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Bericht „Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext“ |
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Gemeinsame D-A-CH-Veranstaltung im Rahmen der weltweiten UN-Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“, 2.12.2021
Autorin: Irmgard Bayer, Vizepräsidentin VAÖ
Kurzfassung des durch Dr. Livia Boscardin (SVA) erstellten Protokolls
-> Das ausführliche Protokoll finden Sie im roten Download-Bereich!
Der Event war eine Premiere, denn es war das erste Mal, dass die drei Schwesterverbände SVA, DAB und VAÖ gemeinsam ein digitales Arbeitstreffen zu einem aktuellen Thema bestritten. Am 2. Dezember trafen sich Mitglieder der Verbände aller drei Länder erstmals per Zoom.
Die drei Präsidentinnen Doris Boscardin, Präsidentin des Schweizerischen Verbands der Akademikerinnen (SVA), Manuela Queitsch, Präsidentin des Deutschen Akademikerinnenbundes (DAB), und Maria Tiefenthaller, Präsidentin des Verbandes der Akademikerinnen Österreichs (VAÖ) waren dabei und begrüßten.
Seit 2008 gibt es die trinationalen D-A-CH-Treffen, welche jedes Jahr reihum von einem der drei Landesverbände ausgerichtet werden. Später ist auch die Ortsgruppe Rotterdam zu uns gestossen, und gerade Oktober 21 waren wir erstmals in Rotterdam und Delft zu Gast bei unseren niederländischen Freundinnen.
Gewalt und Belästigung im Arbeitsumfeld
Während die Kultur und die Pflege der Freundschaften im Zentrum der traditionellen DACH-Treffen stehen, war diese D-A-CH-Veranstaltung ein Beitrag zur weltweiten
UN-Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Das Fokusthema der UN-Kampagne 2021 war sexualisierte Gewalt. Als Akademikerinnen wollten wir das Thema ganz konkret auf unser eigenes Arbeitsumfeld, die Hochschulen, ausrichten, denn es ist leider traurige Realität, dass dort wie anderswo sexualisierte Gewalt stattfindet. Unser Tagungsthema lautete deshalb «Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext» (SBDG).
Von sexualisierter Gewalt Betroffene haben oft Angst, von ihren Erlebnissen zu berichten. Manche machen sich zurecht Sorge um ihre universitäre Karriere. Manche schämen sich, fühlen sich schuldig. Hier ist die Politik gefordert, Gesetze so auszugestalten, dass sich Betroffene darin wiederfinden. Es braucht zudem finanzielle Mittel für Sensibilisierung, Prävention und Ausbildung von Mitarbeitenden der Polizei, Justiz und der Sozialdienste.
Die Verantwortung liegt allerdings nicht nur bei den Institutionen. Jede und jeder ist gefragt: Es braucht mehr Zivilcourage im Alltag.
Für die Vorträge konnten sechs Expertinnen aus den drei Ländern gewonnen werden:
Dr. Heike Pantelmann und Dr. Tanja Wälty vom Margherita von Brentano-Zentrums für Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin. Sie referierten zu „Das versteckte Problem: Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt an deutschen Hochschulen“.
Mag.a Dr.in Andrea Ellmeier, Historikerin, Leiterin der Stabstelle Gleichstellung, Gender Studies und Diversität (GGD) an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und Mag.a Maria Mucke, stellvertretende Leiterin des Universitätszentrums für Frauen- und Geschlechterstudien an der Universität Klagenfurt sprachen zu „(Sexualisierte) Diskriminierung & Gewalt (SDG) im universitären Kontext. Von Unterstützungsstrukturen für Betroffene an Österreichs Universitäten“.
Priv.Doz.in Mag.a Dr.in Anna Maria Dieplinger (JKU, Kepleruniversität Linz) referierte zur Frage „Was kann gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung im Studium und Klinikalltag getan werden“.
Dr. Livia Boscardin, Soziologin, Wen-Do-Trainerin und Generalsekretärin des SVA, gab mit ihrem Vortrag: „No means no! Mit Wen-Do gegen sexualisierte Belästigung“ einen Einblick in Wen-Do, einem körperlichen und geistigen Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungs-Konzept. Das damit verbundene Empowerment stärkt Frauen gegen sexuelle Belästigung.
Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“
Im Rahmen dieser internationalen Kampagne wurde das Recht auf ein gewaltfreies Leben eingefordert. Die 16 Tage fanden zwischen dem 25. November (Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen) und 10. Dezember (Internationaler Tag der Menschenrechte, seit 1948) statt. Der 25. November ist ein Internationaler Gedenktag für alle Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt wurden. Er findet im Gedenken an drei Bürgerrechtskämpferinnen aus Mittelamerika statt, die 1960 aufgrund ihres frauenpolitischen Engagements ermordet wurden.
In diesem Aktionszeitraum organisieren weltweit Frauen und Menschenrechtsorganisationen Veranstaltungen, welche die allgemeine Stärkung von Frauenrechten zum Ziel haben. Das Ausmass und die verschiedenen Ausprägungen von Gewalt gegen Frauen sollen thematisiert werden und auch Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Gewalt nachhaltige Folgen für die Betroffenen selbst, aber auch für die gesamte Gesellschaft hat.
Orange the world
Die parallellaufende UN-Kampagne «Orange the world» will zur Enttabuisierung dieses Themas beitragen. Weltweit erstrahlten in diesen 16 Tagen gegen Gewalt an Frauen Gebäude in oranger Farbe, um ein sichtbares Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen.
