Online-Version
Impressum
Der Kultur-Südtirol-Adventskalender
Samstag, 12.12.2020
Mit KulturSüdtirol durch den Advent:
"Hättet Ihr gewusst ...?"
Hättet Ihr gewusst, wie es jemanden geht, der sich tagtäglich gleich an mehreren "Fronten" mit Corona auseinander setzen muss?

Simone Weber arbeitet einerseits als freie Rednerin, Lektorin und Ghostwriterin. Andererseits ist sie bei einem ambulanten Pflegedienst tätig, unter besonderen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. Heute gibt sie uns einen bewegenden Einblick in ihren Alltag, aber auch in den Ernst der Lage. Danke für die offenen und wichtigen Worte, Simone!

Euch allen ein schönes Wochenende und viele Grüße von

Benjamin und Johanna
Simone Weber:
Erfolgreiche Unternehmerin seit vielen Jahren. Tanzt am liebsten auf ganz vielen Hochzeiten. Und arbeitet derzeit aber (leider) in einem Hochsicherheitstrakt.
KulturSüdtirol: Wie erlebst Du die momentane Situation und was hat sich für Dich in den vergangenen Monaten geändert?

Simone Weber: Diese Frage ist tatsächlich nicht ganz leicht zu beantworten, denn für mich stellt sich die Situation der letzten Monate so unterschiedlich dar, wie man es sich nur denken kann.

Zum einen arbeite ich in einem ambulanten Pflegedienst, zum anderen bin ich freie Rednerin. Und Privatmensch bin ich auch noch. Das heißt im Umkehrschluss: Im Hauptberuf können wir uns vor Arbeit nicht retten und im Nebenjob habe ich gerade einmal drei Hochzeiten in diesem Jahr gehabt - immerhin. Andere Kolleginnen und Kollegen hatten gar keine Aufträge. Und wenn sie dann nicht, so wie ich es anbiete, noch Beerdigungen machen, dann sieht es sehr schnell sehr schlecht aus auf dem Konto - obgleich man ja immer für Rücklagen sorgen sollte. Aber das ist eine andere Geschichte…

In der ambulanten Pflege, der Betreuung, dem Menüservice und in meinem Projekt rund um die Alltagshilfen haben wir alle Hände voll zu tun. Schon im März wurden viele Menschen schneller als sonst aus Krankenhaus und Reha entlassen, um (Intensiv-)Betten frei zu haben und ich hatte viele Hausbesuche, bei denen es dann darum ging, wie man möglichst schnell alles barrierefrei bekommt, wie man ein Pflegebett beantragt, wie man schnell ein Bad so umbauen kann, dass die pflegebedürftige Person irgendwie zu Hause klar kommen kann. In keinem anderen der letzten fünf Jahre hatte ich so viele dieser Aufträge wie in diesem.

Dazu kamen dann natürlich viele Menschen, die nicht mehr von Angehörigen besucht und betreut wurden und werden, im ambulanten Dienst ist richtig viel zu tun. Tagespflege und Betreuungsgruppen waren kurze Zeit geschlossen, inzwischen sind wir seit Pfingsten unter krassen Auflagen wieder für unsere Tagesgästen da. Wenn auch für weniger als noch im Februar, aber anders ist es mit den vorgeschriebenen und natürlich sinnvollen Abständen nicht möglich. Ich sage, seitdem wir wieder geöffnet haben, scherzhaft "ich arbeite in einem Hochsicherheitstrakt."

Im krassen Gegensatz dazu steht mein Rednerdasein. Nur ein ursprünglich geplantes 2020-Paar hat sich das Ja-Wort gegeben, zwei kamen spontan dazu ("jetzt dürfen wir, jetzt machen wir, wer weiß, wann es sonst etwas wird!"). Alle anderen Paare haben verschoben. Ich kann für sie nur hoffen, dass sie im nächsten Jahr so heiraten können, wie sie es sich wünschen und sich nicht im Nachgang ärgern, nicht in diesem Jahr gefeiert zu haben - wenn auch kleiner als geplant und mit Auflagen. Naja, und privat fiel so viel aus, wie nie zuvor und man hatte abends auf einmal Zeit.

Was hat sich also geändert? Auf der einen Seite arbeite ich mich dumm und dusselig, auf der anderen sind die Wochenenden ungewohnt frei. Die allermeisten Konzerte (eins konnte ich immerhin promoten in diesem Jahr), Handball, Gremienarbeit und Gitarrenunterricht fallen aus. Da hat man dann Zeit, in den Wald zu gehen und Kraft zu tanken.  

Was gibt Dir Kraft bzw. was motiviert Dich?
oder: Was beschäftigt dich gerade besonders?


Mich beschäftigt seit Wochen sehr, dass die Stimmung immer aggressiver wird. Selbstverständlich nicht bei allen, aber leider doch merkbar. Und niemand macht was oder kann etwas machen. Es handelt sich ja nicht um einen Virus, der mal eben kam, um einzelne Leute zu ärgern. Man darf das Krönchen nicht persönlich nehmen, aber man muss sich bitte an die Regeln halten, wenn man seine gewohnte Freiheit schnell wiederhaben möchte. Diese ganzen "Merkel-Diktatur"-Rufer und diese, die ohne mit der Wimper zu zucken mit Nazis auf die Straße geht, die machen mir tatsächlich Angst.

