturellen Internationalisierung eingeladen hatte. Sowohl die Programme Integrierte internationale Studiengänge mit Doppelabschluss und Internationale Studien- und Ausbildungspartnerschaften (ISAP) als auch Lehramt.International fördern die Integration von Auslandsaufenthalten in Studiengänge. Nicht selten geschieht dies unter herausfordernden Rahmenbedingungen.

Stärkung des interkulturellen Dialogs

Professorin Verena Blechinger-Talcott, Erste Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin, hielt bei der Konferenz die Keynote zum Thema „Chancen und Herausforderungen des akademischen Austauschs in Krisenzeiten“. Auch Hochschulen sind auf vielfältige Weise von Konflikten und Krisen betroffen – seien es die weitreichenden Folgen der Coronapandemie, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine oder Einschränkungen der wissenschaftlichen Freiheit in verschiedenen Ländern. Blechinger-Talcott hebt hervor: „Von der Stärkung eines interkulturellen Dialogs durch universitären Austausch bis zur Lösung globaler Probleme durch internationale Forschungskooperationen ist Internationalisierung ein zentraler Bestandteil der globalen Wissensgesellschaft. Umso mehr sind Krisen daher nicht nur eine Herausforderung für den internationalen Austausch einzelner Universitäten, sondern sie betreffen das System Universität als Ganzes.“ Dass darin auch Chancen liegen, steht für Blechinger-Talcott außer Frage.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die etwas von der chinesischen Wirtschaft oder der russischen Politik verstehen, seien zum Beispiel ebenso wichtig wie Kolleginnen und Kollegen mit Arbeitserfahrungen im Globalen Süden. „Solche Experten und Expertinnen können dabei helfen, Szenarien und Strategien zu entwickeln und Risiken angemessen einzuschätzen“, so Blechinger-Talcott. „Studierende von heute sind nicht mehr nur auf einen globalisierten Arbeitsmarkt vorzubereiten. Die Herausforderung – und Chance – ist es, ihnen auch ein stabiles Wertegerüst und Sensibilität für ein Agieren in einer nicht nur globalisierten, sondern auch polarisierten Welt mitzugeben.“ Dabei spricht Blechinger-Talcott auch aus ihrer Erfahrung als Projektverantwortliche eines ISAP-Projektes. In den drei auf der Konferenz vertretenen Strukturprogrammen des DAAD zeigt sich, wie Studierende und Lehrende konkret auf die globalisierte und polarisierte Welt vorbereitet werden.

ISAP-Partnerschaft zwischen Sri Lanka und Sachsen

„In den letzten Jahren war die politische Lage in Sri Lanka sehr instabil“, erzählt Professor Stefan Horlacher von der Technischen Universität Dresden, Projektverantwortlicher des ISAP-Studierenden- und Lehrendenaustauschs in den Fächern Anglistik und Amerikanistik zwischen der TU und der Universität Colombo. Zwar wurde der jahrzehntelange Bürgerkrieg im Land 2009 beendet, aber Sri Lanka kommt nicht zur Ruhe. Spannungen zwischen Singhalesen, Muslimen und Tamilen bestehen nach wie vor, hinzu kommen ökonomische Probleme. 2022 richteten sich Massenproteste gegen die Wirtschaftspolitik der damaligen Regierung. Die unter dem Namen „Aragalaya“ (singhalesisch für „Kampf“) bekannt gewordene Protestbewegung soll in den kommenden Jahren auch Gegenstand eines Forschungsprojekts der ISAP-Partnerschaft sein.

Stefan Horlacher und seinen Kolleginnen und Kollegen in Dresden und Colombo ist es seit dem Start der ISAP-Partnerschaft im Wintersemester 2019/20 gelungen, weitreichenden Austausch aufzubauen. Wenige Monate zuvor hatte eine islamistische Anschlagsserie mit mehr als 250 Toten Sri Lanka erschüttert. „Am Anfang unseres ISAP-Projektes stand für uns klar im Vordergrund, dass in Sri Lanka ausreichende Sicherheit für die Studierenden gegeben sein musste. Dazu gab es nicht nur intensive Gespräche zwischen unseren Universitäten, sondern zum Beispiel auch mit der Deutschen Botschaft.“ Der Austausch begann mit je drei Studierenden, die ein Semester an der jeweiligen Partneruniversität verbrachten.