Der 10. Dezember, der internationale Tag der Menschenrechte, bildete den Abschluss der Kampagne. Die Kampagne war ein Ausdruck internationaler Solidarität, weltweit beteiligen sich 187 Länder und über 5000 Organisationen.
Das Teilen von Erfahrungen ist karrieregefährdend nicht etwa für die Tatpersonen, sondern für die Betroffenen:
«Er erzählte allen, ich hätte seine Karriere ruiniert.» Studentin
Beispiel aus der JKU, Kepleruniversität Linz:
Ein (heute schon lange emeritierter) Statistikprofessor wollte keine jungen Frauen in der ersten Reihe sitzen haben, denn «er könne das Menstruationsblut riechen».
Beispiel Klinik:
Eine junge Oberärztin der Chirurgie wird vom gesamten männlichen Team gemobbt. Sie lachte nicht über Männerwitze. Sie war sehr am Fach interessiert, erbrachte hohe Leistung. Die Männer unterstellten ihr fachliche Fehler; sie soll schlichtweg «verschwinden», um die angestammte Atmosphäre des Teams nicht weiter zu beeinträchtigen. Schließlich wird erfolgreich ein Arbeitspsychologe eingeschaltet, um die Ärztin von der Abteilung «weg zu motivieren».
Abschließend fand eine Diskussion statt, an der sich die Teilnehmenden mit den Expertinnen austauschen konnten. Die Moderation wurde von den Präsidentinnen, Manuela Queitsch, Dr. Maria Tiefenthaller und Doris Boscardin gemeinsam bestritten.
SBDG verläuft früher wie heute sehr subtil, es braucht eine grosse Sensibilisierung, diese zu erkennen und anzusprechen.
Pantelmann: Die Studierenden erkennen die Gewalt oft nicht als solche, denn sie ist verdeckt, normalisiert und subtil. Erst als auch in der Forschung SBDG sichtbar gemacht wurde, hat sich eine relativ starke Wut manifestiert; dies spiegelt sich auch in Befragungen wider: Bei konkreten Abfragen von SBDG geben viele Befragte an, dass sie diese erlebt haben, bei einer diffusen Fragestellung verneinen die Befragten das Problem.
Wälty: Einerseits erkennen Betroffene die Gewalt nicht, aber andererseits werden sie, wenn sie die Gewalt ansprechen, nicht ernst genommen, es folgen Kommentare wie «Das war ja nicht ernstgemeint, das war ja nur ein Witz».
Dieplinger: Das Problem manifestiert sich auch in den sozialen Medien.
Wie können wir Frauen motivieren, dagegen zu halten, dass sie nicht in der Opferrolle verbleiben? Was kann getan werden, um diese Männlichkeitsstrukturen aufzubrechen?
Dieplinger: Es braucht mehr Sensibilisierung, z.B. durch Kampagnen wie die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen*», und es braucht Empowerment, z.B. durch Wen-Do.
Mucke: In den letzten Jahren (Corona; #metoo) hat sich die Awareness erhöht, viele Studierende haben sich zusammengetan und Missstände in der Lehre angeprangert.
Ellmeier: Die Zeiten haben sich geändert, es wird nicht mehr weggeschaut.
Die Frauenbewegung hat dazu beigetragen und hat Meilensteine errungen. Es war und ist ein politischer Kampf. Wie schon oft gefordert, muss Gleichbehandlung bereits im frühen Alter gelehrt werden, d.h. in der Volksschule, in der Familie, im Umfeld, etc.
SBDG ist immer noch ein Tabu. Forschungsfinanzierung hat immer auch mit Macht zu tun. Wer finanziert solch kritische Forschung zu SBDG?
Pantelmann und Wälty: Kritische Forschung benötigt viel Engagement und Absprachen, denn viele möchten nicht, dass das Thema SBDG studiert wird. Forschung dazu verärgert. Es ist – leider - nicht unbedingt karriereförderlich, kritische Hochschulforschung zu betreiben.
Schluss
Die Aufzeichnung der Veranstaltung wurde professionell bearbeitet und steht im Anschluss allen D-A-CH-Verbänden zur Verfügung. Der Bericht zur Veranstaltung wurde in den Verbandsmedien wie Newslettern etc. publiziert.
Unser Anliegen war es, ein verstecktes Problem, nämlich die auch an unseren Hochschulen vorkommende «Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt» zum Thema zu machen. Der erste Schritt zur Veränderung eines Missstands ist, darüber zu sprechen!
Wie geht es weiter? Eventuell gibt es Mitglieder der Verbände, die am Tagungsthema dranbleiben, auch dazu forschen möchten. Denkbar ist auch die Bildung einer D-A-CH-Arbeitsgruppe. Nachdem die Präsidentinnen mit der Organisation des Events den ersten Schritt getan haben, obliegen eventuelle weitere Schritte den Bedürfnissen und der Initiative unserer Mitglieder.
Wir freuen uns auf das D-A-CH-Treffen in Wien vom 20. bis 23. Oktober 2022!
Kontakt
Manuela Queitsch, DAB
manuela.queitsch@dab-ev.org
Dr. Maria Tiefenthaller, VAÖ
mariatiefenthaller@hotmail.com
Doris Boscardin, SVA
praesidentin@akademikerinnen.ch |
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