Im Gegensatz dazu motiviert mich mein direktes Umfeld, das sich brav an alles hält, an das man sich so halten kann, eben damit wir uns alle bald wieder in die Arme schließen können. Denn das sei am Rande erwähnt: Sich bei einer Hochzeit nicht umarmen zu können, das ist verschmerzbar. Es bei einer Beerdigung nicht zu dürfen, das ist eine absolute Katastrophe! 
So doof die Situation auch ist im Moment, letztendlich geht es uns in Deutschland - im Vergleich zu anderen Ländern - wirklich gut. Auch wenn ich meine Freunde, deren Kinder und meine Familie ehrlich sehr vermisse und ich freue, wenn ich sie irgendwann wieder sehen und in die Arme nehmen kann. Wobei es inzwischen auch einfach so ist, wie es ist, und man sich einfach dran gewöhnt hat.

Im Marz/April war es ehrlich anders. Da ging es mir oft alles auch sehr nah, weil ich alle so schrecklich vermisst habe. Darum machte ich dann einen Aufruf: „Was ist dein Kopf-hoch-/Mutmachlied?“ Es kam so viele Antworten, dass ich seit dem 19.03. jeden Tag ein Lied poste. Die allermeisten davon von unterschiedlichsten Leute via Instagram, Facebook oder WhatApp gewünscht. So seltsam das klingt: Das motiviert mich. Das macht Spaß und ich weiß, dass viele morgens schon immer drauf warten, dass das neue Lied kommt. Und ich lerne auch immer wieder neue Lieder und Künstler kennen.

Ein konkreter Tipp oder eine konkrete Empfehlung für unsere Leserinnen und Leser?

Ich arbeite in der Pflege. Da kann ich im Grunde nur eins raten (und zwar das, was schon keiner mehr hören kann, weil es ehrlich moralapostelmäßig daher kommt): Haltet Abstand und seid doch für einander da, wascht euch die Hände gründlich und lüftet. Und so Masken, die kann man auch schön zum Outfit kaufen, da kann man sich richtig einen Sport draus machen. Seid also froh, dass man Masken hat und nölt nicht rum, nur weil ihr sie mal beim Einkaufen tragen müsst. Meine Kolleginnen und Kollegen tragen die Dinger mehrere Stunden am Stück. Ja, das geht!

Und ganz konkret und weniger moralapostelmäßig: Ja, es ist einfach alles doof im Moment. Vielleicht ist es dann aber auch einfach mal gut, in sich zu gehen und zu sehen, was wir alles haben und wie gut es uns geht. Das habe ich nämlich seit Pfingsten wirklich oft gehört von unseren Tagesgästen „Es ist zwar anders, aber wir sind doch froh über so vieles, was uns sonst so normal erschien.“ Wohlgemerkt, viele von ihnen haben Krieg erlebt, da geht es uns ehrlich gut, wir leben in Frieden!

Wie (positiv oder negativ) blickst Du in die Zukunft? Warum?

Ich blicke grundsätzlich positiv in die Zukunft. Natürlich bin ich auch mal deprimiert und frage mich, wann wieder alles normal wird - und wie dieses "normal" dann aussehen wird. Aber nörgeln hat noch nie geholfen, man kann sich immer alles schön machen. Auch mit Kontaktbeschränkungen. Zum Beispiel lese ich nach ein paar Wochen Pause wieder jeden Abend eine Geschichte für die Kinder meiner besten Freundinnen. Wir können uns nicht sehen, sind uns so aber nah. Man muss einfach kreativ sein und sich nicht darüber aufregen, was alles nicht geht im Moment. Denn davon geht es ja auch nicht wieder ;-)
Zur Person: Simone Weber aus Niedersachsen
Simone Weber ist 37 Jahre alt und hat in unterschiedlichen Städten und Ländern evangelische Theologie auf Pfarramt und Diplom studiert.

Noch im Studium machte sie sich als freie Rednerin, Lektorin und Ghostwriterin selbstständig, seit 5,5 Jahren arbeitet sie zudem in einem ambulanten Pflegedienst. Dort arbeitet sie inzwischen nicht mehr ausschließlich in der Pflege und Betreuung (Demenzkranker), sondern auch und vor allem in der Öffentlichkeitsarbeit.

Darüber hinaus absolvierte sie berufsbegleitend erfolgreich ein Studium. Die Projekte, die sich daraus ergaben, wurden von höchsten Stellen ausgezeichnet. Sie lebt mit Tochter und Ehemann im Heidekreis im Norden Niedersachsens.

Unter https://www.redenswert-freie-rednerin.de findet Ihr weitere Details zu Simones beruflicher Tätigkeit.
Auch morgen wieder: Der KulturSüdtirol-Adventskalender.
Jeden Tag ein besonderer Einblick.
Abmelden / Unsubscribe