Prof. Dr. Stefan Horlacher

Mittlerweile haben bereits 19 Studierende aus Sri Lanka an der TU Dresden und fast ebenso viele Studierende aus Dresden in Colombo studiert. Die ISAP-Mittel ermöglichen Vollstipendien für Dresdner und eine Teilförderung für sri-lankische Studierende und zudem einen jährlichen Lehrendenaustausch. Ein Schlüssel zur erfolgreichen Etablierung der Partnerschaft war das von Anfang an aufgebaute Betreuungsnetzwerk: „Vertreterinnen und Vertreter der beiden Universitäten sowie ehemalige ISAP-Geförderte unterstützen die aktuellen Stipendiatinnen und Stipendiaten ganz wesentlich bei den unterschiedlichen Fragen zum Studieren und Leben im jeweils anderen Land“, erläutert Stefan Horlacher. Er betont: „Der Austausch ist für Studierende wie Lehrende sehr horizonterweiternd. So gewinnen die Stipendiatinnen und Stipendiaten aus Dresden durch die Zeit an der Universität Colombo etwa eine neue, auch postkolonial geprägte Perspektive auf Autoren wie William Shakespeare oder Jane Austen. Und die umfangreiche Förderung macht den Austausch noch einmal besonders attraktiv.“

Internationalisierung des Lehramtsstudiums

Lernen und Lehren mit erweiterter Perspektive steht auch im Fokus des DAAD-Programms Lehramt.International. Es werden Modellprojekte an deutschen Hochschulen mit Lehramtsstudiengängen gefördert, die im Rahmen von Kooperationen die strukturelle Internationalisierung der Lehrkräfteausbildung vorantreiben. Zudem werden Stipendien für Praktika an Schulen im Ausland unterstützt, die praxisnahe Erfahrungen für das spätere Berufsfeld vermitteln. Auch im Programm Lehramt.International sollen resiliente, nachhaltige Strukturen internationalisierter Studiengänge aufgebaut und etabliert werden. Den Modellprojekten ist es gelungen, große Netzwerke mit mehr als 220 Partnerhochschulen im Ausland zu knüpfen oder auszubauen.

Prof. Dr. Anatoli Rakhkochkine

„Bei der Auswahl der Partner ist es für uns entscheidend, dass die Komplexität des Lehramtsstudiums berücksichtigt wird“, sagt Professor Anatoli Rakhkochkine, der Projektverantwortliche für Lehramt.International an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Über ein Dutzend Partneruniversitäten, etwa in Chile, Frankreich, den USA oder Südafrika, zählen zum internationalen Netzwerk seines Förderprojekts. Dieses wird zudem durch das European Teacher Network (ETEN) ergänzt, in dem über 60 Einrichtungen mit etablierten Angeboten für internationale Lehramtsstudierende vertreten sind. „Wir wollen unterschiedlichen Sprachen, Schulformen sowie Lern- und Lehrkulturen gerecht werden“, sagt Rakhkochkine. „Für die Auswahl der Partner ist zudem wichtig, dass unsere Studierenden ihre im Ausland erbrachten Leistungen anerkannt bekommen und dafür möglichst nicht nur ein Lehramtsfach an der Partneruniversität belegen können.“

Das Projekt an der FAU zeigt beispielhaft, wie sich die Internationalisierung des Lehramtsstudiums mit attraktiven Angeboten für die Studierenden strategisch stärken lässt. Anatoli Rakhkochkine hebt hervor: „Wir möchten unseren Lehramtsstudierenden umfassende Kompetenzen für die globalisierte Welt vermitteln, und dabei ist Lehramt.International eine entscheidende Hilfe.“

Johannes Göbel (24. Januar 2024)

 

Verwandte Themen